Offene Grenzen
Möglichkeiten linker Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik als radikale Realpolitik
Wie könnten ein demokratisches Einwanderungsrecht und eine linke Einwanderungspolitik aussehen? Die Landesvorsitzende der Linkspartei in Berlin, Katina Schubert, und die Berliner Senatorin für Integration in Berlin, Elke Breitenbach, gehen im MiGAZIN dieser Frage nach.
Von Elke Breitenbach und Katina Schubert Mittwoch, 26.04.2017, 10:58 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 27.04.2017, 17:32 Uhr Lesedauer: 10 Minuten |
„Deutschland ist ein Einwanderungsland. DIE LINKE. lehnt eine Migrations- und Integrationspolitik ab, die soziale und politische Rechte danach vergibt, ob Menschen für das Kapital als „nützlich“ oder „unnütz“ gelten. Wir wollen die soziale und politische Teilhabe für alle in Deutschland lebenden Menschen erreichen…. Wir fordern offene Grenzen für alle Menschen“, heißt es im 2011 beschlossenen Grundsatzprogramm der Partei.
Wie wir diese Forderung umsetzen, bleibt jedoch offen und die Diskussionen innerhalb der Linken – sowohl der Partei als auch der gesellschaftlichen Linken-, ob es eine linke, emanzipatorische Einwanderungspolitik unter kapitalistischen Bedingungen überhaupt geben kann, und wie diese auszugestalten wäre, verlaufen kontrovers.
Unsere These ist: Das Recht auf Freizügigkeit, dass es innerhalb der Europäischen Union grundsätzlich für Arbeitnehmer*innen gilt, muss Ausgangspunkt der Überlegungen für eine linke Einwanderungspolitik sein und verallgemeinert werden. Jeder Mensch muss das Recht haben zu wählen, wo sie oder er leben möchte. Ausgehend von dieser Thes ist dann zu fragen, wie das Recht auf Freizügigkeit als allgemeines globales Recht verankert werden kann, wie es zum Ausgangspunkt praktischer Politik wird und welche Voraussetzungen und Rahmensetzungen dafür zu schaffen sind.
Es gilt unterschiedliche Formen von Migration zu unterscheiden: erzwungene Migration, also vor allem Flucht, und freiwillige Migration. Fluchtursachen gibt es viele: Die Betroffenen verlassen ihre Herkunftsorte fast nie aus freien Stücken, sondern aus Furcht, Todes- oder Existenzangst. Freiwillige Formen der Migration sind nicht akuter Verfolgung oder existenzbedrohenden Situationen geschuldet und können viele Ursachen haben: Der Wunsch, andere Länder kennenzulernen, die Suche nach Erwerbsarbeit, Studium, Ausbildung, Existenzgründung, familiäre Gründe und andere mehr. Für beide Formen gibt es zu wenige und vor allem zu wenig anspruchsbegründende Wege, die legal und mit Perspektive eingeschlagen werden können.
Über 65 Millionen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht, die wenigsten gelangen bis in die Länder der Europäischen Union. Die meisten verbleiben in der Herkunftsregion. Nicht einmal eine Millionen Flüchtlinge haben es im Jahr 2015 bis Deutschland geschafft. Dennoch verschob sich die gesellschaftliche Debatte von der Bereitschaft zu Hilfe und Unterstützung sehr schnell in Richtung Abschottung, Abschiebewettläufe, Ausgrenzung und Abwertung.
Im Kern ist das nicht neu. Das EU-Asylsystem fußt auf dem Prinzip der Abschottung nach außen, die martialische Sicherung der EU-Außengrenzen hat nicht erst 2015 begonnen. Derweil ist die EU, auch auf Druck der Bundesregierung bestrebt, die physische Grenzsicherung durch ein umfassendes System von Rückübernahme- und Fluchtverhinderungsabkommen mit Ländern außerhalb der EU zu erweitern. Die Abkommen mit der Türkei und das aktuell geplante Abkommen mit Libyen stehen beispielhaft dafür. Weitere mit Despotien und Diktaturen in den Nachbarländern der Europäischen Union sowie in Afrika sind geplant.
Eine linke Migrationspolitik muss also im europäischen und globalen Rahmen entwickelt werden. Legale Zuwanderungsmöglichkeiten in die Europäische Union und sichere Zugangswege sind zunächst die wichtigsten Forderungen, um das Sterben im Mittelmeer und an den Außengrenzen Europas zu beenden und der Humanität Geltung zu verschaffen. Doch auch auf nationalstaatlicher Ebene sind Weichenstellungen möglich und notwendig, die Ausdruck radikaler Realpolitik sind.
Das Grundrecht auf Asyl ausweiten
Die Flucht vor politischer Verfolgung, vor Krieg, rassistischer und sexistischer Diskriminierung, Hunger oder Umweltkatastrophen muss Gegenstand einer demokratischen Asylgesetzgebung werden, die das Grundrecht auf Asyl wiederherstellt und ausweitet. Das heißt für die Bundesrepublik Deutschland: Der Artikel 16a des Grundgesetzes muss um die genannten Fluchtgründe erweitert und von den Einschränkungen durch Konstrukte wie „sichere Drittstaaten“ und „sichere Herkunftsstaaten“ befreit werden. Das erfordert eine Grundgesetzänderung, zu der es einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag bedarf – eine derzeit wenig realistische Perspektive. Hilfsweise könnten zumindest die Konstruktionen „sichere Drittstaaten“ und „sichere Herkunftsstaaten“ dadurch abgeschafft werden, dass die jeweiligen Länderlisten auf Null gesetzt werden. Das lässt sich mit einer einfachen Mehrheit beschließen und bedeutet: Es gibt keine „sicheren“ Länder mehr, die einen Ausschluss vom Asylverfahren rechtfertigen.
Auch die Anerkennung von Fluchtgründen, die über individuelle politische Verfolgung hinausgehen, kann einfach gesetzlich geregelt werden. Wichtig ist, dass die Abstufung unterschiedlicher Schutzbedürfnisse aufgehoben wird. Jeder der hier um Schutz und Aufnahme bittet, muss ein Aufenthaltsrecht bekommen, das die Chance zu gleichberechtigter Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bietet. Dazu gehören der vollständige Familiennachzug und der unbeschränkte Zugang zu Bildung, Ausbildung, Erwerbsarbeit und die sozialen Sicherungssystemen. Diskriminierende bürokratische und teure Sondergesetze wie das Asylbewerberleistungsgesetz müssen abgeschafft werden. Und als erste praktische Schritte zu einem humanitäreren Flüchtlingsrecht gilt es, Abschiebungen zu vermeiden und Geflüchteten schnell Wege in Bildung, Ausbildung und Beruf zu öffnen.
Recht auf Freizügigkeit
Wenn wir davon ausgehen, dass es das Recht eines jeden Menschen sein muss selbst zu entscheiden, wo sie oder er leben will, dann muss sich auch ein Einwanderungs- und Aufenthaltsrecht daran orientieren. Das bedeutet: Linke Einwanderungspolitik beschränkt sich nicht auf das Grundrecht auf Asyl, sondern öffnet auch den Weg zu legaler Einwanderung und Wohnsitznahme in der Bundesrepublik.
Dieser Vorschlag führt rasch zu einer ganzen Reihe von Fragen: Wer darf einwandern? Kommt es bei einer solch „freien“ Einwanderung nicht zu Lohn- und Sozialdumping und zu Konkurrenz mit „Einheimischen“? Befeuert das nicht Rassismus und Vorurteile?
Auch die Linke ist nicht frei von solchen Debatten. Doch wenn wir es ernst meinen mit einer Migrationspolitik, die auf Grundrechten basiert und sich an den Menschenrechten orientiert, muss die Entscheidungsfreiheit des einzelnen Menschen im Mittelpunkt stehen. Natürlich stellt eine Einwanderungspolitik auf der Basis eines allgemeinen Rechts auf Freizügigkeit erhebliche Anforderungen an eine funktionierende Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Linke Migrationspolitik muss also gekoppelt sein mit entschiedenen linken Politiken in diesen Feldern. Aktuell Meinung
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Pingback: Angelika Beer » EU-Flüchtlingspolitik 2017
Leider besteht der Artikel ueberwiegend aus leeren Phrasen. Kein Wort zu den Problemen die mit einer hohen Zuwanderung verbunden sind wie zB fehlende Qualifikation Wohnraum Vorbehalte der hier bereits lebenden Bevoelkerung auch der mit Migrationshintergrund Missbrauch des Asylrechts immense Kosten. Nicht zuletzt stehen gerade Waehler der LlNKEN einer unvesteuerten Zuwanderung kritisch gegenueber wie Sarah Wagenknecht erkannt hat….