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#NichtMitUns-Friedensmarsch in Köln gegen Gewalt und Terror © twitter

Nicht mit uns?

Der „Friedensmarsch“ hat viel zutage gefördert

Man muss Lamya Kaddor dankbar sein. Ihre Initiative für eine Großdemonstration in Köln hat – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – viele Probleme sichtbar werden lassen. In ihren eigenen Reihen, in den Reihen ihrer Unterstützer und bei allen, die dem Aufruf ablehnend gegenüberstanden. Von Murat Kayman

Von Montag, 19.06.2017, 4:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 19.06.2017, 19:23 Uhr Lesedauer: 12 Minuten  |  

Den guten Willen, ein Zeichen gegen Gewalt und für eine geeinte Gesellschaft setzen zu wollen, darf man niemandem absprechen. Dieser gute Vorsatz sei allen unterstellt, die sich an der Initiative und den Diskussionen darüber beteiligt haben.

Gleichwohl hat das Scheinwerferlicht dieser Aktion viele Ecken ausgeleuchtet, die sonst eher im Dunkeln bleiben. Diese kurzen Momente des Sichtbarwerdens von Verwerfungen der „Islamdebatte“ gilt es, in diesem Beitrag zu besprechen.

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Zunächst ist da die Ausgangssituation. Marek Lieberberg machte seinem Ärger über die erneute Störung seiner Interessen als Veranstalter beim „Rock am Ring“ lautstark Luft. Bereits im vergangenen Jahr musste das Festival aufgrund schwerer Unwetter abgebrochen werden. Auch damals war Lieberberg von der Entscheidung, das Festivalgelände zu räumen, nicht begeistert. Auch damals war sein Kommentar bissig. Von Fahnenflucht der Fans war die Rede und falschen behördlichen Entscheidungen.

Nach seinem aktuellen Ausbruch am 02. Juni folgte dann der Aufruf Kaddors am 07. Juni zunächst auf ihrer Webseite. In der anschließenden medialen Berichterstattung war davon die Rede, dass für Kaddor der Anschlag von Manchester „das Fass zum überlaufen“ gebracht habe.

Der Anschlag in Manchester fand in der Nacht zum 23. Mai statt. Der Anschlag in London wurde in der Nacht zum 04. Juni verübt.

Info: Dieser Text ist eine von MiGAZIN gekürzte Version. Die Langfassung des Beitrags finden Sie auf www.murat-kayman.de.

Wir werden nie erfahren, ob es einen Demonstrationsaufruf auch ohne die Lieberbergsche Wutrede gegeben hätte. Es gab ihn jedenfalls nicht in den 10 Tagen nach dem Anschlag in Manchester bis zum besagten Ausbruch Lieberbergs. Das Fass war bis dahin offenbar noch nicht übergelaufen.

Dieses Detail mag trivial erscheinen. Bei manchen Muslimen führte es jedoch zu einem ablehnenden Reflex gegenüber dem Demonstrationsaufruf, der in diesem chronologischen Licht der Ereignisse als anbiedernde Pflichtschuldigkeit und Distanzierungsexzess auf Lieberbergschen Zuruf verstanden wurde. Von diesem Makel konnte sich die Aktion bis zum Ende nicht erholen.

Ambivalente Haltung im ZMD-Vorstand

Besonders augenfällig war das gespaltene Stimmungsbild – vielleicht auch exemplarisch für das Meinungsbild innerhalb der Verbände insgesamt – beim Führungspersonal des ZMD zu beobachten. Der ZMD führte offiziell die Unterstützerliste des Demonstrationsaufrufs auf Platz 1 an. Gleichzeitig gingen führende ZMD-Funktionäre bis auf oberster Ebene des Bundesvorstandes auf Distanz zu dem Kaddorschen Demonstrationsaufruf.

Stellvertretender Bundesvorsitzender des ZMD, Mehmet Alparslan Çelebi, postete auf seinem Facebook Account am 11. Juni, die öffentliche Erwartungshaltung gegenüber Muslimen, sich deutlich zu distanzieren und „auf die Straße“ zu gehen, sei „längst zu einem politischen Mittel geworden, Muslime und deren Verbände in „Gute“ und „Schlechte“ zu trennen.“ Die zahlreichen innermuslimischen Verurteilungen des Extremismus mit den Methoden der islamischen Lehre und Gelehrsamkeit sind für Çelebi etwas Anderes, als „wenn marginale Bewegungen Friedensmärsche organisieren um sich politisch und medial zu etablieren und die nicht existierende Basis durch Omnipräsenz in der Medienlandschaft zu ersetzen und schließlich Muslime und Verbände, die tagtäglich harte Basisarbeit machen, unter Druck zu setzen.“

Houaida Taraji, ebenfalls Mitglied im ZMD-Bundesvorstand, pflichtete ihrem Vorstandskollegen bei und kommentierte, seine Bewertung habe es „auf den Punkt gebracht“. Bemerkenswert insoweit als Taraji gleichzeitig auch als Unterstützerin des Demonstrationsaufrufes gelistet war und somit zwei gegensätzliche Positionen gleichzeitig vertrat.

Noch deutlicher wurde Nurhan Soykan, stellvertretende Bundesvorsitzende des ZMD, in ihrem Kommentar unter dem Posting ihres Vorstandskollegen Çelebi; „Vollkommen richtig, es bringt auch nicht viel, nur Distanzierungen und Beileidsbekundungen zu erneuern. Es wird Zeit, dass die Kriegstreiber, Waffenhändler und die Profiteure der Kriege entlarvt werden und gegen die Regierungen, die sie unterstützen protestiert wird. Es gibt nicht nur einen Bösen bei diesem Spiel.“

Man traut sich kaum, nachzufragen, was sie mit dieser Äußerung genau meint.

Zuletzt hatte sich auch noch Mohammed Khallouk, ebenfalls Mitglied des ZMD-Vorstandes, mit einem Beitrag im Tagesspiegel gegen öffentliche Aktionen „innermuslimischer Kleingruppen“ ausgesprochen. Man muss davon ausgehen, dass diese Formulierung nicht selbstkritisch auf den ZMD gemünzt war, sondern auf den Aufruf Kaddors zielte.

Damit haben sich vier von neun Vorstandsmitgliedern, darunter beide Vertreter Mazyeks, öffentlich gegen den Demonstrationsaufruf ausgesprochen. Sie konnten sich mit dieser Ablehnung aber nicht gegen ihren „Chef“ durchsetzen.

Denn öffentlich wahrgenommen wurde nicht dieser klaffende Riss im ZMD-Vorstand, sondern eher die Stellungnahme des ZMD-Vorsitzenden Aiman Mazyek in seinem Gastbeitrag in der FAZ. Dort wollte Mazyek dann auch nicht mehr die „Profiteure der Kriege“ entlarven, sondern den Extremismus. Dieser sei ein „areligiöser Nihilismus“ – was wohl als bloß stilistische Abwandlung der von Mazyek sonst beharrlich vertretenen Meinung – „Das hat nichts mit dem Islam zu tun!“ – gemeint war.

Was aus dieser Diagnose aber für die muslimischen Verbände resultiert, konnte auch Mazyek nicht greifbar formulieren. Er beklagte vielmehr, dass die deutlichen und zahlreichen Stellungnahmen, die es in den vergangenen Jahren von muslimischer Seite gab, nicht wahrgenommen werden. Warum das so ist, konnte sich auch Mazyek nicht erklären und verwies die Behauptung, Muslime würden sich nicht klar genug gegen Gewalt und Terror aussprechen, ins Reich der „Ammenmärchen“.

Zwischen Schein und Sein

Allerdings lieferte Mazyek – ohne sich dessen bewusst zu sein(?) –  im gleichen Text implizit eine mögliche Erklärung für die geringe Wahrnehmbarkeit muslimischer Stellungnahmen.

Mazyek führte aus: „Allein der ZMD organisierte in den vergangenen Jahren Demonstrationen in über 50 bundesdeutschen Städten. Erinnert sei hier nur an die Mahnwachen „Muslime stehen auf gegen Hass und Unrecht“, die in 1500 Moscheegemeinschaften stattfand (2014) oder an die Initiative des ZMD mit dem Titel „Aufstand gegen den Terror – Gesicht zeigen“ am Brandenburger Tor mit Vertretern des Staates, der Kirchen und aller namhaften zivilgesellschaftlichen Organisationen (2015).“

Allein der ZMD? Die Mehrheit der Leserinnen und Leser wird nicht wissen, dass die Aktion in 2014 von den KRM-Verbänden organisiert und in deren „1500 Moscheegemeinschaften“ durchgeführt wurde, wobei der ZMD eher Mühe damit hatte, die Aktion auch in seinen wenigen Gemeinden umsetzen zu lassen. Und die meisten Leserinnen und Leser werden sich nicht mehr daran erinnern, dass nach der Aktion 2015 eine unrühmliche Diskussion darüber geführt wurde, bei wem die Kosten der Veranstaltung am Brandenburger Tor letztlich hängen bleiben. Mazyek ließ damals verlautbaren, der ZMD könne nur ein Viertel der Kosten erstatten. Die anderen drei KRM-Verbände konnte er nur „einladen“ sich an den Kosten zu beteiligen – denn diese waren von den inhaltlichen und organisatorischen Vorbereitungen der Veranstaltung im Wesentlichen nicht informiert und wussten so auch nichts von irgendwelchen Kosten oder sonstigen Zusagen Mazyeks an die politischen Sponsoren der Aktion.

Es sind diese Erfahrungen des individuellen Inszenierungsdranges, die den Kaddorschen Aufruf im Hintergrund begleitet haben. Die Tatsache, dass der ZMD mit seinem Vorsitzenden Mazyek den Aufruf unterstützte – offenbar noch bevor im KRM überhaupt eine gemeinsame Haltung zu dieser Frage gefunden werden konnte – ist auch deshalb an Ironie kaum zu überbieten, da gegenwärtig Aiman Mazyek als Sprecher des KRM fungiert.

Vielleicht liegt es ja an diesem wenig koordinierten Vorgehen muslimischer Verbände, dass ihre Stimmen in der Vergangenheit kaum gehört werden konnten – und sie auch gegenwärtig kaum vernehmbar sind. Dass vor diesem Hintergrund in der Öffentlichkeit eher Märchen als Fakten zu der Arbeit der muslimischen Verbände kursieren, sollte da niemanden mehr verwundern. Es mag aber durchaus sein, dass die Vermischung von Wahrheit und Dichtung manchen Verbänden sogar ganz genehm ist.

Eine Wahrheit ist aber angesichts der geringen Teilnehmerzahl der Demonstration endgültig erkennbar geworden: Der Zentralrat ist in Wirklichkeit ein Marginalrat mit einem faktisch nicht vorhandenen Mobilisierungspotential. Und mit einem Vorsitzenden ohne Gefolgschaft in der Basis. Aktuell Meinung

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  1. Werner Janik-Mehlem sagt:

    Kommentar: Warum wird die berechtigte (!) und begründete (!) Kritik von Volker Beck an „DITIB als Problembär der muslimischen Verbandslandschaft“ in dem Beitrag von Murat Kayman in der heutigen Ausgabe von MIGAZIN vom 19.06.2017 wohl nicht wörtlich zitiert ?!
    Deshalb füge ich hier seine Zitat-Auszüge aus der Web-Seite von Volker Beck ein:
    „Volker Beck, religionspolitischer Sprecher, erklärt:
    Ich wünsche Lamya Kaddors Ramadan Friedensmarsch Erfolg, weil er Brücken schlägt und Muslime und Nicht-Muslime gegen Terror und für Frieden vereinigt und aufstehen lässt.
    Die DITIB hat sich als Teil der deutschen Zivilgesellschaft abgemeldet. Diese Pressemitteilung ist ihr gesellschaftspolitischer Offenbarungseid. Die DITIB wird immer mehr zum Problembär der islamischen Verbändelandschaft. Sie spricht sich explizit gegen den Friedensmarsch in Köln von Muslimen und ihren Freunden gegen Gewalt und Terror aus. Wer als Religionsgemeinschaft die Millionen Muslime in Deutschland repräsentieren will, muss auch seine gesellschaftliche Verantwortung annehmen. Dazu sind die DITIB-Strukturen nicht in der Lage.
    Kein Muslim in Deutschland muss zur Friedensdemonstration in Köln gehen. Wer mit unserer Gesellschaft nichts zu tun oder ihr nichts zu sagen hat, kann einfach zu Hause bleiben. Das ist jedermanns gutes Recht. Man darf auch zu Demonstrationen, zu denen man nicht gehen mag, einfach nicht aufrufen und die Klappe halten.
    Islamische Verbände wie der Zentralrat der Muslime in Deutschland e. V, der Liberal-Islamischer Bund e.V. oder Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland KdöR, aber auch die Türkische Gemeinde in Deutschland e.V. sind dem Aufruf gefolgt und unterstützen ihn.
    Andere haben einfach geschwiegen. Aber nichts dergleichen hat die DITIB getan. Sie hat den Organisatoren in die Kniekehlen getreten und sie in der Pressemitteilung kritisiert, diskreditiert und denunziert.

  2. Irmgard Pinn sagt:

    Die hier offengelegte Konfusion und Unfähigkeit islamischer Verbandsvertreter, sich zumindest in einer so wenig weltbewegenden Frage wie der Teilnahme an der Kölner Demonstration mit rational nachvollziehbaren Argumenten auf eine Position zu einigen, ist keineswegs deren Spezialität. Wir finden sie zuweilen sogar in einer einzigen Person, zum Beispiel in der Person der Bundesintegrationsbeauftragten Aydan Özoguz, die zunächst meinte: Eine „Forderung nach Anti-Terror-Demos von Muslimen ist der falsche Weg“ (*), selbst jedoch kurz darauf den Aufruf unterzeichnete. Was steckt dahinter? Druck von oben/außen? Bei den Verbänden der Wettbewerb um Macht und Gunst in der öffentlichen Meinung? Oder ganz schlicht die Überforderung durch eine komplexe Situation?
    Die Ablehnung von Gewalt und Terror ist für mindestens 99 % der Muslime selbstverständlich, und natürlich will niemand trotzdem von seiner Umwelt als Terrorismussympathisant wahrgenommen werden. Aber ob die zum Beweis in Form von Massendemonstrationen geforderte Distanzierung Sinn macht oder sich sogar kontraproduktiv auswirkt, bedarf einer gründlichen mehrdimensionalen Analyse. Blinder Aktionismus bringt uns ebensowenig weiter wie die Abwehr mit teils absurden Argumenten („Ramadan!“).
    Den allermeisten in Deutschland lebenden Muslimen – und leider auch den Repräsentanten ihrer Organisationen – fehlt nach wie vor der Durchblick durch die in der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft geltenden „Spielregeln“. Machtverhältnisse werden ebenso ignoriert wie der Unterschied von Absicht und Wirkung in Kommunikationsprozessen. Die Folgen sehen wir aktuell in dem Debakel des „Friedensmarsches“, das nicht nur den Organisatoren, sondern ebenso „den Muslimen“ und ihren Dachverbänden noch viele Jahre an den Schuhsohlen kleben wird. Und das ohne Differenzierung zwischen Mitmachern und Verweigerern.
    Wenn ein deutsches Unternehmen ein Investitionsprojekt in China oder Indien aufgrund von internen Machtspielchen und interkultueller Inkompetenz gegen die Wand fährt, wird das nicht schöngeredet oder auf einen Sündenbock abgeschoben. Vielmehr wird ernsthaft nach den Ursachen gesucht und dazu der Rat von Experten eingeholt. Es folgen Umstrukturierungen und Coachingprogramme. Doch weil es hier nicht um materielle Gewinne/Verluste und Karrieren geht, ist wohl von den islamischen Verbänden kaum soviel Einsicht und Engagement zu erwarten.

    (*) http://www.migazin.de/2017/06/12/kein-spaltung-aydan-oezoguz-anti/

  3. Hurma sagt:

    „Man muss Lamya Kaddor dankbar sein. Ihre Initiative für eine Großdemonstration in Köln hat – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – viele Probleme sichtbar werden lassen. In ihren eigenen Reihen, in den Reihen ihrer Unterstützer und bei allen, die dem Aufruf ablehnend gegenüberstanden…“

    Herr Kayman lacht sich ins Fäustchen, dass die Demonstration gegen mörderische Islamisten nahezu gescheitert ist, aus niederen politischen Erwägungen. Immer schön dem deutschen Staat und der Gesellschaft trotzen. Man scheint die Denkweise der Gesellschaft in Deutschland und i Westen noch nach Jahrzehnten nicht verstanden zu haben. Bloß keine konstruktiven Aktionen zeigen, wenn man genau so gut auch destruktiv sein kann und seine Macht damit unter Beweis stellen kann. Es ist so unglaublich billig, aber scheinbar eine Art Mikroversion der Verhältnisse und Denkweisen aus dem Nahen Osten. Man scheint sogar im Ausland die festgefahrenen Grenzen und Borniertheiten im Kopf nicht überwinden zu können. Von außen betrachtet und nach der Lektüre der scheinbar intelektuellen Analyse von Herrn Kayman hat man sich zu einer Lachnummer gemacht. DITIB tanzt weiter den Limbo und feiert sich mehr desto tiefer man sinken kann.