Bade, Klaus J. Bade, Prof. Bade, Klaus Bade
Prof. Dr. Klaus J. Bade, Gründungsvorsitzender des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) 2008-2012

Interview mit Prof. Klaus J. Bade

Wenn sich Wissenschaftler als Praktiker und Praktiker als Wissenschaftler verkleiden

Klaus J. Bade, Grenzgänger zwischen Migrationsforschung und Migrationspolitik, blickt in seinem neuen Buch zurück auf sein kritisches Engagement: von der Diskussion um die sogenannte „Gastarbeiterfrage“ in den 1980er Jahren bis zur angeblichen „Migrationskrise“ heute.

Mittwoch, 05.04.2017, 4:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 10.04.2017, 17:34 Uhr Lesedauer: 13 Minuten  |  

MiGAZIN: Sie blicken in Ihrem Buch zurück auf Ihr jahrzehntelanges Engagement als „Grenzgänger zwischen Migrationsforschung und Migrationspolitik“. Sie haben in diesem Grenzbereich mancherlei Strukturen geschaffen. Was war Ihnen dabei am wichtigsten und was wirkte am nachhaltigsten?

Klaus J. Bade: Ich lasse die vielen Enttäuschungen und Frustrationen auf diesem langen Weg hier mal weg, von denen mein Buch auch berichtet. Ich bin dankbar dafür, dass ich einige größere und bis heute existierende Organisationen ideell und konzeptionell anschieben durfte. Das reicht, um nur drei Beispiele zu nennen, von dem Osnabrücker Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) über den bundesweiten Rat für Migration (RfM) bis zu dem gleichermaßen bundesweit aufgestellten Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) in Berlin. Das sind bis heute positionsstarke Strukturen, um mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und Prioritäten Migrationsforschung multi- und interdisziplinär zu vernetzen und wissenschaftlich fundierte Argumente öffentlichkeitswirksam in Stellung zu bringen.

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Info: Am 21. April 2017 wird im Senatssaal der Humboldt-Universität zu Berlin das neue Buch von Klaus J. Bade „Migration – Flucht – Integration. Kritische Politikbegleitung von der ‚Gastarbeiterfrage‘ bis zur ‚Flüchtlingskrise‘. Erinnerungen und Beiträge“ vorgestellt. Es bietet einen autobiographischen Rückblick des Migrationsforschers, Politikberaters und Politikkritikers und eine Auswahl seiner publizistischen Beiträge: von der ‚Gastarbeiterfrage’ in den 1980er Jahren bis zur ‚Flüchtlingskrise’ heute. – Karlsruhe 2017 (Von Loeper Literaturverlag). 650 S., 32 EUR. (Subskriptionspreis bis 30.4.2017: € 25,-). Open Access ab 21.04.2017 unter www.imis.uni-osnabrück.de

Wir standen dabei nicht ganz allein. Es gab auch einige – anfangs sehr wenige – andere Kolleginnen und Kollegen, die sich hier früh teils wissenschaftlich, teils zusätzlich auch organisatorisch eingebracht haben. Neben den Grundlagenforschern Hartmut Esser und Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny denke ich dabei zum Beispiel an Wilhelm Heitmeyer und Friedrich Heckmann. Heitmeyer hat das heute von Andreas Zick geleitete Bielefelder Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) auf den Weg gebracht, Heckmann das europäischen Forum für Migrationsstudien (efms) an der Universität Bamberg. Trotz solcher Bemühungen kam die Förderung von Migrationsforschung innerhalb und außerhalb der Universitäten in Deutschland lange nur zögerlich voran…

Warum?

Bade: Anfang der 1980er Jahre galt Migrationsforschung in Deutschland noch als ein exotisches Randgebiet ohne besonderen Bedeutung, abgesehen einmal von der meist als ‚Ausländerforschung’ umschriebenen ‚Gastarbeiterforschung’, in der sich zum Beispiel die VolkswagenStiftung schon frühzeitig fördernd engagiert hatte. In den frühen 1980er Jahren war vieles von dem, was heute selbstverständlich ist, noch ein fernes Ziel: Das gilt für stabile Forschungsorganisationen, für starke Förderungen zuerst von Stiftungen, dann auch von staatlicher Seite. Es gilt für außeruniversitäre Thinktanks im Gebiet von Migration und Integration. Und es gilt an den Universitäten selbst für diverse Forschungsinstitute und heute sogar für Lehrstühle mit dem Aufgabenfeld Migrationsforschung – einem Feld, das es in den 1980er Jahren noch nicht einmal dem Namen nach gab.

Ich freue ich mich, dass es nun sogar gelungen zu sein scheint, über Stiftungsinitiativen hinaus auch mithilfe von zum Teil millionenstarken staatlichen Förderungen bundesweit vernetzte und belastbare Strukturen im Grenzfeld von Migrationsforschung, Politikberatung und kritischer Politikbegleitung zu sichern. Dabei soll das noch junge, vor allem durch die Namen Naika Foroutan, Wolfgang Kaschuba und Herbert Brücker bekannt gewordene Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) eine wichtige Rolle spielen.

Das sind Verdienste von großen privaten Stiftungen und jetzt auch von staatlicher Seite. Dabei sind hier besonders die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoğuz und die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig hervorgetreten; übrigens sehr zum Missfallen des an sich für Forschungsförderung zuständigen Bundesministeriums für Bildung und Forschung, das hier zunächst zögerlich war, dann aber umso mehr andernorts aus eigenen Mitteln beisteuerte. Das sind Perspektiven, für die ich selber jahrzehntelang geworben habe – allerdings immer unter der Bedingung, dass dabei die Unabhängigkeit der Forschung gegenüber außerwissenschaftlichen Sponsoren gewahrt bleibt.

Buchvorstellung am 21.4.2017

Also Grund zu ungeteilter Freude auf Ihrer Seite?

Bade: Nein, eben nicht ungeteilt; denn meine Freude über diesen starken Zugewinn an Forschungsförderung wird getrübt durch die Tatsache, dass dies, wieder einmal, weniger erkenntnisbegründet als krisenbedingt war: Hinter der sogenannten Flüchtlingskrise steht doch in Wahrheit eine Weltkrise, die Flüchtlinge vor die zunehmend geschlossenen Tore einer Festung Europa spült. Die Festung zielt immer mehr auf Begrenzung der Asylzuwanderung und trägt damit zu einer Art sozialdarwinistischen Migrantenauslese bei: Es gibt ohnehin eine Dominanz jener sozial besser gestellten Flüchtlinge und Wirtschaftswanderer, die sich, mit eigenen oder geliehenen Mitteln, die große Wanderung überhaupt leisten können. Die Elenden und Ärmsten der Armen haben dazu kaum eine Chance. Zu dieser sozialen kommt die physische Auslese im Blick auf den riskanten Weg zu den europäischen Grenzen und Küsten, den viele nicht überleben, die ‚erfolgreichen’ unter ihnen meist ausgeplündert, oft auch gequält und traumatisiert.

Vor einer solchen Krise und vor ihren auch für Europa selbst gefährlichen Folgen haben wir seit Jahrzehnten vergeblich gewarnt. Literaturkenntnis schützt vor Neuentdeckungen. Heute hat Politik in der Festung Europa die Folgen der globalen Krise auch für die Festung selbst entdeckt. Sie düngt vor diesem Krisenhintergrund die Forschungsfelder Migration und Integration mit wachstumsförderndem Geld. Das geschieht auch in der trügerischen Hoffnung, dass Forschung „Lösungen“ für die immer drängender werdenden Migrationsprobleme entwickeln möge.

Warum ist diese Hoffnung trügerisch?

Bade: Migration ist keine „Herausforderung“, die durch Migrationspolitik „gelöst“ oder sogar „bewältigt“ werden kann; denn „Migrationspolitik“ ist meist nur ein Kurieren an Symptomen, Begleitumständen und Folgeerscheinungen. Es geht doch um die weltwirtschaftlichen und weltgesellschaftlichen Ursachen dieser globalen Bewegungen und damit im Kern nicht um Migrationspolitik, sondern um grundlegende, genauer gesagt grundstürzende Systemfragen.

„Dieses System tötet“, hat der mutige, aus der nichtmarxistischen südamerikanischen Befreiungstheologie stammende Papst Franziskus gesagt. Vom „Raubtierkapitalismus“ hat der verstorbene sozialdemokratische Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt gesprochen. Beide ruderten wahrhaftig nicht im gleichen Boot. Aber ihre Worte zielten in die gleiche Richtung: Wir müssen zu globaler Fairness finden. Wir müssen global teilen lernen. Spenden kann Teilen nicht ersetzen. Denn Spenden hat mit Teilen so wenig zu tun wie Nächstenliebe und Barmherzigkeit mit sozialer Gerechtigkeit.

Erst recht keine „Lösung“, sondern ein historischer Skandal sind faule Verträge mit oft selbst fluchtgenerierenden Despoten in den Ausgangsräumen und mit kleptokratischen politischen „Eliten“ in den Transitstaaten. Gegen Geld, Förderungen im Sicherheitsbereich und andere zweifelhafte Leistungen sollen sie Wirtschaftswanderern und durch Krisen mobilisierten Flüchtlingen den Weg nach Europa verlegen und aus Europa abgeschobene „illegale“ Zuwanderer als menschliche Handelsware wieder „zurücknehmnen“. Der nordafrikanische Flüchtlingshändler Gaddafi und der Politmafioso Berlusconi lassen grüßen.

Außerdem gibt es hier eine Art Krisenschaukel: Die Angst vor Migration provoziert umso mehr den Einsatz von Migration als Waffe. Politik muss also noch einiges lernen in diesem viel zu lange sträflich vernachlässigten Handlungsfeld. Die neue Forschungsförderung kann im Ergebnis zu solchen Lernprozessen beitragen, wenn politisch-taktische Rechthaberei nicht die Lernfähigkeit blockiert. Überzeugungsarbeit wird hier nicht einfach sein, weil Lernbereitschaft auch das retrospektive Zugeständnis eigenen Versagens einschließt. Ich wünsche den jüngeren Kolleginnen und Kollegen Erfolg und viel Stehvermögen auf diesem Weg. Interview Leitartikel Meinung

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  1. AFDlerin sagt:

    Das Problem der Migranten in Deutschland liegt darin, dass man ihnen das Märchen der Linken erzählt hat, Deutschland sei ein reiches Land. Diese Behauptung suggeriert, dass Reichtum hierzulande auf Bäumen wächst und lediglich schlecht verteilt ist. Reichtum wächst aber in Deutschland nicht aus sich selbst heraus. Er ist das Resulat anderer Faktoren. Keinesfalls sind Linke, Migranten oder Unterschichten diejenigen, die die Grundlage dafür gelegt haben, dass Deutschland ein wettbewerbsfähiges Land ist. Das sind genau die Kräfte, die unser Land eigentlich nicht verstehen und daher auch nicht in der Lage sind, soziale Verbesserungen vorzunehmen. Die leben in einer Wunschwelt und wenn sie nicht aufpassen, haben sie am Ende einen noch schlechteren Lebensstandard als sie in den Ländern hatten, aus denen sie gekommen sind. Die Zeit läuft Euch im Sauseschritt davon. Pro Generation nimmt die Zahl der Biodeutschen um ein Drittel ab. Der Anteil der faktischen Analphabeten wird bei Männern zwischen 20 und 40 Jahren dramatisch zunehmen (derzeit ca. 14%). Im Jahr 2030 oder 2035 ist davon auszugehen, dass der Anteil der faktischen Analphabeten in dieser Gruppe nicht ganz ein Drittel betragen wird (60% der Asylbewerber sind faktische Analphabeten) (Wößmann, Lenzen).
    Das heißt bezigen auf die Großstadt, dass wohl ca. 50% aller Männer dieser Altersgruppe faktische Analphabeten sein werden. Mit Träumen vom süßen Wohlstand ist dann Schluss in diesem Land. Dafür sorgt die demographische Entwicklung. Die Fähigkeit zur Integration wird zunehmend schwinden. Was bleibt ist eine wurzellose Masse, der man falsche Vorstellungen eingeimpft hat. Da wird dann auch jede Forschung zur Lachnnummer!

  2. Magistrat sagt:

    Wer hat denn Deutschland Ihrer elitären Ansicht nach wettbewerbsfähig gemacht, wenn es „keinesfalls“ „Linke, Migranten oder Unterschichten“ gewesen sein können? Das wäre ja mal eine neue soziologisch-ökonomische Erkenntnis, dass die versnobbte Oberschicht für den Wohlstand verantwortlich ist? Nein, liebe AFDlerin, Sie verwechseln hier einiges. Die Oberschicht lebt vom Wohlstand, zu verdanken hat sie ihn der Unterschicht.

    Und ihre unwissenschaftlichen Aussagen zu „faktischen Analphabeten“ (was sind das?) sind ja nichtmal der Kommentierung wert.

    Vielen Dank aber, dass Sie so unverhohlen über den kapitalistisch, ausbeuterischen und pseudo-elitären Geist der AfD aufklären! Das zeigt ja, wessen Geistes Kind die Partei ist. Danke für die Klarheit! Hätte sie für „volks“-naher gehalten.

  3. AFDlerin sagt:

    @Magistrat Es war hauptsächlich die bürgerliche Mittelschicht, die das Land wohlhabend gemacht hat. Diese Mittelschicht ist aber ihrer Tradition nach keineswegs „links“. Handwerker, Facharbeiter, Techniker, Wissenschaftler, talentierte Bauern, Bastler, Ingenieure, Intellektuelle haben unseren Wohlstand erwirtschaftet. Sie hängen an ihrem Besitz und wollen ihn nicht teilen. Mochten diese Gruppen in der Vergangenheit im Einzelnen objektiv „arm“ gewesen sein, so waren sie nur bedingt „links“. Selbst der Facharbeiter mit SPD-Mitgliedschaft hat auf den großstädtischen Arbeiterproleten herabgesehen. Und wer hat schon etwas von Umverteilung, wenn er das bisschen was er hat, dem Staat geben muss?
    Es ist eine Geisteshaltung die man als „bürgerlich“ umschreiben kann, die Deutschland groß gemacht hat. Auch sogenannte „Reiche“ haben selbstverständlich zu unserem Wohlstand beigetragen. Gerade Familienunternehmer sind das Rückgrat unserer Exportindustrie. Wenn man nämlich genau hinschaut, hat Deutschland nämlich gar nicht so viele Global player von Weltrang, zumindest nicht im Vergleich zu Ländern wie den USA, wo es keine vergleichbare Mittelstandsstruktur gibt.

    Die Oberschicht lebt nicht vom Wohlstand, sondern davon, dass sie ihren Wohlstand sichert und mehrt. Der wird aber nicht auf Kosten der Armen gemehrt, sondern letztendlich auf der Basis weltmarktfähiger Produkte. Und für die braucht man keine faktischen Analphabeten!

    Die deutsche Unterschicht ist ökonomisch betrachtet unbedeutend. Sie stellt noch nicht die Mehrheit in diesem Land. Wenn man sie ans Ruder lassen würde, wäre nur Chaos die Folge, weil diese Schicht keine Ahnung davon hat, wie unser Land wirklich funktioniert. Umverteilung bringt in Deutschland rein gar nichts. Das würde nur eine kurzfristige Inflation auslösen, Investionen hemmen und eine Kapitalausfuhr bewirken. Die Armen und die Fleißigen wären die Leidtragenden, Politfunktionäre und Krisengewinnler die Profiteure.

  4. Tobi sagt:

    Typisches unerträgliches AFD WELTBILD

    die bösen linken und die anderen

    dazwischen gibt es zig andere Gruppen und Meinungen

    AFD und viele rassisten haben keine ahnung und denken dass die asylbewerber alles rückständige leute sind die hierher kommen um geld zu kriegen

    meine Eltern sind auch asylbewerber gewesen und wir hatten geld und haben alles durch krieg verloren