Interview mit Prof. Klaus J. Bade

„Es geht nicht um Migrationspolitik, sondern um grundlegende Systemfragen.“

Klaus J. Bade, Grenzgänger zwischen Migrationsforschung und Migrationspolitik, blickt in seinem neuen Buch zurück auf sein kritisches Engagement: von der Diskussion um die sogenannte „Gastarbeiterfrage“ in den 1980er Jahren bis zur angeblichen „Migrationskrise“ heute.

MiGAZIN: Sie blicken in Ihrem Buch zurück auf Ihr jahrzehntelanges Engagement als „Grenzgänger zwischen Migrationsforschung und Migrationspolitik“. Sie haben in diesem Grenzbereich mancherlei Strukturen geschaffen. Was war Ihnen dabei am wichtigsten und was wirkte am nachhaltigsten?

Klaus J. Bade: Ich lasse die vielen Enttäuschungen und Frustrationen auf diesem langen Weg hier mal weg, von denen mein Buch auch berichtet. Ich bin dankbar dafür, dass ich einige größere und bis heute existierende Organisationen ideell und konzeptionell anschieben durfte. Das reicht, um nur drei Beispiele zu nennen, von dem Osnabrücker Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) über den bundesweiten Rat für Migration (RfM) bis zu dem gleichermaßen bundesweit aufgestellten Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) in Berlin. Das sind bis heute positionsstarke Strukturen, um mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und Prioritäten Migrationsforschung multi- und interdisziplinär zu vernetzen und wissenschaftlich fundierte Argumente öffentlichkeitswirksam in Stellung zu bringen.

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Info: Am 21. April 2017 wird im Senatssaal der Humboldt-Universität zu Berlin das neue Buch von Klaus J. Bade „Migration – Flucht – Integration. Kritische Politikbegleitung von der ‚Gastarbeiterfrage‘ bis zur ‚Flüchtlingskrise‘. Erinnerungen und Beiträge“ vorgestellt. Es bietet einen autobiographischen Rückblick des Migrationsforschers, Politikberaters und Politikkritikers und eine Auswahl seiner publizistischen Beiträge: von der ‚Gastarbeiterfrage’ in den 1980er Jahren bis zur ‚Flüchtlingskrise’ heute. – Karlsruhe 2017 (Von Loeper Literaturverlag). 650 S., 32 EUR. (Subskriptionspreis bis 30.4.2017: € 25,-). Open Access ab 21.04.2017 unter www.imis.uni-osnabrück.de

Wir standen dabei nicht ganz allein. Es gab auch einige – anfangs sehr wenige – andere Kolleginnen und Kollegen, die sich hier früh teils wissenschaftlich, teils zusätzlich auch organisatorisch eingebracht haben. Neben den Grundlagenforschern Hartmut Esser und Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny denke ich dabei zum Beispiel an Wilhelm Heitmeyer und Friedrich Heckmann. Heitmeyer hat das heute von Andreas Zick geleitete Bielefelder Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) auf den Weg gebracht, Heckmann das europäischen Forum für Migrationsstudien (efms) an der Universität Bamberg. Trotz solcher Bemühungen kam die Förderung von Migrationsforschung innerhalb und außerhalb der Universitäten in Deutschland lange nur zögerlich voran…

Warum?

Bade: Anfang der 1980er Jahre galt Migrationsforschung in Deutschland noch als ein exotisches Randgebiet ohne besonderen Bedeutung, abgesehen einmal von der meist als ‚Ausländerforschung’ umschriebenen ‚Gastarbeiterforschung’, in der sich zum Beispiel die VolkswagenStiftung schon frühzeitig fördernd engagiert hatte. In den frühen 1980er Jahren war vieles von dem, was heute selbstverständlich ist, noch ein fernes Ziel: Das gilt für stabile Forschungsorganisationen, für starke Förderungen zuerst von Stiftungen, dann auch von staatlicher Seite. Es gilt für außeruniversitäre Thinktanks im Gebiet von Migration und Integration. Und es gilt an den Universitäten selbst für diverse Forschungsinstitute und heute sogar für Lehrstühle mit dem Aufgabenfeld Migrationsforschung – einem Feld, das es in den 1980er Jahren noch nicht einmal dem Namen nach gab.

Ich freue ich mich, dass es nun sogar gelungen zu sein scheint, über Stiftungsinitiativen hinaus auch mithilfe von zum Teil millionenstarken staatlichen Förderungen bundesweit vernetzte und belastbare Strukturen im Grenzfeld von Migrationsforschung, Politikberatung und kritischer Politikbegleitung zu sichern. Dabei soll das noch junge, vor allem durch die Namen Naika Foroutan, Wolfgang Kaschuba und Herbert Brücker bekannt gewordene Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) eine wichtige Rolle spielen.

Das sind Verdienste von großen privaten Stiftungen und jetzt auch von staatlicher Seite. Dabei sind hier besonders die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoğuz und die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig hervorgetreten; übrigens sehr zum Missfallen des an sich für Forschungsförderung zuständigen Bundesministeriums für Bildung und Forschung, das hier zunächst zögerlich war, dann aber umso mehr andernorts aus eigenen Mitteln beisteuerte. Das sind Perspektiven, für die ich selber jahrzehntelang geworben habe – allerdings immer unter der Bedingung, dass dabei die Unabhängigkeit der Forschung gegenüber außerwissenschaftlichen Sponsoren gewahrt bleibt.

Buchvorstellung am 21.4.2017

Also Grund zu ungeteilter Freude auf Ihrer Seite?

Bade: Nein, eben nicht ungeteilt; denn meine Freude über diesen starken Zugewinn an Forschungsförderung wird getrübt durch die Tatsache, dass dies, wieder einmal, weniger erkenntnisbegründet als krisenbedingt war: Hinter der sogenannten Flüchtlingskrise steht doch in Wahrheit eine Weltkrise, die Flüchtlinge vor die zunehmend geschlossenen Tore einer Festung Europa spült. Die Festung zielt immer mehr auf Begrenzung der Asylzuwanderung und trägt damit zu einer Art sozialdarwinistischen Migrantenauslese bei: Es gibt ohnehin eine Dominanz jener sozial besser gestellten Flüchtlinge und Wirtschaftswanderer, die sich, mit eigenen oder geliehenen Mitteln, die große Wanderung überhaupt leisten können. Die Elenden und Ärmsten der Armen haben dazu kaum eine Chance. Zu dieser sozialen kommt die physische Auslese im Blick auf den riskanten Weg zu den europäischen Grenzen und Küsten, den viele nicht überleben, die ‚erfolgreichen’ unter ihnen meist ausgeplündert, oft auch gequält und traumatisiert.

Vor einer solchen Krise und vor ihren auch für Europa selbst gefährlichen Folgen haben wir seit Jahrzehnten vergeblich gewarnt. Literaturkenntnis schützt vor Neuentdeckungen. Heute hat Politik in der Festung Europa die Folgen der globalen Krise auch für die Festung selbst entdeckt. Sie düngt vor diesem Krisenhintergrund die Forschungsfelder Migration und Integration mit wachstumsförderndem Geld. Das geschieht auch in der trügerischen Hoffnung, dass Forschung „Lösungen“ für die immer drängender werdenden Migrationsprobleme entwickeln möge.

Warum ist diese Hoffnung trügerisch?

Bade: Migration ist keine „Herausforderung“, die durch Migrationspolitik „gelöst“ oder sogar „bewältigt“ werden kann; denn „Migrationspolitik“ ist meist nur ein Kurieren an Symptomen, Begleitumständen und Folgeerscheinungen. Es geht doch um die weltwirtschaftlichen und weltgesellschaftlichen Ursachen dieser globalen Bewegungen und damit im Kern nicht um Migrationspolitik, sondern um grundlegende, genauer gesagt grundstürzende Systemfragen.

„Dieses System tötet“, hat der mutige, aus der nichtmarxistischen südamerikanischen Befreiungstheologie stammende Papst Franziskus gesagt. Vom „Raubtierkapitalismus“ hat der verstorbene sozialdemokratische Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt gesprochen. Beide ruderten wahrhaftig nicht im gleichen Boot. Aber ihre Worte zielten in die gleiche Richtung: Wir müssen zu globaler Fairness finden. Wir müssen global teilen lernen. Spenden kann Teilen nicht ersetzen. Denn Spenden hat mit Teilen so wenig zu tun wie Nächstenliebe und Barmherzigkeit mit sozialer Gerechtigkeit.

Erst recht keine „Lösung“, sondern ein historischer Skandal sind faule Verträge mit oft selbst fluchtgenerierenden Despoten in den Ausgangsräumen und mit kleptokratischen politischen „Eliten“ in den Transitstaaten. Gegen Geld, Förderungen im Sicherheitsbereich und andere zweifelhafte Leistungen sollen sie Wirtschaftswanderern und durch Krisen mobilisierten Flüchtlingen den Weg nach Europa verlegen und aus Europa abgeschobene „illegale“ Zuwanderer als menschliche Handelsware wieder „zurücknehmnen“. Der nordafrikanische Flüchtlingshändler Gaddafi und der Politmafioso Berlusconi lassen grüßen.

Außerdem gibt es hier eine Art Krisenschaukel: Die Angst vor Migration provoziert umso mehr den Einsatz von Migration als Waffe. Politik muss also noch einiges lernen in diesem viel zu lange sträflich vernachlässigten Handlungsfeld. Die neue Forschungsförderung kann im Ergebnis zu solchen Lernprozessen beitragen, wenn politisch-taktische Rechthaberei nicht die Lernfähigkeit blockiert. Überzeugungsarbeit wird hier nicht einfach sein, weil Lernbereitschaft auch das retrospektive Zugeständnis eigenen Versagens einschließt. Ich wünsche den jüngeren Kolleginnen und Kollegen Erfolg und viel Stehvermögen auf diesem Weg.

Sie haben im Bereich dessen, was Sie „Angewandte Migrationsforschung“ nennen, mancherlei Signalbegriffe geprägt…

Bade: „Angewandte Migrationsforschung“ meint im Deutschen das, was im anglophonen Sprachraum „Applied Migration Research“ genannt wird. Angewandte Migrationsforschung zielt auf die verschiedensten Bereiche der praktischen Gestaltung, zu denen auch, aber keineswegs nur die politische Gestaltung gehört. Diese stark interdisziplinäre Forschungsrichtung erhebt nicht den expertokratischen Anspruch, Wissenschaft könnte in Migrationsfragen „Lösungskonzepte“ erarbeiten, die dann auf kommunaler, nationaler, internationaler und globaler Ebene nur noch umzusetzen wären. Das wäre nicht nur verwegen, sondern auch absurd; denn Migration ist kein Problem, das man „lösen“ kann. Es ist eine Dynamik, die man nur gestaltend begleiten und in ihren Ursachen dort begrenzen kann, wo es um mehr oder minder unfreiwillige Wanderungen geht, also insbesondere bei Flucht aus Krisen- und Kriegsgebieten und bei wirtschaftlich oder zunehmend auch klimatisch bedingten Überlebenswanderungen.

Angewandte Migrationsforschung kann zum Beispiel für Politik und Kommunen vorhandene oder erwartbare Probleme in Sachen Migration, Flucht und Integration analysieren und die für anstehende Gestaltungsaufgaben unabdingbaren Bestandsaufnahmen liefern. Sie kann Interdependenzen in den Gestaltungsfeldern aufzeigen und Handlungsoptionen freilegen. Sie kann potentielle nichtintendierte Folgen politischen Handelns diskutieren. Sie kann ferner zeigen, dass wegen der Eigendynamik von Migrations- und Integrationsprozessen auch Wegducken und Nichthandeln bei Entscheidungs- und Handlungsbedarf sehr folgenreich sein können. Dabei geht es nicht nur um empirische Migrationsforschung. Historische Erfahrungen und die Kenntnis von aus der Vergangenheit in die Gegenwart hineinragenden Entwicklungslinien und Folgeproblemen sind nicht minder hilfreich für ein zureichendes Verständnis aktuell anstehender und erwartbarer Probleme.

Prof. Dr. Klaus J. Bade, geb. 1944, ist Migrationsforscher, Publizist und Politikberater. Er lehrte bis 2007 Neueste Geschichte an der Universität Osnabrück und lebt seither in Berlin. Er war u.a. Begründer des Osnabrücker Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS), des bundesweiten Rates für Migration (RfM) und bis 2012 Gründungsvorsitzender des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) in Berlin. Bade hatte Fellowships/Gastprofessuren an den Universitäten Harvard und Oxford, an der Niederländischen Akademie der Wissenschaften sowie am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Er hat zu Migration und Integration in Geschichte und Gegenwart viele Forschungsprojekte geleitet, einige Dutzend Bücher und zahlreiche kleinere Arbeiten veröffentlicht. Für sein Engagement in Forschung und kritischer Politikbegleitung hat er diverse Auszeichnungen erhalten u.a. das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse (www.kjbade.de). Aktuell ist sein neues Buch „Kritik und Gewalt. Sarrazin-Debatte, ‚Islamkritik‘ und Terror in der Einwanderungs- gesellschaft„, Schwalbach i. T. 2013 (ergänzte 3. Aufl. als eBook 2014).

Wichtig ist dabei, keine Erkenntnismonopole zu beanspruchen und die Regelsysteme, in denen praktische Gestaltung abläuft oder auch eingeklemmt ist, ebenso zu beachten wie die unterschiedlich ausgeprägten Grenzen der Gestaltbarkeit, sofern der Hinweis darauf nicht nur Ausflucht aus mangelnder Gestaltungsbereitschaft ist. Das heißt auch, Politik nicht wissenschaftlich gering zu achten, aber auch nicht zu überfordern; denn sie operiert in einem ganz anderen, von den verschiedensten Kräftekonkurrenzen, von schwer kalkulierbaren Gelegenheitsstrukturen und auch von schieren Zufällen beeinflussten und begrenzten Bewegungsfeld.

Was haben Sie in diesem Zusammenhang mit Ihrem Begriff des „doppelten Dialogs“ gemeint?

Bade: Gemeint war damit die in Sachen Migration und Integration zunächst lange wenig ausgeprägte interdisziplinäre Kommunikation zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Fachgebieten bzw. Forschungsrichtungen. Gemeint war zusätzlich der Dialog zwischen interdisziplinär kommunizierender Wissenschaft und Vertretern der verschiedensten Praxisfelder, zu denen auch die politische Gestaltung gehört.

Im Auge behalten musste man dabei von Beginn an die Gefahr von Umarmungstendenzen auf beiden und zwischen beiden Seiten: Interdisziplinarität im Bereich der Wissenschaft darf nicht dazu führen, dass alle den multidisziplinären Kanon selber singen wollen, statt sich auf den eigenen Einsatz bzw. die eigene Melodie zu konzentrieren, anders gesagt: Wenn sich alle zum Beispiel gegenseitig bescheinigen, Rechts-, Wirtschafts-, Kultur- und Sozialwissenschaftler zugleich zu sein, dann können sie nichts mehr voneinander lernen. In der interdisziplinären Kommunikation haben Zugehörige unterschiedlicher Fachgebiete und Forschungsrichtungen mehr voneinander, wenn sie bleiben, was sie sind: Vertreter unterschiedlicher, sich aber multi- und interdisziplinär ergänzender wissenschaftlicher Ansätze und Forschungsfragen.

Das Gleiche gilt für einen unreflektierten Schulterschluss zwischen Wissenschaft und Praxis: Es nützt niemandem, wenn sich in kollektivem Mummenschanz Wissenschaftler als Praktiker und Praktiker als Wissenschaftler verkleiden. Viele von uns waren und sind zwar in beiden Feldern tätig, aber die Grenzen müssen dennoch gewahrt bleiben, um besser voneinander und miteinander lernen zu können.

Und wie kam es zu Ihrem Begriff der ‚Kritischen Politikbegleitung’?

Bade: Das war die Antwort auf Frustrationen durch die auch über die 1980er Jahre hinaus lange anhaltende politische Erkenntnisverweigerung: Was wissenschaftlich nachweisbar war, wurde von vermeintlich höherer politischer Warte aus oft borniert dementiert. Das galt zum Beispiel für die wissenschaftlich aber auch im interkulturellen Alltag unverkennbaren und auf der letztlich immer entscheidenden kommunalen Ebene auch durch pragmatische Integrationspolitik gestalteten Wege zu „Einwanderungsland“ und „Einwanderungsgesellschaft“. Diese Wege wurden auf der Bundesebene lange und im Grunde bis zur rotgrünen Koalition politisch oft nicht nur nicht fördernd begleitet, sondern sogar nachhaltig behindert. Wenn man in den 1980er Jahren einem Minister oder einem leitenden Ministerialbeamten sagte, man habe in Sachen Gesellschaftspolitik eine Idee, dann konnte man dem Sinne nach hören: Und ich habe ein Regal mit der Aufschrift “Wissenschaftliche Ideen“. Man spürte buchstäblich, dass man im Grunde nur für politische Archivregale schrieb.

Es gab unterschiedliche Reaktionen auf solche Erfahrungen: Der Soziologe Hartmut Esser hat sich einmal für längere Zeit ganz aus dem von ihm im Zusammenhang der „Gastarbeiterfrage“ schon frühzeitig beackerten Forschungs- und Beratungsfeld zurückgezogen und sich zunächst wieder auf die Grundlagenforschung konzentriert, weil, wie er mir mitteilte, Politik offenbar nicht lernfähig sei. Der Politologe Dieter Oberdörfer hat immer wieder politikkritische Eingaben in Sachen Migration und Integration “nur für die Akten“ geschrieben, damit, wie er mir einmal sagte, später nicht der Eindruck entstünde, Wissenschaft habe sich hier nicht rechtzeitig zu Wort gemeldet. Ich selber habe dafür votiert, die Strategie zu ändern und als Wissenschaftler nicht mehr direkte Politikberatung anzubieten, sondern kritische Informationen über und für Politik sowie für die weitere Öffentlichkeit auf dem Umweg über die Medien zu präsentieren.

Das hatte für Politik, die gerade hier sehr verletzlich ist, mitunter den Charakter einer lästigen Pression, war aber durchaus erfolgreich. Das zeigt zum Beispiel der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration, dem ich als Gründungsvorsitzender diese Strategie konzeptionell in die Wiege gelegt habe der heute gern gesehener Gast in mit Migration und Integration befassten Ministerien ist; denn er ist, zusammen mit seinem Forschungsbereich, nicht nur fachlich breit aufgestellt, exzellent sachkundig und unabhängig, sondern kann für Politik in seiner viel beachteten Außenwirkung nötigenfalls auch unangenehm oder sogar gefährlich werden. Dabei gibt es natürlich schwimmende Grenzen: Aus kritischer Politikbegleitung in Distanz zur Politik kann auch politiknahe Beratung werden und umgekehrt.

Was würden Sie, rückblickend betrachtet, in der strategischen Kommunikation zwischen Migrationsforschung und Migrationspolitik heute anders machen?

Bade: Gute Frage. Ich war in der Öffentlichkeitsarbeit ja nicht ganz unerfahren, als ich dieses Terrain betrat; denn ich hatte mein Studium durch Arbeit für eine Frankfurter Public-Relations-Agentur finanziert. Ich wusste also, wie man Ideen öffentlich in Stellung bringt. Aber ich war hier vielleicht nicht konsequent genug: Ich habe, um nur zwei Beispiele zu nennen, einerseits Kontakte zu Sensationsmedien gemieden und andererseits einen an sich sehr öffentlichkeitswirksamen Bereich persönlich immer ausgespart: die sogenannten Talk-Shows. Ich hasse es, vor der Kamera applausorientiert mit Schlagworten und vorgefertigten Pointen zu hantieren. Ich habe entsprechende Einladungen deshalb immer abgelehnt, abgesehen von Ausnahmen wie zum Beispiel der „Phoenix-Runde“, bei der es kein Publikum gab.

Diese Zurückhaltung war, rückblickend betrachtet, vielleicht nicht hilfreich in der Sache. Denn wenn man den Markt der Meinungen erreichen will, muss man auch weniger angenehme Medien einbeziehen. Aber ich bin hier nur bedingt lernfähig und würde mich, wenn ich lebensgeschichtlich die Chance dazu hätte, hier wohl kaum anders verhalten.

Sie haben nicht nur in der Forschung, sondern auch in der öffentlichen Diskussion viele Spuren hinterlassen. Seit 2016 haben Sie sich nach jahrzehntelangem Engagement weitgehend aus der aktuellen Tagesdebatte in den Medien zurückgezogen. Was war der Grund?

Bade: Um gegen erhebliche Widerstände dicke Bretter zu bohren, muss man in Wort und Schrift sehr oft das gleiche sagen. Ich wiederhole mich auf die Dauer ungern. Was ich zu sagen hatte, habe ich oft genug gesagt. Was es darüber hinaus zu sagen gibt, können andere ebenso gut. Deshalb habe ich seit 2016 bei Medienanfragen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, immer auf jüngere Kolleginnen und Kollegen verwiesen. Das wird auch so bleiben. Aber Ausnahmen bestätigen die Regel: In meiner MiGAZIN-Kolumne ‚Bades Meinung’ zum Beispiel werde ich mich auch weiterhin gelegentlich zu Wort melden.

Das freut uns, vielen Dank.