Somalia
Sobald es neue Gewalt gibt, werden wir sofort wieder losrennen
Das Oberste Gericht in Kenia hat die Schließung des weltweit größten Flüchtlingslagers Dadaab verboten. Dort leben 260.000 Menschen, vornehmlich Somalier. Mohamed Shiekuna und Sahra Ulow Abdi das Lager freiwillig verlassen. Doch ihre Rückkehr nach Somalia bedauern zutiefst.
Von Bettina Rühl Montag, 13.02.2017, 4:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 31.07.2017, 10:24 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Als Mohamed Shiekuna auf dem Lkw zurück nach Hause saß, empfand er keinerlei Vorfreude. „Ich war voller Sorge“, erzählt der 50-jährige Vater von sechs Kindern. Aber weil seine Mutter in Somalia krank war, entschied er, mit seiner Familie das Flüchtlingslager Dadaab in Kenia nach zwölf Jahren zu verlassen. Nun hocken Shiekuna und seine Frau Sahra Ulow Abdi auf dem lehmigen Boden vor ihrer Wellblechhütte in der Hauptstadt Mogadischu und fühlen sich sichtbar unwohl.
Auch die Hütten ihrer Nachbarn sind notdürftig zusammengezimmert aus Wellblech, Pappe, Holz und Stoff. Das wilde Vertriebenenlager ist im „Universitätsviertel“ Mogadischus, benannt nach der staatlichen Uni gleich nebenan. Das Gebäude liegt seit vielen Jahren in Trümmern – eine von vielen Ruinen des langjährigen Bürgerkriegs. Auf und neben dem Campus leben Tausende Flüchtlinge. Einige sind ebenfalls aus Kenia zurückgekommen, aber die meisten fliehen in Somalia von Ort zu Ort, sind seit Jahren vor den immer wieder irgendwo neu ausbrechenden Kämpfen auf der Flucht.
Gericht verbietet Schließung des Lagers
Das Lager Dadaab im benachbarten Kenia entstand kurz nach Beginn des Bürgerkriegs 1991, zeitweise lebten dort mehr als 500.000 Menschen, vornehmlich Somalier. Die kenianische Regierung wollte den Lagerkomplex bis Ende November 2016 schließen, verlängerte die Frist dann um sechs Monate. Bewohner berichteten, sie würden unter Druck gesetzt, Dadaab zu verlassen.
Nun verbot Kenias Oberster Gerichtshof die Schließung, sie sei unverhältnismäßig und willkürlich, die Abschiebung der Bewohner verfassungswidrig. Die Reaktion der Regierung auf das Urteil bleibt abzuwarten. Aber die verbliebenen rund 260.000 Bewohner Dadaabs können wieder hoffen.
Abschiebungshilfe für Kenia?
Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR bringt freiwillige Rückkehrer nach Somalia, immer betonend, dass es keine Abschiebungshilfe für die kenianische Regierung leistet. Mehr als 40.000 nahmen die Hilfe bislang in Anspruch. Shiekuna und seine Familie kehrten jedoch auf eigene Faust zurück. Für die Plätze auf dem Lkw nach Somalia verkaufte er den Besitz der Familie: zwei Matratzen, Matten, Kochgeschirr. Druck sei auf ihn keiner ausgeübt worden, sagt der erschöpft und mutlos wirkende Mann.
Der Familienvater hätte vermutlich selbst ohne seinen Flüchtlingsausweis, den Shiekuna, wie er sagt, verloren hat, Anspruch auf Unterstützung gehabt. Er wusste es jedoch nicht. Seit drei Monaten ist die Familie nun in Mogadischu. „Bevor ich die Hütte hier bauen konnte, musste ich zwei Wochen lang auf Baustellen arbeiten.“ Jetzt stößt er die Wellblechtür zu der kleinen, fensterlosen Unterkunft auf, in der er mit seiner Frau und fünf ihrer sechs Kinder lebt. Im Dämmerlicht sind zwei Betten auszumachen, auf denen die Eltern nachts schlafen. Für die Kinder werden Matten auf den sandigen Boden gelegt. Genauso haben sie es schon in Dadaab gemacht.
Geflohen, um zur Ruhe zu kommen
Während Shiekuna sagt, er habe sich in Dadaab nie zu Hause gefühlt, sehnt sich seine Frau nach der Sicherheit des Lagers zurück. Sahra Ulow Abdi war in Mogadischu von einer Granate verletzt worden, ehe sie über die Grenze nach Kenia floh. In Dadaab fand sie so etwas wie Frieden. „Es gab da keine Gefechte, keinen Krieg, keine Kugeln“, erzählt Abdi mit hoffnungslosem Blick. „Ich war dahin geflohen, um zur Ruhe zu kommen, und das konnte ich in Dadaab.“ Mit dem Umzug nach Mogadischu kehrte ihre Angst zurück.
Auch ihr Mann ist inzwischen von Mogadischu enttäuscht. Er war gerade zwei Wochen zurück, da ging schon jemand mit dem Messer auf ihn los. „Wir warteten mit anderen Männern auf Arbeit. Jemand kam und bot einigen Leuten einen Job an, aber er konnte nicht alle von uns gebrauchen“, erinnert er sich. „So entstand Streit, und jemand stach auf mich ein, um mich aus dem Weg zu schaffen.“ Mohameds rechte Schulter schmerzt noch immer.
Einkommen reicht für eine Mahlzeit täglich
Weil er deshalb keine Jobs annehmen kann, lebt die Familie von dem, was seine Frau gelegentlich als Wäscherin verdient. Ihr mageres Einkommen reicht nur für eine Mahlzeit täglich. In Dadaab hatten sie immerhin drei Mal täglich etwas zu essen. Wenigstens können die Kinder weiter lernen, dank einer Hilfsorganisation, die nahe der zerstörten Universität eine Schule betreibt.
„Ich bedaure, dass ich zurückgekommen bin“, sagt Shiekuna. „Ich habe keinen Job, wir haben nicht genug zu Essen – in Dadaab ging es uns besser.“ Gleichzeitig weiß die Familie, dass es noch schlimmer werden kann. „Sobald es neue Gewalt gibt, werden wir sofort wieder losrennen“, sagt Shiekuna. Auch wenn er keine Ahnung hat, wohin. (epd/mig) Ausland Leitartikel
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