Heidenau

Die Flüchtlinge sind weg, geblieben sind Vorurteile

Die Krawalle gegen eine Flüchtlingsunterkunft im sächsischen Heidenau sorgten 2015 für einen Aufschrei. Ein Jahr später steht die Notunterkunft leer. Die Lage ist weiter angespannt. Von Katharina Rögner

Von Katharina Rögner Mittwoch, 17.08.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 22.08.2016, 18:04 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Dort, wo im August 2015 der braune Mob tobte, herrscht jetzt trügerische Stille. Den Eingang der ehemaligen Asylunterkunft in Heidenau bei Dresden bewachen Security-Mitarbeiter. Ein Briefkasten erinnert an die Flüchtlingsunterkunft, die vor einem Jahr bundesweit in die Schlagzeilen geriet. Fast verblasst und kaum lesbar stehen dort die Buchstaben „EAE“ für Erstaufnahmeeinrichtung – darunter klebt ein handgeschriebenes Schild mit der Aufschrift „unbekannt verzogen“. Die Flüchtlinge leben inzwischen dezentral in Wohnungen.

Die Einrichtung war für bis zu 600 Personen vorgesehen, rund 250 Flüchtlinge sollten im August 2015 dort einziehen. Dagegen regte sich heftiger Widerstand, noch bevor die ersten Bewohner den ehemaligen Baumarkt an der Bundesstraße 172 bezogen. Am 20 und 21. August eskalierte die Situation. Steine flogen, Böller wurden gezündet. Bei den massiven Ausschreitungen wurden 33 Polizisten zum Teil schwer verletzt. Dutzende Flüchtlinge konnten die Unterkunft nur unter Polizeischutz beziehen. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wenige Tage später die Einrichtung besuchte, wurde sie von Einheimischen übel beschimpft.

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In dem Baumarkt hinter einem mit grünen Planen bespannten Metallzaun stapeln sich heute Feldbetten, Decken und Schlafsäcke. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) hat in dem Gebäude ein Lager eingerichtet, nachdem im April die letzten Flüchtlinge ausgezogen waren. Etwa 80 Prozent der insgesamt rund 6.000 Quadratmeter seien mit Material belegt, sagt DRK-Sprecher Torsten Wieland.

Rund 2.312 Asylbewerber leben derzeit im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, davon nur 142 in Heidenau. Doch der Hass auf die Flüchtlinge sitzt noch immer in vielen Köpfen. Auch die Angst vor ihnen.

Einige Flüchtlinge hätten zwar eine Arbeitsmöglichkeit gefunden und fühlten sich in Heidenau sehr wohl, sagt die evangelisch-lutherische Pfarrerin Erdmute Gustke, Familien hätten Anschluss gefunden. Aber viele Migranten erzählten ihr auch von „einer frostigen Atmosphäre“.

Demonstration, Gewalt, Ausschreitung, Polizei, Nacht, Straße

Ausschreitungen zwischen Flüchtlingsgegnern und der Polizei

Neben Freundschaften und Hilfsbereitschaft gebe es pure Feindseligkeit, führt Gustke aus. Manche Einheimische ließen die Asylbewerber ihre Ablehnung klar spüren. Das müsse gar nicht immer verbal sein, sagt sie. Manchmal seien es nur ein Schweigen, ein abfälliger Blick, pures Desinteresse. „Dumme Kommentare“ und „primitive Abwehr“ habe sie auch in den Kirchgemeinden erlebt. Selbst in der Bibelstunde hätten Kinder Sätze geäußert wie: „Mich kotzen die ganzen Ausländer an.“

Starken Gegenwind bekam die Kirchgemeinde Heidenau-Dohna-Burkhardswalde zu spüren, als sie plante, eine ehemalige Pfarrerswohnung für Flüchtlinge bereitzustellen. Während sich einige dafür engagieren wollten, drohten andere mit Demonstrationen oder Kirchenaustritt. Da sei ein ganzes Dorf aufgestanden, erzählt Gustke. Der Kirchenvorstand habe sich dem Druck gebeugt, das Vorhaben sei nicht weiter verfolgt worden.

Gustke hat nach den Ausschreitungen vor einem Jahr die „Gebete für die Stadt“ mitorganisiert, die damals bis zu 200 Menschen anzogen. Einsatz zeigte im August 2015 auch die Facebook-Initiative „Heidenau ist bunt“, die über die Ereignisse im Netz schnell informierte. Bis heute ist sie in dem sozialen Netzwerk aktiv, gibt Informationen weiter, klärt auf.

Ein Sprecher, der anonym bleiben will, sagt im Rückblick auf die Krawalle in Heidenau: „Es war erschreckend zu sehen, was für ein Mobilisierungspotenzial der Rechtsextremen da war – diese massive Gewalt.“ Er habe gedacht: „Nun haben wir unser eigenes Lichtenhagen.“ In Rostock-Lichtenhagen war es 1992 zu massiven Ausschreitungen Rechtsradikaler gegen Asylbewerber gekommen.

Der Heidenauer Bürgermeister Jürgen Opitz (CDU) formulierte 2015 klare Worte: „Hass und Verblendung sitzen so tief, dass es schwer ist, diese Menschen zu erreichen.“ Ein Jahr später will er sich zu den Krawallen nicht mehr äußern.

Rund 40 Ermittlungsverfahren hat es nach den Ausschreitungen in Heidenau gegeben, Anklage wurde laut Generalstaatsanwaltschaft Dresden in 22 Fällen erhoben – wegen schweren Landfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Einige der Täter konnten – zum Teil wegen der Vermummung – nicht identifiziert werden. (epd/mig) Gesellschaft Leitartikel

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