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Flüchtlinge am Münchener Hauptbahnhof

Ein Jahr nach ihrer Ankunft in München suchen Flüchtlinge noch ihr Glück

Im September 2015 wurden Tausende Flüchtlinge mit Applaus am Münchner Hauptbahnhof begrüßt. Was ist aus ihnen geworden? Zwei von ihnen erzählen: über endloses Warten, Heimweh und ihre Dankbarkeit gegenüber Angela Merkel und den Deutschen.

Von Christiane Ried Mittwoch, 21.09.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 26.09.2016, 15:14 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Hassan Ali Jusefi (21) aus Afghanistan und Saddam Alahamad (27) aus Syrien sitzen bedrückt in einem Café nahe der Münchner Bayernkaserne. Der Jüngere wartet seit über einem Jahr auf seinen Asylbescheid. Der Ältere ist zwar anerkannter Flüchtling, kann aber seine Frau und seine drei Töchter, die er wegen der gefährlichen Flucht übers Mittelmeer in der Türkei zurückgelassen hat, nicht nachholen. Er habe Fristen für die Familienzusammenführung verpasst, habe das mit den Behörden nicht verstanden, erzählt er traurig.

Hassan Ali verzweifelt derweil an der Hängepartie in Deutschland. Wird sein Asylantrag anerkannt? Wird er abgeschoben? Wie lange muss er überhaupt auf eine Antwort warten? Soll er zurück? Die Unsicherheit steht dem jungen Mann ins Gesicht geschrieben, immer wieder wischt er sich die Tränen von den Wangen. Dazu kommt die Sorge um seine Mutter, der er eigentlich versprochen hatte, sie von Deutschland aus zu unterstützen. Doch eine Ausbildung, eine Arbeit sind am diesem heißen Septembertag in weiter Ferne.

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Dabei hatte vor einem Jahr eigentlich alles ganz gut begonnen – zumindest für Saddam. Er war einer der mehr als 60.000 Flüchtlinge, die in der ersten Septemberhälfte 2015 über den Münchner Hauptbahnhof nach Deutschland kamen. Dort, wo die deutsche Willkommenskultur begründet wurde, als die Münchner die Tausenden Flüchtlinge mit Applaus und „Refugees Welcome“-Schildern begrüßten und Hunderte Freiwillige die Neuankömmlinge mit dem Nötigsten versorgten.

Das sei ein „unbeschreibliches Gefühl“ gewesen, sagt Saddam. „So viel Menschlichkeit. Alle waren so nett. Endlich gab es einen Moment des Friedens für uns.“ Als er von seiner Ankunft in München erzählt, zeichnet sich zum ersten Mal ein Lächeln auf seinem Gesicht ab. Wie wichtig die herzliche Begrüßung für ihn war, ist offensichtlich. Saddams rechte Hand ist verstümmelt und vernarbt, ein Finger fehlt – ein „Andenken“ an einen Bombenangriff in Aleppo, bei dem er leicht, sein Bruder schwer verletzt wurde.

Saddam und seine Familie wollten nach Europa, um ihr Leben zu retten. Zunächst flohen sie in die Türkei, von dort ging es für Saddam alleine weiter übers Mittelmeer nach Griechenland. Zweimal sei sein Boot gekentert, er selbst fast ertrunken. Als er dann in Deutschland ankam, fühlte er sich zum ersten Mal in Sicherheit. Sein besonderer Dank gelte „Frau Merkel“, sagt Saddam dann feierlich. „Sie hat uns gerettet. Das werde ich nie vergessen.“ Andere arabische Staaten dagegen hätten die Syrer im Stich gelassen.

Für Hassan Ali verlief die Ankunft in Deutschland weniger euphorisch. Die jubelnden und klatschenden Münchner am Hauptbahnhof kannte er vom Erzählen. Nur wenige Tage nach dem inzwischen berühmten Wochenende des 5. und 6. September 2015 kam dann auch er in Deutschland an, als die Jubelstimmung schon wieder verebbt war. „Warum wurden die einen so beklatscht und die anderen nicht?“, fragt er sich noch heute. Eine frustrierende Erfahrung wohl auch für viele andere Flüchtlinge.

Hassan Ali bezweifelt, ob so viel Euphorie das richtige Zeichen für die Flüchtlinge gewesen sei. Dazu kommt, dass seine Registrierung in Deutschland nicht reibungslos geklappt hat. Hassan Ali bekam eine Adresse in die Hand gedrückt, wo er sich melden sollte. Bei dem Durcheinander von Tausenden ankommenden Flüchtlingen ging Hassan Ali aber verloren. Er fand die Unterkunft nicht, verlief sich und musste einige Nächte auf der Straße schlafen.

Dass er in Deutschland geblieben ist, ist eigentlich reiner Zufall. Hassan Ali wollte soweit reisen, wie sein Geld, das er für die Flucht und die Schlepper brauchte, reichte. „Je weiter ich in den Norden kam, desto schöner wurde die Landschaft“, erzählt er lächelnd. In Deutschland hatte er nur noch 30 Euro in der Tasche, also blieb er. Seitdem lebt er wie Saddam auch in München in einer Asylunterkunft.

Saddam dagegen ist sich nicht mehr so sicher, ob er tatsächlich in Deutschland bleiben will. Er denkt ständig an seine Familie, will sie bei sich haben. Zwei Monate noch, sagt er, wolle er warten. Wenn er dann seine Frau und seine Kinder nicht nachholen könne, gehe er zurück in die Türkei. Er hoffe immer noch, dass ein Wunder geschehe, denn seine Zukunft sieht er in Deutschland.

Hassan Ali will durchhalten. Aber auch ihn plagen Zweifel. Die Flucht habe er sich ja nicht ausgesucht, sagt er. Die Angst vor den Taliban und die Sorge um seine Mutter und deren Nöte hätten ihn getrieben. Würde er nach Afghanistan abgeschoben, müsse er fürchten, von den Taliban getötet zu werden. In jedem Fall stünde er dort vor dem Nichts, denn all sein Erspartes sei für die Flucht und die Schlepper draufgegangen. Hassan Ali denkt kurz nach und sagt dann entschlossen: „Ich liebe Deutschland. Ich will hier bleiben.“ Gesellschaft Leitartikel

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  1. Sebaldius sagt:

    So ist das nun mal, nach dem Höhenflug kommt der Absturz, und nach dem Rausch kommt der Kater. Die Deutschen waren ja ganz besoffen gewesen von ihrer eigenen Humanität und Emphatie und ihrem Mitgefühl für das Leid der Flüchtlinge. Und die Flüchtlinge waren total berauscht gewesen von der deutschen Willkommenskultur, und den vielen Blumen und Teddybären und Brötchen am Bahnhof.

    Alles nur schöner Schein, jetzt kommt die grosse Ernüchterung. Immer mehr Deutsche werfen ihre „Refugee-Welcome“-Schilder in den Müll, und immer mehr Flüchtlinge denken an ihre Rückkehr. Auf beiden Seiten macht sich Enttäuschung breit: Die Deutschen sehen plötzlich, dass mit den Flüchtlingen nicht nur die ersehnten Fachkräfte und IT-Experten, sondern auch schlimme Dinge in ihr Land kommen, nämlich Bedrohung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und eine gewaltige Belastung ihrer Sozialsysteme. Und zwar in Form von Kriminalität, Frauenfeindlichkeit, Gewalt, Analphabetismus, und Segregation und Rassismus und Parallelgesellschaften und Ghettos. Und die Flüchtlinge sehen plötzlich, dass Deutschland doch nicht das gelobte Paradies ist, in dem Milch und Honig fliessen, und in dem man sofort alles auf dem goldenen Teller serviert bekommt.

    Beide Seiten sind dabei, ihre Meinung zu ändern: Die Deutschen können die ewig gleichen Stories der Flüchtlinge von ihrem jeweiligen Elend in ihren Herkunftsländern und ihren zurückgelassenen Familien und ihrer gefährlichen Flucht über stürmische See und Dutzende europäische Grenzen nicht mehr hören, und die Flüchtlinge können und wollen nicht mehr hören und verstehen, dass Deutschland auf dem Prinzip der Ordnung besteht. Also auf Ausweisen und Papieren, auf Recht und Gesetz, auf den Prinzipien von gegenseitigem Respekt und Achtung, auf Vertrauen und Zuverlässigkeit.

    Da kommt also einfach nur The Clash of Civilizations, der Kampf der Kulturen. Bemerkenswert ist nur die Geschwindigkeit, mit der das geschieht: Innerhalb eines einzigen Jahres kippt die Stimmung in diesem Land total um, von herzlicher Begrüssung und Umarmung der Fremden bis hin zu feindseliger Ablehnung. Auf allen Ebenen, von ganz unten im Volk bis ganz oben in der höchsten Politik.

    Es ist also absehbar, dass es keine Liebesheirat geben wird zwischen den Deutschen und den Flüchtlingen und Migranten. Es wird keine Integration geben, sondern nur eine immer tiefer gehende Spaltung dieses Landes zwischen Einheimischen und Zugewanderten.