Darf man oder darf man nicht?

Die Internetaktion „Yolocaust“ des Künstlers Shahak Shapira polarisiert

Einen Tag vor dem Holocaust-Gedenktag beendet der Künstler Shahak Shapira "Yolocaust". Das Projekt hat gezeigt: 72 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz ist die Frage, wie der NS-Opfer angemessen gedacht werden kann, immer noch aktuell.

Von Elisa Makowski Freitag, 27.01.2017, 4:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 30.01.2017, 17:54 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Kniend und mit pinken Bällen jonglierend, den Selfiestick gezückt, ein keckes Lächeln in die Kamera während man auf dem Rücken liegt – allesamt Fotos, die auf dem Gelände des Holocaustmahnmals in Berlin aufgenommen wurden. Gesammelt und dokumentiert auf der Internetseite „Yolocaust“ des jüdischen Künstlers Shahak Shapira. Fährt man mit der Maus über die Bilder, verschwinden die charakteristischen Stelen im Hintergrund. Die Fotos wechseln von farbig zu schwarz-weiß, sind jetzt mit historischen Aufnahmen unterlegt.

Durch die Fotomontage entstehen neue Bilder: Wer vorher noch zwischen den Stelen jongliert hat, tut es nun in Gräben mit Leichen. Laut Shapira stammen alle historischen Bilder aus ehemaligen Vernichtungslagern: ausgemergelte Lagerinsassen, die einen aus tiefliegenden Augenhöhlen anstarren, Leichenberge, Haufen von Klamotten, die die Häftlinge ablegen mussten.

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Hinterfragen der Erinnerungskultur

Mit der Aktion wolle er „unsere Erinnerungskultur“ hinterfragen, schreibt Shapira auf der gleichnamigen Internetseite. Die Selfies habe er öffentlich zugänglich auf sozialen Netzwerken gefunden. Der Autor, der in Israel geboren ist, lebt seit ein paar Jahren in Berlin. Seine Familie hat den Holocaust überlebt.

„Yolocaust“ ist eine Komposition aus den Wörtern „yolo“, das Jugendwort des Jahres 2012, und Holocaust. Yolo ist ein Akronym für „you only live once“. Damit ist die Aufforderung verknüpft, Spaß zu haben, ohne sich Überlegungen oder Verboten auszusetzen. In zeitlicher Nähe zum 27. Januar, dem Internationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, hat Shapira die Seite veröffentlicht. Er schreibt: „Kein Ereignis gleicht dem Holocaust. Wie man sich an einem Mahnmal für die Ermordung von 6 Millionen Menschen zu benehmen hat, ist jedem selbst überlassen.“

Yolocaust, eine pointierte Kritik

Ganz so offen ist die Frage, wie man sich am zentralen Denkmal in der Hauptstadt benehmen soll, nicht. Weder für den Satiriker Shapira, noch die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Für den Direktor, Uwe Neumärker, ist „Yolocaust“ eine „pointierte Kritik am Fehlverhalten von einzelnen“, stelle aber auch einen „Missbrauch von historischen Fotos dar“.

Es gebe ganz bewusst einen Interpretationsspielraum, wie man sich an dem Gedenkort, den täglich mehrere Tausend Menschen besuchten, zu verhalten habe, sagt Pressesprecherin Sarah Friedrich. Das Denkmal sei ein großes begehbares Kunstwerk, kein Friedhof. „Wir wollen nicht kontrollieren, wie Besucher Fotos machen“. Deshalb sei es auch nicht verboten, im Stelenfeld Selfies zu schießen. Sicherheitskräfte und junges Personal, das Jugendliche anspräche, hätten zudem ein Auge darauf, dass ein würdevolles Verhalten gezeigt werde – was im Allgemeinen auch der Fall sei. „Wir freuen uns, dass junge Leute zu uns kommen“. Diese eigneten sich ihre Umgebung eben auch mit Selfies an.

Shapira schreibt auf seiner Seite: „Das Verhalten mancher Menschen am Holocaust-Mahnmal bewerten viele als respektlos, ja. Aber die Opfer sind tot, also bleibt es fragwürdig, ob es sie die Bohne interessiert.“ Also doch eher ein Mahnmal für die Täter und deren Nachkommen statt eines für die Opfer?

Projekt abgeschlossen

Zum Internationalen Holocaust-Gedenktag am Freitag hat der Künstler Shahak Shapira alle Selfie-Bilder im Stelenfeld des Holocaust-Mahnmals von seiner Internetseite „Yolocaust“ gelöscht. „Die Seite wurde von über 2,5 Millionen Menschen besucht. Das Verrückte ist, dass das Projekt inzwischen auch alle zwölf Personen erreicht hat, die auf den Selfies abgebildet waren“, schrieb Shapira am Donnerstag auf „Yolocaust“. Mit seiner Aktion habe er „unsere Erinnerungskultur“ hinterfragen wollen. Fast alle hätten die Botschaft verstanden, sich entschuldigt und entschieden, ihre Selfies von ihren Facebook- oder Instagram-Profilen zu löschen.

Auf „Yolocaust“ dokumentiert Shapira nun einige der Rückmeldungen, die er auf sein Projekt bekommen hat. Darunter ist auch die E-Mail eines Mannes, dessen Selfie er verwendete und der sich daraufhin bei ihm meldete: „Ich bin der Typ, der dich, wie ich gerade las, zu Yolocaust inspiriert hat“, heißt es in der E-Mail. „Ich habe gesehen was meine Worte ausgelöst haben. Das ist verrückt, und es ist nicht, was ich wollte.“ Für ihn sei diese E-Mail der beste Weg, das Projekt abzuschließen, sagte Shapira. (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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