Mädchen, Traurig, Frau, Allein, Sehnsucht, Trauer
Eine junge Frau © A6U571N auf flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Junge Flüchtlinge

Viel zu früh auf sich gestellt

Als Teenager ohne Eltern nach Deutschland geflohen. Nach zweieinhalb Jahren Aufenthalt immer noch keine Antwort auf den Asylantrag. Die Belastungen für junge Flüchtlinge sind enorm. Ohne freiwillige Helfer wären sie verloren.

Von Pat Christ Montag, 28.11.2016, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 31.07.2017, 10:21 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Seit Wochen schläft Akberet (Name geändert) nicht mehr gut. „Ich habe immer Angst“, sagt die 18-jährige Eritreerin. Zweieinhalb Jahre wartet sie inzwischen auf ihre Asylanerkennung. Das zermürbt. Tagsüber kann sich Akberet noch ablenken. Doch nachts grübelt sie in der Würzburger Gemeinschaftsunterkunft. Kein guter Ort für junge Menschen. Schon gar nicht für weibliche Teenager, die wie Akberet traumatisiert sind.

Bei Akberet könnte auch eine Lernbehinderung vorliegen. Jedenfalls hat Anette Köhler, die stellvertretende Leiterin der Würzburger Don-Bosco-Förderberufsschule, diesen Verdacht. Die junge Afrikanerin spricht immer noch kaum Deutsch. „Das ist nach zweieinhalb Jahren sehr ungewöhnlich“, sagt Köhler. Die Schule kümmert sich seit diesem Schuljahr freiwillig um Akberet. Würde sie das nicht tun, hätte Akberet nichts zu tun. Dann bliebe ihr noch mehr Zeit, darüber nachgrübeln, ob sie wohl in Deutschland bleiben darf. Und wie es mit ihr weitergeht.

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Beim BAMF geht niemad daran

Akberet gehört zu jenen jungen Flüchtlingen, die durchs Raster fallen. Die Maßnahmen nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz greifen aufgrund ihrer Volljährigkeit nicht mehr. Leistungen für Menschen mit einer Behinderung stehen ihr wegen des fehlenden Asylbescheides noch nicht zu. Akberet könnte nur dann eine Ausbildung in der Förderberufsschule beginnen, wenn ihr sonderpädagogischer Förderbedarf anerkannt ist. Es ist nur dem Goodwill der Don-Bosco-Schule zu verdanken, dass Akberet am Unterricht in der Berufsintegrationsklasse teilnehmen kann.

Akberets Lehrer haben beobachtet, dass sie völlig überfordert ist mit ihrer Situation, und regten eine rechtliche Betreuung an. Die übernahm die Würzburger Berufsbetreuerin Natascha Waskiewicz. Sechs Mal fragte sie inzwischen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge per Fax nach, warum Akberets Verfahren nicht vorwärtsgeht. 40 Mal versuchte sie, die Behörde telefonisch zu erreichen: „Aber es geht nie jemand ran.“

Notbremse Untätigkeitsklage

Nun zog Waskiewicz Konsequenzen: „Ich ging mit meiner Klientin zum Verwaltungsgericht und erhob Untätigkeitsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland.“ Zum ersten Mal während ihrer Tätigkeit als Betreuerin habe sie zu diesem Mittel gegriffen: „Zuvor hatte ich es in meinen Schreiben angedroht, aber auch darauf hatte man nicht reagiert.“

Deutschlandweit machen Verbände und Träger von Jugendhilfeeinrichtungen darauf aufmerksam, wie schwierig es ist, dass junge Flüchtlinge nach ihrem 18. Geburtstag in vielen Fällen nicht die Unterstützung erhalten, die sie trotz ihrer Volljährigkeit benötigen. Zwar ist es möglich, ihnen im Anschluss an eine Jugendhilfemaßnahme „Hilfen für junge Volljährige“ zu gewähren. Doch das geschieht keineswegs immer.

Über 12.000 Minderjährige warten

Folgende Zahlen machen die Größenordnung des Problems deutlich: Seit Februar dieses Jahres sind die Bestandszahlen von jungen Flüchtlingen um 5.000 auf etwa 64.000 gesunken, davon sind 13.000 junge Volljährige. Und: Mehr als 12.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge warten noch auf den Beginn von Hilfen. Das sind 42 Prozent aller seit dem 1. November 2015 aufgenommenen jungen Flüchtlinge.

Ob Volljährigen Hilfen gewährt werden, wird in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt, sagt Franziska Schmidt vom Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Sogar innerhalb eines Bundeslands unterscheide sich die Gewährungspraxis von Kommune zu Kommune. „Wobei sich das Bundesland Bayern in Sachen Nichtgewährung hervorhebt“, kritisiert Schmidt.

Bei aller berechtigten Kritik ist es Mike Corsa, Generalsekretär der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland (AEJ), wichtig, auch das Positive zu betonen: „Die Situation ist sicher nicht ideal, aber ich erlebe überall ein großes Bemühen um die Minderjährigen“, sagt der Sozialpädagoge. Überall bei der Diakonie, der Caritas und bei den Jugendämtern bemühten sich Menschen darum, dass die jungen Flüchtlinge die notwendigen Hilfen bekommen. Immerhin fast jeder fünfte junge Flüchtling über 18 Jahren erhalte erzieherische Hilfen für junge Volljährige. (epd/mig) Leitartikel Politik

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