Sven Bensmann, Migazin, Kolumne, bensmann kolumne
MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, bearb. MiG

Gelichter

Jeder Krieg ist eine Niederlage

In Deutschland spaltet kaum ein Thema so sehr, wie Israel. Ohne dass je viel sinnvolles gesagt würde. Sven Bensmann versucht's trotzdem.

Dienstag, 28.03.2017, 4:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 28.03.2017, 17:44 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Jetzt, da die Aufmerksamkeit für die Saarlandwahl langsam wieder abebbt, reden wir doch mal über Israel. Nicht weil mir bei dem Gedanken, dass nun all diese verhinderten Antisemiten, Philosemiten und Grassisten aus ihren Löchern gekrochen kommen, einer abginge. Tatsächlich spaltet in Deutschland kaum ein Thema so sehr, wie Israel. Ohne dass je viel sinnvolles gesagt würde. „Erdoğan“ mag mancher einwenden „spaltet aktuell mindestens ebenso sehr“ – dafür wird aber immerhin von vielen Seiten Handfestes und Richtiges beigesteuert. Eine Gnade die Israel gewöhnlich nicht zuteil wird. Ich werd’s trotzdem versuchen.

Schauen wir uns daher zunächst einmal die Nachrichtenlage an.

___STEADY_PAYWALL___

Die UN haben kürzlich Israel in einem Bericht der Apartheid beschuldigt. Dies passierte aus naheliegenden Gründen. Vor allem politischer Art: solche „israelkritischen“ Resolutionen haben in den UN aufgrund deren Zusammensetzung traditionell eine breite Mehrheit. Gleichzeitig sendet nun Donald Trump aus den USA, ebenso traditionell ja die Schutzmacht Israels, mindestens mehrdeutige Signale, die ganz Israel ernsthaft verunsichern müssen. Trumps Rhetorik des Isolationismus hat das Potenzial, Israel in seiner Substanz zu bedrohen. Offensichtlich als Reaktion versucht Israel daher gerade, die Golfstaaten in einem Militärbündnis zu verbinden, dass sich zunächst einmal gegen den Iran richtet. Und dann rufen auch noch mal wieder diverse Wichtigtuer, auch hierzulande, zum Boykott von israelischen Waren auf. So soll Druck auf eine Nation aufgebaut werden, die aus der Schoah geboren wurde, also praktisch wortwörtlich aus Feuer und Asche, und die von feindlichen Mächten umgeben ist, die, soweit sie gerade nicht anderweitig beschäftigt sind, ihre Vernichtung anstreben.

Dass solcher Populismus auch in der Linken Zuspruch findet, kann getrost als Schande bezeichnet werden. Denn anders als substanzielle Kritik in Wort und Schrift, die immer eine Berechtigung haben muss – sowohl Deutschland als auch Israel sind freie, demokratische Staaten – rüttelt ein Boykott direkt an den Grundfesten des Staates. Denn genau dazu ist er konzipiert. Deshalb verhängen wir Sanktionen.

Gerade in der neuen Rolle, die Deutschland sich in Europa durch eine rigoros auf ökonomische Unterwerfung der anderen Staaten ausgelegten Politik verschafft hat, kann Deutschland als Ganzes seine Augen heute nicht mehr vor den weltpolitischen Folgen der Marschrichtung der Trump-Administration verschließen. Dass Angela Merkel von der US-Presse zur Führerin der freien Welt ausgerufen wurde, ist alles andere als leichtfertig geschehen. Deutschland wird Verantwortung in der Welt übernehmen müssen, die seiner ökonomischen Stärke entspricht.

Die Idee von Europa als einer Kooperative gleichberechtigter Partner im steten Dialog ist der Idee eines Europas als gemeinsamer Markt unter deutscher Hegemonie gewichen, jedenfalls in großen Teilen der politischen Klasse dieses Landes. Diese Verantwortung werden wir humanitär gegenüber denen ausüben müssen, die durch unsere Politik aus ihrer Heimat vertrieben werden, sie wird aber auch militärisch ausgeübt werden müssen: Der Satz davon, dass nie wieder ein Krieg von deutschem Boden wird ausgehen dürfen, wird nicht durch deutsche Soldaten zu Grabe getragen werden, er wurde bereits durch Politiker wie Schäuble und Lammert beerdigt, deren Fußsoldaten in Ämtern und Banken sitzen, in Vorständen und Aufsichtsräten.

Deutschland kann nicht verlangen, dass in Europa deutsch gesprochen wird, und glauben, dass diese deutsche Stimme nicht auch in militärischem Ton daherbellen wird. Deutschland konnte nur so lange mit dem Pazifismus flirten und sich zur Diplomatie bekennen, wie es geteilt war, und wie es gleichzeitig auf den Weltpolizisten USA schimpfen konnte, der Soldaten schickte. Das vereinigte Deutschland, das hatten Briten und Franzosen schon vor Jahrzehnten vorhergesehen, ist zu groß und zu stark dafür – und mit dem Brexit wird Deutschland nur noch dominanter werden. Dass das Zeitfenster zur Bildung einer Gemeinschaft, die keine Nationen mehr kennt, verstrichen ist, und Europa an Deutschland zerbrechen wird, ist aber ein Thema für einen anderen Text.

Deutschland muss daher – mindestens – in dem Maße, in dem die USA zur Unsicherheit des israelischen Staates beitragen, militärisch für die Sicherheit Israels eintreten. Und dabei ist es völlig egal, ob wir mit der Politik des Rechtsblocks in der Knesset einverstanden sind oder ob es ein formelles Bündnis gibt. Aktuell Meinung

Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)

  1. Gerd Brodowski sagt:

    Ihnen ist bewusst (!), dass Israel eine Atommacht ist, oder?
    Die militärisch-politischen Konsequenzen dürften Ihnen vermutlich ebenfalls bekannt sein – wenn nicht, hilft ein Blick auf die Debatten aus dem sog. Kalten Krieg.
    Wer einfordert, dass Flucht vor Krieg ein – zur Recht – anerkannter Asylgrund ist, sollte m. E. die Kraft darauf verwenden, das Thema Gewaltfreiheit ist den Israel-Diskurs einzuspeisen.
    Dass die Bundesrepublik Deutschland erst kürzlich wieder ein U-Boot an Israel ausgeliefert hat, von dem Israel sein eingangs erwähnten Atomwaffen abfeuern kann, ist leider kein Ruhmesblatt bundesdeutscher Entspannungspolitik.

  2. karakal sagt:

    Als die Nazis ihre Verbrechen an den Juden und Angehörigen anderer Minderheiten begingen, gab es keinen Staat Israel. Dieser wurde erst 1947 auf äußerst fragwürdige Weise zu Lasten des palästinensischen Volkes errichtet. Die BRD hat die Opfer, bzw. Angehörigen der Opfer jener Judenvernichtung – soweit eine materielle Entschädigung überhaupt möglich ist – ausreichend entschädigt. Von den Angehörigen der Tätergeneration ist kaum noch jemand am Leben, und eine moralische Schuld ist nicht vererbbar. Somit ist die BRD Israel gegenüber zu gar nichts verpflichtet, schon gar nicht dazu, dieses zionistische Appartheidsregime, zu dem der Staat Israel geworden ist – falls er es nicht schon von Anfang an war – zu schützen. Wenn dein Freund Unrecht begeht, ist es als sein Freund deine Pflicht, ihm zu helfen, und zwar in der Weise, daß du ihn davon abhältst, Unrecht zu begehen, und nicht in der, daß du ihn in seinem Unrecht bestärkst und ihn dabei untersützt, es zu begehen.
    Die Aussage „Und dabei ist es völlig egal, ob wir mit der Politik des Rechtsblocks in der Knesset einverstanden sind oder ob es ein formelles Bündnis gibt“ ist somit inakzeptabel und stellt aus meiner Sicht nicht nur einen Verrat am palästinensischen, sondern auch am deutschen Volk dar.

  3. karakal sagt:

    Die Aussage „… und die von feindlichen Mächten umgeben ist, die, soweit sie gerade nicht anderweitig beschäftigt sind, ihre Vernichtung anstreben“ ist heute mehr denn je stark übertrieben:
    Die Türkei hat ihre Beziehungen zu Israel normalisiert, Ägypten ist durch einen Friedensvertrag gebunden, und das gegenwärtige ägyptische Regime ist dem zionistischen gegenüber so willfährig wie kaum eine ägyptische Regierung zuvor. Jordanien hat mit Israel einen Friedensvertrag geschlossen und daraufhin seine Streitkräfte stark reduziert, so u. a. die Wehrpflicht abgeschafft. Saudi Arabien stellt sich Israel gegenüber nur äußerlich feindlich, um als „Hüter der heiligen Stätten“ und der Islamischen Welt gegenüber sein Gesicht zu wahren, für eine geheime Zusammenarbeit mit Israel gibt es jedoch einige Hinweise, wie auch das saudische Königshaus verdächtigt wird, jüdischer Herkunft zu sein. Syrien befindet sich derzeit in einem Krieg, aus dem es wohl nur zerstückelt und geschwächt hervorgehen wird. Die Plakate der Huthi-Rebellen im Jemen mit der Parole: „… Tod Israel, Tod den USA“ sind nur leere Worte, und vermutlich wird diese Bewegung eine militärische Niederlage erleiden. Der Libanon ist zu schwach, um irgendetwas zu unternehmen, und Hisbollah ist von Iran abhängig. Die Iraner sind sehr geschickte Politiker und viel zu schlau, um die Atommacht Israel direkt anzugreifen; sie wissen genau, daß die Reaktion darauf die Auslöschung des Iran wäre. Nachdem ihr unter dem schiitischen Islam versteckter iranischer Nationalismus mit dem Streben nach der Stellung einer regionalen Großmacht immer offensichtlicher wird, kann Iran im Kriegsfall noch weniger auf den Beistand der sunnitischen Muslime hoffen. Der Irak ist ebenfalls geschwächt und militärisch von den USA und politisch von Iran abhängig. In Barzanis Kurdistan hat Israel ohnehin bereits einen Fuß stehen. Wer bleibt dann noch als feindliche Macht? Vielleicht diverse terroristische Vereinigungen, wie ein Ableger des vorgeblich „Islamischen Staates“ auf der Sinai-Halbinsel.
    Nein! Die gefährlichste feindliche Macht für Israel sind die religiös-nationalistischen radikal-zionistischen Siedler mit dem Rechtsblock in der Knesset, die dabei sind, den Bogen soweit zu überspannen, bis er bricht.

  4. aloo masala sagt:

    Was ein Artikel. Da weiß man nicht wo man anfangen soll. Fangen wir mit den Sanktionen an. Diese lehne ich auch ab. Sie haben im Grunde nur die Zerstörung Israels zum Ziel. Das war es dann aber auch schon mit Gemeinsamkeiten.

    Picken wir doch einen dahingeschmissenen Satz heraus, der zwar oft genug wiederholt wurde, dass er den Staus eines Dogmas hat aber trotzdem zweifelhaft ist:

    —-
    sowohl Deutschland als auch Israel sind freie, demokratische Staaten
    —-

    Israel ist Demokratie für die einen und Enteignung für die anderen.

    Israel hat sein liberales Selbstbild mit der faktischen Annexion der besetzten palästinensischen Gebiete schon 1967 aufgegeben. Seither entwickelte Israel eine aggressive und expansive Siedlungspolitik, deren Ziel es ist, Fakten zu schaffen, die natürlichen Ressourcen in den besetzten Gebieten zu kontrollieren und die demographischen Verhältnisse zu eigenem Gunsten zu verschieben. Das ist ein seit Jahrzehnten andauernder Völkerrechtsbruch.

    Die repressive Politik Israels gipfelte 1982 in der Besetzung des Libanon. Damals verloren 20.000 Libanesen und Palästinensern durch die Bombardierungen der israelischen Luftwaffe das Leben, ermöglichte die Regierung Begins das Massaker, das christliche Milizen in den palästinensischen Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila verübten. Weitere Massaker mit tausenden von Toten folgten bei regelmäßigen Luftangriffen auf Gaza.

    Israels Pläne für die Palästinenser haben sich an den von Mosche Dajan formulierten Leitsätzen orientiert: Israel solle den Flüchtlingen klar machen, dass „wir keine Lösung haben, und ihr wie Hunde weiterleben werdet, und wer gehen will, kann gehen“. Auf Kritik antwortete er mit einem Satz Ben-Gurions: „Wer das zionistische Problem von einem moralischen Standpunkt aus angeht, ist kein Zionist. Er hätte auch den ersten Präsidenten Israels, Chaim Weizmann zitieren können, der das Schicksal von „einigen hunderttausend Negern“ in der Heimat der Juden für „eine bedeutungslose Angelegenheit“ hielt.

    Bei Wikileaks finden sich immer wieder als geheim klassifizierte Dokumente, die Israels Absichten offenlegen. Im Jahr 2011 wurde bekannt, dass Israel versuchte Gaza am Rande des Kollaps zu halten ohne dabei eine humantäre Krise zu verursachen. Letztere werfe schlechtes Licht auf Israel.

    Eine logische Konsequenz dieser Politik ist, dass seit langem die Palästinenser allerlei erdulden müssen: Folter, Terror, Zerstörung von Eigentum, Verschleppung, Besiedelung ihres Territoriums und die Übernahme grundlegender Ressourcen, deren wichtigste Wasser ist.

    Unter Demokratie verstehe ich etwas anderes.

  5. aloo masala sagt:

    Sie schreiben:
    —-
    Die UN haben kürzlich Israel in einem Bericht der Apartheid beschuldigt. Dies passierte aus naheliegenden Gründen. Vor allem politischer Art: solche „israelkritischen“ Resolutionen haben in den UN aufgrund deren Zusammensetzung traditionell eine breite Mehrheit.
    —-

    Der Sachverhalt ist etwas anders. Die UN hat Israel nicht der Apartheid beschuldigt und es gab deswegen kürzlich auch keine derartige Resolution, für die es eine traditionell breite Mehrheit bedurfte.

    Es handelt sich um einen Bericht der Economic and Social Commission for Western Asia. Es ist der erste Bericht eines UN Gremiums der „klar und deutlich zu dem Schluss kommt, dass Israel ein rassistischer Staat ist, der ein Apartheid-System gegründet hat, um das palästinensische Volk zu unterdrücken“. Bei dem Bericht handelte es sich um eine akademische Abhandlung in Jura. Der Bericht wurde vor Veröffentlichung – wie es bei akademischen Abhandlungen üblich ist – von vier international hoch angesehenen Juristen aus aller Welt unabhängig voneinander begutachtet. Dre Gutachten waren positiv und ein Gutachten hatte einige Beanstandungen, die eingearbeitet wurden. Die Gutachter sind anonym, auch das ist üblich bei akademischen Abhandlungen.

    Die internationalen Konventionen von Rom legen fest, was ein Apartheid-Staat ist. Danach kann jeder selbst beurteilen, inwieweit die Schlussfolgerung des ESCWA-Berichts zutrifft oder falsch ist:
    http://www.preventgenocide.org/law/icc/statute/part-a.htm

    UN-Generalsekretär Guterres wies den ESCWA-Bericht zurück und forderte die Kommission auf, den Bericht von der Webseite zu entfernen. Rima Khalaf, die Exekutivsekretärin der ESCWA trat auf massiven Druck der UN zurück. Inhaltlich brachte Guterres keine Gegenargumente hervor. Er stand wohl selbst unter Druck und rechtfertigte sein Vorgehen mit dem Hinweis auf das angebliche Prozedere der ESCWA. Doch selbst dieser Einschätzung von Guterres wurde widersprochen. Auf Rima Khalaf wurde Druck ausgeübt, sie wurde eingeschüchtert und der Bericht zensiert.

    Entscheidend ist, der ESCWA-Berichts hat einen Inhalt. Dieser Inhalt kann belegt oder aber auch widerlegt werden. Eine Auseinandersetzung mit den Inhalten findet jedoch nicht statt. Stattdessen wird abgelenkt und die Glaubwürdigkeit angegriffen. Das war schon beim Goldstone Report so. Und das wird in Zukunft auch nicht anders ablaufen.