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Muslime in Deutschland (Symbolfoto) © Garry Knight @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

EuGH vor Entscheidung

Kopftuchverbot am Arbeitsplatz als Diskriminierung

Dürfen Arbeitgeber ihren muslimischen Mitarbeiterinnen verbieten, bei der Arbeit ein Kopftuch zu tragen? Diese Frage wird der Europäische Gerichtshof bald beantworten - anhand zweier Gutachten, die gegensätzlicher hätten kaum ausfallen können. Von Maximilian Steinbeis

Von Freitag, 15.07.2016, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 18.07.2016, 16:42 Uhr Lesedauer: 9 Minuten  |  

Es gab zuletzt nicht viel Gutes zu berichten aus Europa. Doch heute kommt aus Luxemburg eine Nachricht, die mir große Freude macht. Der Europäische Gerichtshof schickt sich an, zu einem Thema seine Stimme zu erheben, zu dem fast jeder eine Meinung und schon so manches europäische Verfassungsgericht sich zu Wort gemeldet hat: zu der Frage, ob Arbeitgeber ihren muslimischen Mitarbeiterinnen verbieten können sollen, bei der Arbeit ein Kopftuch zu tragen.

Erst vor wenigen Wochen hatte die deutsche Generalanwältin Juliane Kokott in dem niederländischen Fall Samira Achbita dem Gericht vorgeschlagen, den Arbeitgebern das Kopftuchverbot im Sinne der Verteidigung ihrer weltanschaulichen Neutralität in weitem Umfang zu gestatten. Doch jetzt liegt dem Gerichtshof gleichsam ein Gegendokument der britischen Generalanwältin Eleanor Sharpston vor, in einem in Frankreich angesiedelten Fall, und deren Antwort lautet: Nein, das dürfen sie in aller Regel nicht.

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Wenn das Kopftuch den Kunden stört

Die Klägerin, eine Muslimin namens Asma Bougnaoui, war als Ingenieurin bei einer IT-Firma angestellt. Eine Kundin derselben, die Groupama-Versicherung, beschwerte sich, dass ihre Mitarbeiter sich daran störten, dass Frau Bougnaoui ein Kopftuch trägt. Daraufhin wurde Frau Bougnaoui gefeuert.

Verstößt das gegen das europarechtliche Verbot, Angestellte wegen ihres Glaubens zu diskriminieren? Wahrscheinlich ja, sagt die Generalanwältin, wobei sie es für unklar hält, ob im konkreten Fall Frau Bougnaoui gezielt als Muslimin oder nur als Unterworfene von Bekleidungsvorschriften, die vor allem Musliminnen betreffen, diskriminiert worden ist – also unmittelbar oder mittelbar.

Auf diese Unterscheidung kommt es an, weil die Generalanwältin den Fall zum Anlass nehmen möchte, ein paar sehr grundsätzliche Dinge zum Verbot unmittelbarer Diskriminierung im Europarecht klar zu stellen.

Diskriminierungsverbot als Rechtskern der EU

Die Schlussanträge setzen sich sehr ausführlich mit der Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs auseinander, der zum Thema Kopftuch bzw. religiöse Glaubenszeichen am öffentlichen oder privaten Arbeitsplatz ja schon eine ganze Reihe von Urteilen gefällt hat. Straßburg, so die Generalanwältin, setze dabei an der Beschränkung an, die Glaubensfreiheit der Betroffenen zugemutet werde, und komme dann meist gar nicht erst zu der Frage, ob sie dabei auch diskriminiert wurde. Der Straßburger Ansatz läuft damit im Regelfall darauf hinaus, dass am Ende alles irgendwie aus der Welt proportionalisiert werden kann: Hier die Rechte dessen, der eingeschränkt wird, dort die Rechte dessen, der eingeschränkt hat – und am Ende kommt es darauf an, zueinander in ein vernünftiges Verhältnis zu bringen.

Das, so die Generalanwältin, kann man im EU-Recht höchstens bei der mittelbaren Diskriminierung machen. Aber nicht bei der unmittelbaren Diskriminierung. Soweit die kraft EU-Recht verboten ist, ist sie verboten. Punkt.

Diskriminierung zu unterbinden, ist für die Generalanwältin nicht irgendein Nice-to-have, sondern ein absolut fundamentaler Pfeiler des EU-Rechts. Wer andere diskriminiert, schreibt sie unter Berufung auf die Coleman-Schlussanträge ihres Kollegen bzw. Vorgängers Miguel Poiares Maduro von 2008, der raubt diesen Wahlmöglichkeiten und schränkt ihre Möglichkeiten ein, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Es geht um Selbstbestimmung, und damit um Menschenwürde.

Das bedeutet, dass bei einer unmittelbaren Diskriminierung keine Abwägung stattfindet, sondern die Diskriminierung, soweit sie verboten ist, wirklich verboten ist. Im konkreten Fall kommt als Ausnahme vom Diskriminierungsverbot höchstens Art. 4 Abs. 1 der Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78 in Frage, wonach Ungleichbehandlungen am Arbeitsplatz keine Diskriminierung sind, wenn sie sich aus den „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderungen“ ergeben.

Kann neutrale Kleidung bei Angestellten mit Kundenkontakt eine berufliche Anforderung in diesem Sinne sein? Das kann sie nicht, so die Generalanwältin: Dass Feuerwehrleute über 60 körperlich zu schwach für ihre Aufgabe sein könnten, dass Frauen mit Kopftuch an der Maschine ins Räderwerk geraten könnten – diese Art von Anforderungen sei hier gemeint. Nicht aber die bloße Sorge des Arbeitgebers, dass Kunden vielleicht an der Kleidung seiner Mitarbeiter Anstoß nehmen könnten. Die Freiheit des Unternehmers, sein Geschäft nach seinen Vorstellungen zu führen, gebe ihm kein Recht, seine Mitarbeiter_innen wegen der Manifestation ihres Glaubens schlechter zu stellen, denn genau das ist ihm explizit verboten.

Vernünftige Lösungen

Aber auch für das Argument, die Bekleidungsvorschriften richteten sich ja gar nicht gezielt gegen Muslime und seien daher allenfalls mittelbare Diskriminierung, zeigt die Generalanwältin nur begrenzt Verständnis. Mittelbare Diskriminierung sind rechtfertigbar, soweit der Arbeitgeber damit ein legitimes und verhältnismäßiges Ziel verfolgt (Art. 2 Abs. 2 RL 2000/78). Zwar sei der Wille, gegenüber den Kunden ein bestimmtes einheitliches Bild abzugeben, im Rahmen der Unternehmerfreiheit im Prinzip durchaus als legitimes Ziel zu betrachten. Aber den Konflikt mit der Glaubensfreiheit der Angestellten, so Sharpston in klarer Abgrenzung zu ihrer Kollegin Kokott, könne man nicht einfach dadurch auflösen, dass man den Angestellten abverlangt, während der Arbeit das Manifest ihres Glaubens abzulegen, als handle es sich um ein Baseballkäppi.

An dieser Stelle ist zu betonen, dass für einen praktizierenden Angehörigen eines Glaubens die religiöse Identität ein integraler Bestandteil seines ganzen Lebens ist. Die Anforderungen seines Glaubens – seine Ordnung und die Regeln, die er für die eigene Lebensführung vorgibt – sind nicht etwas, was außerhalb der Arbeit gelten soll (etwa für diejenigen, die einer Bürotätigkeit nachgehen, am Abend und am Wochenende), aber während der Arbeitszeit höflich abgelegt werden kann. Natürlich mag je nach den jeweiligen Regeln der betreffenden Religion und dem Maß der Betätigung der einzelnen Person dieses oder jenes Element für diese Person nicht zwingend und daher verhandelbar sein. Doch wäre die Annahme gänzlich verfehlt, dass zwar das Geschlecht und die Hautfarbe jeden Menschen überall hin begleiten, seine Religion jedoch nicht.

Verhältnismäßig, so die Generalanwältin, sei ein solches Gebot nur, wenn es das Recht der Angestellten, in ihrer äußeren Erscheinung seinen Glauben zu bekennen, erst einmal respektiert und anerkennt. Umgekehrt müsse auch die Angestellte tun, was sie kann, um den Bedürfnissen des Unternehmens entgegen zu kommen – beispielsweise die Farbe des Kopftuchs gemäß der Corporate Identity wählen. Großunternehmen mit vielen unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten für ihre Angestellten sei mehr Entgegenkommen abzuverlangen als kleinen. Mit einem Wort: beide sollen nicht starr auf irgendwelchen Prinzipien beharren, sondern sich auf einen vernünftigen Kompromiss einigen, das wird ja wohl nicht zu viel verlangt sein.

Burka und Blickkontakt

Eine Grenze zieht die Generalanwältin (obiter dictum) allerdings bei der Burka, soweit der Job Kundenkontakt verlangt:

Die westliche Gesellschaft misst dem Blick- oder Augenkontakt grundlegende Bedeutung in jedem Verhältnis zu, bei dem eine Kommunikation von Angesicht zu Angesicht zwischen Vertretern eines Unternehmens und seinen Kunden stattfindet (…). Daraus folgt meines Erachtens, dass eine Regelung verhältnismäßig wäre, mit der ein Verbot des Tragens von die Augen und das Gesicht vollständig verdeckender religiöser Bekleidung während einer Tätigkeit eingeführt würde, bei der ein solcher Kontakt mit Kunden stattfindet.

So sehr ich mich über die Position des Straßburger Menschenrechts-Gerichtshofs zum Burkaverbot aufgeregt habe: das erscheint mir vernünftig. Anknüpfungspunkt ist hier, anders als im Fall SAS v. Frankreich, nicht irgendein sentimentaler Vivre-Ensemble-Schmarren, sondern ein handfester Grund, nämlich dass Kundenkontakt ohne Blickkontakt halt nicht so gut funktioniert.

Laïcité!

Soweit zum Fall selber. Bemerkenswert scheinen mir übrigens auch die Worte zu sein, die die Generalanwältin en passant auch zu dem Elephant in the Room fallen lässt, der beim Thema Kopftuchverbot jedenfalls im frankophonen Kontext stets schwer schnaufend zugegen ist: Laïcité!

Frau Bougnaoui war Angestellte in einem Privatunternehmen. In Frankreich (und in den vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fällen auch bei uns) wird es aber richtig heiß, wenn es um das Kopftuch im öffentlichen Dienst geht.

Die französische Regierung hat sich in ihrer Stellungnahme im Fall Bougnaoui offenbar sehr ins Zeug gelegt, klar zu machen, dass die Antwort des EuGH sich auf keinen Fall auf den öffentlichen Sektor beziehen dürfe. Die Generalanwältin belässt es insoweit bei der zarten Andeutung, dass die französische Regierung anerkannt habe, dass die Richtlinie 2000/78 sehr wohl auch für den öffentlichen Sektor gelte. Dass das französische Verfassungsprinzip der Laizität daran etwas verändern könne, wolle sie „weder akzeptieren noch zurückweisen“.

Ich bin sehr gespannt, wie der EuGH diese Verfassungsfrage zu gegebener Zeit beantworten wird. Vielleicht wird das für Luxemburg eine Gelegenheit, zu der von Karlsruhe ja so gern im Munde geführten Verfassungsidentität im Rahmen von Art. 4 Abs. 2 etwas Grundlegenderes zu sagen.

Ein britisches Abschiedsgeschenk

Noch mal zurück zum Diskriminierungsverbot: Mir scheint es eine schöne Fügung zu sein, dass mitten in die Brexit-Depression hinein ausgerechnet die britische Generalanwältin der Europäischen Union diese Schlussanträge sozusagen zum vorgezogenen Abschiedsgeschenk macht.

Take back control, war der Schlachtruf der Brexiteers und ist es immer noch für all diejenigen, die es ihnen nachtun und der Europäischen Union zumindest rhetorisch am liebsten den Rücken kehren würden, und der Europäischen Menschenrechtskonvention gleich obendrein. (Wenn nicht gar, wie die polnische Regierungspartei, der eigenen nationalen Verfassung…)

Die Europäische Union ist bekanntlich eine Rechtsgemeinschaft. Sie legt ein dichtes Geflecht normativer Ermächtigungen und Beschränkungen über das souveräne Wollen ihrer Mitglieder. Das Europarecht ist dazu da, die nationalen Demokratien sozusagen für das sehfähig zu machen, wofür sie sonst blind wären: das andere, das nicht-eigene, das nicht-normale, das auf der anderen Seite Gelegene, auf der anderen Seite von Grenzziehungen, die der Markierung von Machträumen dienen. Für den Franzosen, der auf dem deutschen Markt Likör verkaufen will. Für die Frau, die in der Männerdomäne Bundeswehr Karriere machen will. Für den Schwulen, der nach dem Tod seines Lebenspartners sich von dessen berufsständischem Versorgungswerk wie ein Witwer und nicht wie irgendein Fremder behandeln lassen will. Und eben für die Muslimin, die in einer uniformierten Business-Welt als Muslimin ihren Lebensunterhalt verdienen will.

Die diesseits dieser Grenzziehungen Gelegenen, die autochthonen Bewohner dieser Machträume, die macht das nicht selten furchtbar wütend. Sie sehen die ja normalerweise gar nicht, die da plötzlich solchen Ärger machen. Ihnen kommt dieses Bestehen der Unsichtbaren, gesehen zu werden, als Nötigung vor. Sie sind schließlich die Mehrheit. Sie sind die Normalen. Die anderen sollen sich gefälligst fügen und in die Unsichtbarkeit zurückkehren, aus der sie gekommen sind. Take back control!

Ihnen ruft Eleanor Sharpston entgegen: Das könnte euch so passen! Solange ihr in der EU seid und die Ermächtigung, die mit dieser Mitgliedschaft einhergeht, genießt, solange beugt ihr euch auch den Beschränkungen. Eure Grenzmarkierungen, mit denen ihr Menschen anderer Herkunft, anderer Hautfarbe, anderen Glaubens, anderen Geschlechts, anderer sexueller Orientierung u.v.a. aus dem Blickfeld eures Sich-Normal-Fühlens heraushaltet – die haben in der Europäischen Union keinen rechtlichen Bestand. Aktuell Meinung

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  1. Gugs du sagt:

    Bei uns,mittelständisches Unternehmen gibt es schon seit Jahren die inoffizielle Anweisung: Keine Moslems in der Firma.
    Eine Kopftuch – Tante im Kundenkontakt…..Jesus,Maria.

  2. Riveravia sagt:

    Ich weiss nicht, was daran -grundsätzlich- schlimm sein sollte… ein Kopftuch ist immerhin noch keine Burka. Viel unverständlicher finde ich Frauen, die sich überhaupt unter so ein Ding zwängen. Aber gut, jeder wie er mag. Solange er natürlich keinen Dritten beinträchtig, ne wa?

  3. posteo sagt:

    Ein Arbeitgeber, der in seinem Betrieb keinen Hijab duldet, findet Mittel und Wege ihn zu verhindern.
    Kein Arbeitnehmer arbeitet so perfekt, dass man ihn nicht Abmahnung für Abmahnung rausklagen kann. Vorbeugend wird einfach einfach keine Bewerberin mit entsprechenden Namen mehr berücksichtigt.
    Ich bleibe dabei, es gibt zeitgemäßere Lebensziele, als seinen persönlichen Fetisch durch die Instanzen zu klagen.

  4. Cengiz K sagt:

    …als seinen persönlichen Fetisch durch die…
    Ein Fetisch ist Ihr Islamhass, der sich durch sämtliche Ihrer Kommentare zieht.. Das, was sie sagen sollten, wenn sie Anstand besäßen, wäre eher: religiöse Kleidung..

    …Ein Arbeitgeber, der in seinem Betrieb keinen Hijab duldet, findet Mittel und Wege ihn zu verhindern….
    Das wird ihm gelingen, wenn er als start-up Unternehmen enden möchte.. Übrigens noch ein grund, warum das Rechtssystem eine einzige Katastrophe ist in der BRD… Die Reichen und die Melaninarmen kriegen auffällig häufiger Recht