Buchtipp zum Wochenende
Das Neue-Nachbarn-Kochbuch stellt Rezepte geflüchteter Köche vor
Wenn Menschen fliehen, müssen sie vieles zurücklassen. Erinnerungen an Lieblingsspeisen und Rezepte aber bringt jeder mit. Sternekoch Tony Hohlfeld hat mit sieben geflüchteten Kollegen gekocht. Herausgekommen ist das Neue-Nachbarn-Kochbuch. Von Leonore Kratz
Von Leonore Kratz Freitag, 20.01.2017, 5:19 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 22.01.2017, 13:07 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Hassan Abakar Omar bindet sich seine Schürze um und fängt an, Paprika und grünes Okragemüse zu schneiden. Sein Kollege Tony Hohlfeld, dessen Restaurant „Jante“ in Hannover Anfang Dezember mit dem begehrten Michelin-Stern ausgezeichnet worden ist, übernimmt Zwiebeln und Knoblauch. Heute soll es Lamm-Pilau geben, eine Art Gulasch aus Hassans Heimatland Sudan. „Ich mag es, gutes Essen zu machen“, sagt der 32-Jährige. Hassan hat im Sudan in einem Restaurant gearbeitet, bevor er vor knapp drei Jahren nach Deutschland kam. Er ist einer von sieben geflüchteten Köchen, die insgesamt mehr als 50 Rezepte aus ihrer Heimat in einem „Neue-Nachbarn-Kochbuch“ vorstellen.
Melonenrettich aus dem Iran, Thunfisch mit Fenchel und Birne aus Algerien oder ein Möhrendessert aus Nepal – in dem Mitte Oktober erschienenen Buch gibt es viel zu entdecken. Die Idee dazu hatte der Berliner Restaurantkritiker und Buchautor Robert Kroth. „Als im vergangenen Jahr so viele Flüchtlinge kamen, habe ich mich gefragt, wie wir auch ohne perfekte Deutschkenntnisse in Verbindung kommen können“, erinnert sich der 51-Jährige. Als Gastrokritiker sei er immer neugierig auf neues Essen, und eigene Rezepte bringe schließlich jeder mit. „Kochen ist die perfekte Methode, um seine neuen Nachbarn kennenzulernen“.
Doch bevor gemeinsam gekocht werden konnte, gab es viel zu tun: Zunächst brauchte Kroth einen Koch und Co-Autor für das Projekt. „Ich wollte einen jungen Wilden, der die neuen Inspirationen in unsere Küche umsetzen kann“, sagt der Restaurantkritiker. Der 27-jährige Tony Hohlfeld war sofort dabei. Um „Gastköche“ für das Buch zu gewinnen, klapperte Kroth Kirchengemeinden, Turnhallen und Flüchtlingsheime ab und fragte unter den Geflüchteten nach Profiköchen. Auch Plakate in mehreren Sprachen hängte er auf. Schließlich meldeten sich sechs Männer und eine Frau.
Hassan lernten die beiden Autoren in Hannover bei einem Protestcamp kennen, das auf die politischen Missstände im Sudan aufmerksam machen wollte. Der 32-Jährige kochte dort zwei Jahre in einer provisorischen Zeltküche bis zu 200 Portionen am Tag. Große Mengen ist er aus seiner Heimat gewohnt: „Im Sudan wird immer frisch und für viele Personen gekocht“, erzählt Hassan, während er Griesfladen ausbackt. Damit und nicht mit Besteck soll das Lamm-Pilau später gegessen werden.
Sternekoch Hohlfeld hat bei den rund fünfzehn Treffen von Januar bis Juni, bei denen er mit den Flüchtlingen gekocht hat, oft gestaunt: „Die Zutaten waren meistens gar nicht so exotisch, aber die Art der Zubereitung schon.“ Aber auch wenn es anfangs mal sprachliche Barrieren gab, sei über das gemeinsame Schnibbeln sofort eine Verbindung auf Augenhöhe entstanden. „Kochen und Essen verbindet Menschen und weckt Interesse für das fremde Land.“
Genau das wollte Ideengeber Kroth mit dem Kochbuch erreichen. „Hinter jedem Gericht steckt eine Geschichte“, sagt der Restaurantkritiker. Königsberger Klopse hätten auch einmal als fremdes Gericht ostpreußischer Flüchtlinge gegolten, heute seien sie von deutschen Speisekarten nicht mehr wegzudenken. Auch Pizza oder Sushi hätten Einwanderer mitgebracht. „Ich freue mich darauf, wenn Lamm-Pilau aus dem Sudan auf unseren Speisekarten steht.“ (epd/mig) Aktuell Feuilleton
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