Grundsatzrede
Juncker fordert mehr europäische Solidarität in der Flüchtlingspolitik
Der Chef der EU-Kommission hat die großen Linien seiner Politik skizziert und zugleich konkrete Projekte vorgestellt. Darunter ist ein Freiwilligendienst für junge Europäer. Dieser soll auch in der Flüchtlingskrise helfen.
Von Phillipp Saure Donnerstag, 15.09.2016, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 15.09.2016, 14:24 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Ein Eingeständnis stellte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ziemlich an den Anfang seiner mit Spannung erwarteten Grundsatzrede: „Die Europäische Union ist zurzeit nicht in Topform.“ Die Flüchtlingskrise sei eines der Felder, auf denen Europa kein gutes Bild abgebe, machte Juncker in der Rede zur Lage der Union („State of the Union“) am Mittwoch im Europaparlament in Straßburg klar.
Zwar sei beim Umgang mit Flüchtlingen Solidarität sichtbar geworden, aber „ich bin überzeugt, viel mehr Solidarität ist nötig“, urteilte der Luxemburger, der seine Rede auf Deutsch begonnen hatte und später ins Englisch und Französische wechselte.
Verrat an EU-Werten
Europa sei gespalten, wie man mit Flüchtlingen umgehen soll, machte Juncker klar. Auf der einen Seite stünden die, „die widerstrebend sind, Flüchtlinge in ihren Gesellschaften zu integrieren“. Auf der anderen Seite fänden sich die, „die überzeugt sind – so wie ich es bin – dass ein fairer Anteil an Umverteilung und Neuansiedlung wesentlich ist“. Der Kommissionschef bezog sich auf den EU-internen Streit, der die Flüchtlingspolitik seit Monaten belastet – und forderte die slowakische EU-Ratspräsidentschaft auf, Brücken zu bauen.
Dass Flüchtlinge unmittelbar mit Europas Grundlagen zu tun haben, verdeutlichte Juncker mit Blick auf die unbegleiteten Minderjährigen. „Ohne den Schutz dieser Kinder verrät die Europäische Union ihre historischen Werte“, sagte Juncker und erhielt dafür mit den meisten Applaus.
Europäisches Solidaritäts-Corps
Um auf die Flüchtlingskrise und andere Krisen wie das Erdbeben in Italien zu reagieren, will Juncker junge Europäer durch ein „Europäisches Solidaritäts-Corps“ einbinden. „Junge Menschen in der ganzen EU werden in der Lage sein, freiwillig Hilfe zu leisten, wo immer diese am meisten gebraucht wird“, kündigte er an. Bis Jahresende soll das Corps stehen.
Flüchtlinge waren nicht Junckers einziges Thema. Zwei Tage vor dem informellen EU-Gipfel in Bratislava ging der Kommissionschef auch auf den Austritt Großbritanniens, den Klimaschutz, die Arbeitslosigkeit, eine europäische Verteidigungspolitik und vieles andere ein. Er kündigte neue Projekte seiner Behörde an, die als „Motor“ der EU-Politik gilt, übte Kritik und Selbstkritik. Am Ende beschrieb er Europa als Friedensprojekt – nachdem noch sein eigener Vater gegen seinen Willen habe in den Krieg ziehen müssen.
Scharfe EU-Kritik
Zustimmung erntete Junckers Rede von den großen Fraktionen der Europäischen Volkspartei und der Sozialdemokraten. Kritik übte etwa die Fraktion der Konservativen und Reformer. Er höre immer dasselbe „Mantra“, das auf „mehr Europa“ setze, beklagte deren Fraktionsvorsitzender Syed Kamall. Genau dadurch werde der Nationalismus befördert, urteilte der Brite.
„Wir glauben es nicht mehr, wenn hier im Parlament oder woanders ein Feuerwerk an Versprechungen abgegeben wird“, reagierte die Linken-Fraktionsvorsitzende Gabi Zimmer auf Junckers Rede. Die EU mache ihre Politik stets auf dem Rücken der Bürger, sagte sie mit Blick auf die kritische wirtschaftliche und soziale Situation in manchen Mitgliedsstaaten.
Liberalen-Chef Guy Verhofstadt wandte sich gegen Populisten und Nationalisten, die auf Abgrenzung setzten. „Mit Mauern und Zäunen lösen sie jedes Problem“, sagte Verhofstadt ironisch. Grünen-Fraktionschefin Rebecca Harms verlangte, die EU-Staaten könnten und müssten ihren internationalen Verpflichtungen zur Aufnahme von Flüchtlingen besser gerecht werden. (epd/mig) Aktuell Politik
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