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Bunt © mccheek auf flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Sprach-Kitas

Anishas Spaß am Bücherwagen

40 Sprachen in einer Kita: In der Kindertagesstätte im Bremer Stadtteil Gröpelingen haben 80 Prozent der Kinder ausländische Wurzeln. Deutsch lernen ist hier besonders wichtig. Der Bund hilft dabei.

Von Dieter Sell Freitag, 19.05.2017, 4:19 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 21.05.2017, 23:23 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Mit Karacho stürmt Anisha in den Umkleideraum. „Hallo Hedda“, ruft sie und begrüßt lachend die Frau, die an diesem Morgen mit einem Wagen voller Bücher auf die Hühner und die Biber wartet. „Hühner“ und „Biber“ – das sind zwei Gruppen der evangelischen Kindertagesstätte in Bremen-Gröpelingen. Die Kita beteiligt sich am Bundesprogramm „Sprach-Kitas“, das gerade ausgeweitet worden ist. Unterstützt wird sie dabei von Erzieherin Hedda Müller. Sprachliche Bildung ist für die Familien hier besonders wichtig: 80 Prozent der Mädchen und Jungen haben ausländische Wurzeln.

„Wir hören hier etwa 40 unterschiedliche Sprachen“, sagt Kita-Leiterin Katharina Kamphoff (56). Anishas Vater spricht portugiesisch, ihre Mutter kommt aus dem westafrikanischen Ghana. Die Fünfjährige selbst kann prima Deutsch und liebt Bücher, vor allem, wenn es um Tiere geht. „Delfine mag ich am meisten“, sagt sie und steckt gleich beide Hände in Heddas Bücherwagen, um zu schauen, ob sie etwas Interessantes findet. Diesmal ist es kein Tierbuch, sondern ein Vorlese-Bastelbuch. Wie eine Trophäe verstaut das Mädchen ihr Fundstück in einem Leinenbeutel – und ist schon weg. Ab in den Frühstücksraum.

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Mit ihrem Wagen tourt Hedda Müller durch alle Gruppen, um den Kindern Bilderbücher schmackhaft zu machen und so Erzählsituationen zu schaffen. Das ist dringend nötig, denn neben vielen Hühnern und Bibern sprechen auch etliche andere Kinder in der Kita zu Hause wenig Deutsch. Und überhaupt: Tests haben ergeben, dass alleine in Bremen jedes dritte Kindergartenkind Sprachförderbedarf hat.

Zunehmend Kinder von Geflüchteten

Das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ richtet sich aus diesem Grund gezielt an Einrichtungen, die von einem überdurchschnittlich hohen Anteil von Kindern mit Förderbedarf besucht werden. Zunehmend sind das auch Flüchtlingskinder. „Aus der Forschung wissen wir, dass es die größte Wirkung zeigt, wenn sprachliche Bildung und Förderung möglichst früh beginnen“, sagt Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD).

Gestartet wurde das Programm 2016. Anfang des Jahres hat der Bund die Mittel aufgestockt, von jährlich 100 auf jetzt 250 Millionen Euro. Damit könnten bis 2020 rund 7.000 zusätzliche halbe Fachkraftstellen in Kitas und Fachberatungen geschaffen werden, rechnet das Ministerium vor.

Kinder vor dem Fernseher

Hedda Müller gehört zu den Fachkräften, die für eine befristete Zeit aus Berlin bezahlt werden. Sie soll Konzepte und Ideen entwickeln, die später vom Team der Kita übernommen werden können. „Sprache ist der Schlüssel zur Bildung“, betont die 41-Jährige. „Und Sprache steckt überall drin, in jeder Alltagssituation: Beim Spielen, beim Anziehen, beim Frühstück, beim Zähneputzen. Es kommt nur darauf an, die Kinder zum Sprechen zu ermutigen.“

Doch das fällt vielen Eltern nicht leicht. „Die Kinder möchten begeistert werden für Sprache“, meint Kita-Leiterin Kamphoff. „Wenn die Eltern aber voll mit Alltagsproblemen und Existenzsicherung beschäftigt sind, funktioniert das nicht.“ So merkt das Team der Multikulti-Kita, dass in etlichen Elternhäusern im sozialen Brennpunkt Gröpelingen kaum etwas vorgelesen wird. Stattdessen sitzen Kinder stundenlang vor dem Fernseher, wo sie zwar Sprache hören, aber nicht aktiv trainieren. Und Experten sind sich einig: Vor allem selbst sprechen macht schlau.

Wichtige Elternarbeit

Um gegenzusteuern legt das Bundesprogramm besonderen Wert auf die Elternarbeit. Das passiert in Bremen-Gröpelingen unter anderem mit einem wöchentlichen Eltern-Café, in dem Mütter und Väter Tipps bekommen. Dann werden Bilderbücher und Spiele vorgestellt, Hintergründe zum kindlichen Spracherwerb erläutert. Hinzu kommen Kita-Angebote wie Bilderbuchkino, Erzähltheater, Sprachspiele im Morgenkreis und der Bücherwagen.

Auch Kita-Kind Darina ist Feuer und Flamme für Hedda Müllers rollende Bibliothek. Neben dem Wagen hüpft sie von einem Bein auf das andere, lacht und freut sich über die vielen Bücher. Stolz reckt sie ihre Hand mit dem Buchausweis in die Höhe, den sie abgeben muss, wenn sie sich etwas ausleiht. Diesmal hat sie sich für Geschichten entschieden, in denen immer irgendetwas nicht stimmt. „Das ist ziemlich lustig“, sagt sie und kichert.

Ungewisse Zukunft

Experten loben Ideen wie den Bücherwagen, der mit Hilfe der Gelder aus Berlin regelmäßig durch die Kita rollt. Das Bundesprogramm sei rundum gut, sagt beispielsweise die Bremer Vorschulpädagogin und Politikberaterin Ilse Wehrmann. „Meine Sorge ist nur: Wie geht es nach Ende der Förderzeit weiter?“

Auch Praktikerin Kamphoff fürchtet, dass viele gute Projekte nicht fortgeführt werden können, wenn Hedda Müllers Vertrag ausläuft – schlicht, weil die Arbeitsbelastung im Team so schon am Limit ist. Wehrmann plädiert deshalb dafür, dass der Bund das Programm weiter führt. Das Geld wäre bestens investiert: „Die Kindertagesstätten sind schließlich erste Integrationsinstanz.“ (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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