Rezension
Migration, Flucht, Integration. Eine Kritische Politikbegleitung von Prof. Klaus J. Bade
Prof. Klaus J. Bade ist einer der Begründer der Migrationsforschung in Deutschland. In seinem neuen Buch zieht er auf über 600 Seiten und in zwölf Abschnitten eine ausführliche Bilanz - von der Gastarbeiterfrage bis zur aktuellen "Flüchtlingskrise". Eine Rezension von Prof. Dirk Halm.
Von Dirk Halm Mittwoch, 08.03.2017, 4:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 12.03.2017, 14:52 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Mit seinem neuen Buch zieht Klaus J. Bade, einer der Begründer der Migrationsforschung in Deutschland, Bilanz seiner bisherigen Arbeit an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik seit den 1980er Jahren. Er selbst verweist im Buch auf die zahlreichen, ihm in den vergangenen Jahrzehnten zugedachten Charakterisierungen, vom „Anwalt für die Fremden“ bis hin zum „Migrationspapst“, sämtlich Bezeichnungen, die Bades Selbstverständnis kaum treffen, die aber sehr wohl auf die öffentliche Bedeutung seiner Arbeit und auch auf ihre gesellschaftliche Wirkung hinweisen, auch wenn letztere nicht immer so effektiv war, wie es im Sinne einer entschlossenen Gestaltung des Einwanderungslandes Deutschland zu wünschen gewesen wäre. Bade selbst bezeichnet seine Rolle zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik als die des kritischen Politikbegleiters, und um die Bilanz dieser Arbeit geht es im nun vorliegenden Band; nicht in erster Linie um die Dokumentation der mindestens ebenso wichtigen wissenschaftlichen Leistung Bades als Begründer einer historisch orientierten Migrationsforschung.
Der Band bietet auf über 600 Seiten eine umfassende Zusammenstellung von Bades kürzeren publizistischen Beiträgen, deren Adressatenkreis über die engere wissenschaftliche Community hinausging, übersichtlich thematisch bzw. debattengeschichtlich in zwölf Abschnitte gegliedert, beginnend mit den ersten Versuchen, im für die Einwandererintegration „verlorenen Jahrzehnt“ der 1980er Jahre unter Hinweis auf die deutsche Einwanderungswirklichkeit die Verweigerungshaltung der deutschen Politik gegenüber dem Thema aufzubrechen, über die Arbeit der Unabhängigen Kommission „Zuwanderung“ und die Enttabuisierung des Themas um die Jahrtausendwende bis hin zur „Flüchtlingskrise“ der Jahre 2015/2016.
Info: Klaus J. Bade: Migration – Flucht – Integration. Kritische Politikbegleitung von der „Gastarbeiterfrage“ bis zur „Flüchtlingskrise“. Erinnerungen und Beiträge. Karlsruhe 2017 (Von Loeper Literaturverlag). 650 S., 32 EUR. (Subskriptionspreis bis 30.4.2017: € 25,-). Open Access ab 21.04.2017 unter www.imis.uni-osnabrück.de
Der Dokumentation ist ein ausführlicher, rund 100seitiger und mit der thematischen Gliederung korrespondierender Kommentar Bades vorangestellt, der jeweils kurz in die Debatten einführt, durch die Lieferung von Hintergrundinformationen das Verständnis und die Einordung der Texte ermöglicht und nicht zuletzt auch Aufschluss über eingetretene oder ausgebliebene Wirkungen seiner Interventionen gibt.
Der große Wert des von Bade vorgelegten Bandes ergibt sich in dreierlei Hinsicht: Zunächst sind publizistische Beiträge, zumal wenn sie vor der Internet-Ära entstanden sind, flüchtig und langfristig schwer zugänglich, im Gegensatz zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Insofern ist es verdienstvoll, der Öffentlichkeit nicht nur die wissenschaftliche, sondern auch die weitergehende publizistische Arbeit Bades in bequem verfügbarer Form zu sichern, gerade weil die Mittlerrolle zwischen Wissenschaft und Politik bei ihm kein Beiwerk, sondern sehr wesentlicher Bestandteil des Wirkens ist.
Weiterhin leistet der Band einen willkommenen Beitrag zur Debattengeschichte der deutschen Migrations- und Integrationspolitik, wobei der Einfluss Bades auf diese Debatten (und darüber hinaus auf die institutionelle Entwicklung der deutschen Migrationsforschung und -politik) maßgeblich war. Entsprechend sind die nun zugänglichen Erinnerungen und Beiträge von allgemeiner Bedeutung für einen Rückblick auf die verspätete deutsche Einwanderungsgesellschaft, obwohl Bade in seinem Vorwort nicht den Anspruch erhebt, die Debatten umfassend abzubilden. Anders formuliert: Auch ohne expliziten Fokus auf die Beteiligung Klaus Bades würde ein solcher Rückblick kaum andere Schwerpunkte setzen: Das „Manifest der 60“ in der Folge der Asyldebatte der frühen 1990er Jahre, die Etablierung politikberatender Gremien auf Bundesebene, die Einrichtung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge… Der Band schildert die wesentlichen Entwicklungen aus der Sicht des Zeitzeugen.
Und schließlich ist Bades Buch eine durchaus spannende Lektüre speziell für Wissenschaftler und wissenschaftlich Interessierte, deren Disziplinen nahe an der Schnittstelle von Populärdiskursen zu verorten sind, wie es bei den Feldern Migration und Integration der Fall ist. Bades Biographie als kritischer Politikbegleiter macht sehr deutlich, dass aus der wissenschaftliche Arbeit hier in besonderem Umfang gesellschaftliche Verantwortung folgt, der es gerecht zu werden gilt. Es wird aber zugleich klar, wie mühsam das Geschäft der Vermittlung wissenschaftlicher Wahrheit im Umfeld politischer Interessen, bequem gewordener Stereotypen und von Affirmationsdiskursen ist.
Nachdrücklich zu empfehlen ist das Werk zudem auch für Journalistinnen und Journalisten, die zu den Themen Migration und Integration arbeiten. Der Band und seine Beiträge aus vier Jahrzehnten sind auch als Gegenentwurf zu in Konjunkturen verlaufenden Desintegrationsdebatten über einen Gegenstand zu lesen, der eigentlich eine fortdauernde gesellschaftliche Normalität ist.
Hervorzuheben ist noch, dass das Werk neben der Buchpublikation auch online im Open Access zu Verfügung stehen wird, dem Trend zur freien Verfügbarkeit wichtiger wissenschaftlicher Beiträge folgend. Aydan Özoğuz, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, hat ein Geleitwort beigesteuert. Aktuell Rezension
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