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Polizei © David Chu @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Rassismus in den USA

Warum US-Polizisten schwarze Bürger töten

Deutsche Medien berichten von Polizeigewalt in den USA meist erst, wenn es zu gewalttätigen Protesten kommt - "besorgt" um die innere Ordnung des NATO-Partners. Die Frage, warum US-Polizisten regelmäßig afroamerikanische Bürger töten, spielt kaum eine Rolle. Von Prof. Arian Schiffer-Nasserie

Von Montag, 11.07.2016, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 03.06.2020, 15:10 Uhr Lesedauer: 14 Minuten  |  

In der vergangenen Woche sterben innerhalb von 48 Stunden zwei Schwarze durch Polizeigewalt. In Minnesota wird der 32jährige Philando Castile in seinem Auto wegen eines defekten Rücklichts angehalten und während der Verkehrskontrolle erschossen,  noch bevor er seine Papiere vorzeigen kann. In Baton Rouge, Lousiana zwingen zwei Polizisten den 37jährigen Alton Sterling, der vor einer Tankstelle CD’s verkauft, zu Boden und erschießen den bereits Überwältigten aus nächster Nähe. Beide Fälle werden öffentlich bekannt, weil Angehörige und Zeugen das Vorgehen der Polizei besonnen auf Video dokumentieren und beinahe in Echtzeit im Internet verbreiten. Jährlich tötet die Polizei in ähnlichen Situationen hunderte schwarze US-Bürger. Tödliche Polizeiübergriffe gegen Schwarze gehören also zum Alltag der US-Gesellschaft.

Deutsche Medien berichten davon meist erst, wenn es zu gewalttätigen Protesten und „Unruhen“ in großen US-Städten kommt, wie zuletzt in Dallas, als 5 Polizeibeamte von einem schwarzen US-Veteran des Afghanistan-Krieges vermutlich aus Rache für die Morde der vergangenen Woche erschossen wurden. Die Sorge der Medienschaffenden – gemischt mit etwas Häme – gilt dann angesichts „der Welle der Gewalt“ weniger den schwarzen Opfern der Polizeigewalt als viel mehr der inneren Ordnung des befreundeten NATO-Bündnispartners mit Weltmachtstatus.

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Die Frage, warum US-Polizisten regelmäßig afroamerikanische Bürger töten, spielt für die staatstragenden Medien folglich kaum eine Rolle. Doch auch Linke und kritische Stimmen begnügen sich meist mit der Anklage, dass der Weltpolizist und globale Richter im eigenen Land „immer noch“ gegen jene menschenrechtlichen Prinzipien verstößt, in deren Namen er seine Interessen weltweit so brutal durchsetzt. Die Frage nach dem „Warum?“ erscheint dagegen nebensächlich und wird – wenn überhaupt – meist mit „postkolonialen Diskursen“ und „rassistischen Zuschreibungen“ beantwortet, die aus den Zeiten der Sklaverei und Rassentrennung überdauert haben sollen. Einen Zusammenhang zwischen den geachteten Grundrechten der Weltmacht und dem geächteten Vorgehen der  Polizei gegen Schwarze können auch die meisten KritikerInnen  nicht erkennen. Der folgende Beitrag will den Zusammenhang von Polizei und Rassismus in den USA weniger voreingenommen untersuchen. Das vielleicht irritierende Ergebnis sei vorangestellt: Es sind die allseits geachteten und menschenrechtlich legitimierten Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und Eigentum selbst, die den modernen US-Rassismus im Allgemeinen und das polizeiliche Handeln im Besonderen begründen.

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Die schwarze Seite der Freiheit

Die rechtliche Gleichstellung der afroamerikanischen Bevölkerung ist im Land der Freiheit alles andere als eine historische Selbstverständlichkeit. Die Grund- und Freiheitsrechte, welche die Vereinigten Staaten von Amerika in ihrer Unabhängigkeitserklärung von 1776 als erster Staat zum gottgegebenen und zugleich „dem Menschen“ gemäßen Recht (v)erklärten, bezog sich auf das nach ökonomischer und politischer Emanzipation von der britischen Krone strebende weiße Bürgertum:

„We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.“ (Präambel)

(„Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erscha!en wurden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt wurden, worunter sind Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit.“)

Weder afrikanische Arbeitssklaven noch die indigene Bevölkerung (deren Vertreibung und Vernichtung ja überhaupt erst den kontinentalen Raum zur Gründung einer staatlich abgesicherten Eigentümergesellschaft“ ermöglichte) konnten sich auf die Verfassung der weißen Siedler berufen. Auch nach dem Verbot der Sklaverei in der US-Verfassung von 1865 brauchte es noch hundert Jahre, bis den Schwarzen in einer Mischung aus Anerkennung für ihre überdurchschnittlich hohen Opfer im Zweiten Weltkrieg einerseits und Befriedung einer blutig unterdrückten Bürgerrechtsbewegung andererseits in den 1960er Jahren die vollen Bürgerrechte zugesprochen wurden.

Seit einem halben Jahrhundert dürfen auch die ehemaligen Sklaven als formal gleichwertige Rechtssubjekte in den USA ihr „pursuit of happiness“ verfolgen, also an der bürgerlichen Konkurrenz um eine Lebensgrundlage, d. h. Geld, Lohnarbeit, Wohnraum etc., teilnehmen. Der Haken ihrer mühsam errungenen bürgerlichen Grundrechte zeigte sich schnell: Zwar sind sie vor dem Gesetz gleichgestellt und explizit dazu berechtigt, ihre Freiheit im Sinne ihrer eigenen Interessen zu nutzen – allein von den materiellen Mitteln der eigenen Interessenverwirklichung bleiben sie dank des Grundrechts auf Eigentum weitgehend ausgeschlossen. Denn im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist die Verwirklichung des privaten Glücks zwar erlaubt und sogar geboten. Auch stehen die Mittel zur individuellen Bedürfnisbefriedigung in Form gigantischer Warenberge prinzipiell allen zur Verfügung. Jedoch – nur gegen Geld. Und das will „am Markt“ erst einmal verdient sein. Dabei entpuppt sich ihre Freiheit mit Marx als doppelte:

„Frei in dem Doppelsinn, dass er (der Arbeiter, A. S.-N.) als freie Person über seine Arbeitskra“ als seine Ware verfügt, dass er andrerseits andre Waren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Verwirklichung seiner Arbeitskra“ nötigen Sachen. (K. Marx, MEW Bd. 23, S. 183)

„Als freie Personen auf der Suche nach Arbeit dürfen die ehemaligen Sklaven also von nun an wollen, was sie früher mussten, nämlich durch ihre Arbeit fremden Reichtum mehren.“

In Ermangelung von Grund und Boden, natürlichen Ressourcen, Produktionsmitteln etc., mit denen sie auf Immobilien-, Rohstoff- oder Warenmärkten Geld verdienen könnten, bleibt den Afroamerikanern als Chance auf ein Erwerbseinkommen – wie den meisten Weißen auch – nur der Verkauf ihrer Arbeitskraft an ein Unternehmen. Als freie Personen auf der Suche nach Arbeit dürfen die ehemaligen Sklaven also von nun an wollen, was sie früher mussten, nämlich durch ihre Arbeit fremden Reichtum mehren. Allein, der Wille zur Lohnarbeit reicht nicht aus, da es immerhin noch eines Käufers bedarf, der sie verwendet. Und das ist bekanntlich gar nicht selbstverständlich.

Im Wettbewerb um einen Arbeitsplatz müssen die Schwarzen mit bereits etablierten Arbeitskräften, mit neuen Auswanderern aus dem zerstörten Europa und aus Südamerika in einem klassischen Einwanderungsland konkurrieren und sind dem freien und gleichen Wettbewerb aufgrund ihrer schlechten Ausgangsbedingungen denkbar miserabel gewachsen. Auch der Konkurrenz um Schulnoten und Abschlusszeugnisse als Mittel zum Aufstieg in die höheren Positionen der Lohnarbeit können sie meist kaum standhalten, fehlen den Kindern bzw. ihren Eltern doch meist die materiellen und sozialen Mittel, sich gegen die gleichaltrigen weißen Kontrahenten im Bildungssystem durchzusetzen.

Unterm Strich jedenfalls müssen die schwarzen US-Bürger zwar völlig gleichberechtigt um Geld und in der Folge um Arbeit konkurrieren – bekommen deshalb aber noch keine oder nur schlechte und vor allem schlecht bezahlte; nicht zuletzt, weil die Einwanderungspolitik der USA im Interesse ihrer Unternehmer für ein Überangebot an billigen, willigen und qualifizierten Arbeitskräften aus aller Welt sorgt. Afroamerikaner in den USA sind im Vergleich zu weißen Lohnabhängigen daher doppelt so häufig arbeitslos, sofern sie eine Beschäftigung haben, ist diese im Durchschnitt wesentlich schlechter bezahlt. Mehr als ein Viertel lebt deutlich unterhalb der amtlichen Armutsgrenze, die Kindersterblichkeitsrate ist höher, die durchschnittliche Lebenserwartung geringer als die der Weißen. Ihre mangelnde Zahlungsfähigkeit führt auch dazu, dass sie sich aus freien Stücken auf dem freien Wohnungsmarkt konzentriert in den Armutsquartieren der US-Städte wiederfinden, so dass es seit einem halben Jahrhundert ganz ohne staatlichen Zwang zur – vornehm formuliert – „ethnischen Segregation“ kommt. Im Ghetto finden sie sich mit all jenen (Behinderten, Illegalen, Kranken, Alten usw.) vereint, die zwar kaum „Chancen“ zum legalen Gelderwerb haben, aber dennoch auf Dollar angewiesen sind, wenn sie im Land der Freiheit (über)leben wollen.

„Lebensbewältigungsstrategien“

Und natürlich entwickeln sie in der Folge die Lebensbewältigungsstrategien, die für die Pauper, für die „Überflüssigen“ im Kapitalismus, seit jeher kennzeichnend sind und die wegen der damit verbundenen Störungen der öffentlichen Ordnung zum Gegenstand sozialer und polizeilicher „Arbeit“ werden: Entweder die schwarze Unterschicht versucht, sich mit ihrer trostlosen Lage abzufinden,

  • indem sie ihren Willen zur Konkurrenz und damit sich selbst schlichtweg aufgibt (Obdachlosigkeit, Verwahrlosung, Schulverweigerung usw.),
  • indem sie an ihrem freien Willen verrückt werden (Wahnsinn),
  • indem sie Trost im Glauben und in der Gemeinde suchen (einerseits seit jeher erwünscht, andererseits gefährlich – Sekten, Fundamentalismus usw.),
  • indem sie mit Gewalt eine familiäre Reproduktion zu erzwingen suchen, zu der ihnen angesichts miserabler Wohnverhältnisse, prekärer Arbeit, Geld- oder Zeitnot usw. die Mittel fehlen (häusliche Gewalt, Kindeswohlgefährdung etc.),
  • indem sie mit Drogen ihre Not betäuben, die Stimmung aufhellen und auch ohne materielle Grundlage ihr verfassungsmäßig garantiertes Recht auf „Happiness“ wahrzunehmen suchen (Alkoholmissbrauch, Drogenkriminalität etc.).

Oder sie versucht auf unerlaubtem Wege Dollar zu erwerben,

  • indem sie fremdes Eigentum aneignen (Diebstahl, Raub, Erpressung usw.),
  • indem sie mit Drogen und Waffen handeln,
  • indem sie die zum illegalen Erwerb notwendige Organisierung vornehmen, um gegen Konkurrenten und die Ordnungsmacht zu bestehen (Gangs, organisierte Kriminalität),

Während Vertreter der ersten Variante, weil noch weitgehend um Rechtschaffenheit bemüht, eher ein Fall für „Social work“, „Community organizing“ und „Charity“ ist, werden die unvermeidlichen Verstöße der schwarzen, meist männlichen Unterschicht gegen die US-Rechtsordnung von der Polizei im Rahmen ihrer Möglichkeiten hart verfolgt. Bei der Ausübung ihres staatlichen Auftrags treffen die Polizisten – übrigens auch schwarze Cops – immer wieder auf dieselben Täter mit derselben Hautfarbe in denselben Stadtteilen, so dass sie – auch ohne rassistische Vorurteile – einen ethnisch definierten Tätertypus entdecken: junge, schwarze Männer in den Armutsvierteln! Darauf gründet sich dann die gängige Polizeipraxis des „Racial profiling“, die schnell auf einen Pauschalverdacht gegen Schwarze hinaus läuft.

„Die sozialistischen Kritiker der Black Panther hatten also recht, als sie der Bürgerrechtsbewegung und Martin Luther King vorwarfen, dass mit der rechtlichen Gleichstellung für die eigentumslosen Massen nichts gewonnen sei – nicht einmal ein gewaltfreies Überleben in Armut.“

In jedem Fall ist aber die permanente Kollision junger, schwarzer Männer mit der US-Polizei aus den oben genannten Gründen materiell unvermeidlich, ganz unabhängig vom Willen und Bewusstsein der Beteiligten. Und deshalb findet diese Sorte inneren Dauerkriegs der Ordnungsmacht gegen ihre schwarze Unterschicht unvermindert statt – nicht trotz, sondern wegen eines halben Jahrhunderts rechtlicher Gleichstellung und trotz eines schwarzen Präsidenten im Weißen Haus. (Die sozialistischen Kritiker der Black Panther hatten also recht, als sie der Bürgerrechtsbewegung und Martin Luther King vorwarfen, dass mit der rechtlichen Gleichstellung für die eigentumslosen Massen nichts gewonnen sei – nicht einmal ein gewaltfreies Überleben in Armut.) In der Zwischenbilanz hält das Land der Freiheit weit über zwei Millionen Bürger gefangen und steht damit im Verhältnis zur Einwohnerzahl weltweit an der Spitze. Der Anteil der schwarzen Häftlinge ist überproportional hoch. Etwa jeder 20. schwarze Mann ist Insasse in einem US-Gefängnis. Aber trotz der unvermeidlichen Kollisionen verfügen alle Beteiligten über Wille und Bewusstsein und deuten die Situation entsprechend (falsch).

Die Deutung durch die Polizei …

Für US-Polizisten steht geradezu dogmatisch fest, dass die Rechtsordnung, die sie verteidigen, für alle Bürger gut ist, weil sie erstens auf demokratischem Wege zustande gekommen, zweitens für alle gleichermaßen gültig und drittens den Menschenrechten entsprechend, d. h. der verfassungsmäßig festgeschriebenen Menschennatur gemäß ist. Aus ihrer professionellen staats-bürgerlichen Sicht gibt es also keine (guten) Gründe für Rechtsverstöße, bzw. muss jeder gute Mensch das Recht wollen. Im Umkehrschluss ist für Verstöße gegen die Rechtsordnung verantwortlich: mangelhafter (betrunken, wahnsinnig, minderjährig, affektiv usw.) oder böser Wille. Diesen bösen Willen entdecken sie nun immer wieder im selben Tätertyp im selben Viertel, so dass sie ihr professionell unerlässliches Verdächtigungsdenken in ein rassistisches Feindbild vom bösen schwarzen Mann übersetzen. Dieses Denkmuster lässt sich als Rassismus des Anstands bezeichnen.

Hinzu kommt für Polizisten – wie für alle Mitglieder der freien Konkurrenzgesellschaft auch – die falsche, aber beinahe unerschütterliche Überzeugung, dass jeder für seinen (Miss-)Erfolg selbst verantwortlich ist, sofern es bei der Konkurrenz nur „fair“ zugeht, d. h. jeder seine Chance hatte. (Dass die „Chance“ das Scheitern schon impliziert, ist logisch zwar evident und bei Lottospielern und Krebspatienten leidlich bekannt, aber vom Standpunkt der praktischen Vernunft irrelevant.) Wenn also jeder und jede nur eine faire Chance zum Wettbewerb in Schule, auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt bekommen hat, dann ist der bedauerliche Misserfolg auf die Konkurrenzanstrengung des einzelnen, auf mangelnden Willen und oder mangelnde Eignung zurückzuführen. In jedem Fall sind die Wettbewerber selber Schuld. Dies begründet die allgemeine Deutung der Verlierer als Versager, die sich inzwischen ein neudeutsches Sprachdenkmal geschaffen hat: „Du Loser!“

Der falsche geistige Rückschluss vom (Miss-)Erfolg in der kapitalistischen Konkurrenz auf die Erfolgsfähigkeit des Individuums begründet die Verachtung der Überflüssigen sowie die Bewunderung der (Erfolg)Reichen. Gilt erst einmal die Logik, dass der Erfolg am Markt Auskunft über die Erfolgsfähigkeit und damit über den sittlichen Wert des Marktteilnehmers gibt, so lässt sich die Formel des demokratischen Erfolgsrassismus in beide Richtungen deuten: Jeder verdient, was er verdient! (Offenbar teilen das auch viele Arme, so dass sie sich – weit davon entfernt, aufzubegehren – ihrer Armut lieber schämen.) Vom Standpunkt der staatstragenden Sorge um das Gemeinwesen aus gedacht kann man die Reihe in sarrazynischer Logik noch verlängern: Die armen Verlierer der kapitalistischen Konkurrenz sind demnach nicht nur Versager, sondern geradezu Schädlinge, die der Gemeinschaft der Leistungserbringer auf der Tasche liegen, mit ihrer Lebensbewältigung die Ordnung stören und der Polizei das Leben schwer machen.

Der Rassismus des Anstandes als auch der Rassismus des Erfolges lassen sich miteinander verbinden und ethnisieren. Sofern das Heer der Habenichtse und Störenfriede doch unübersehbar zu großen Teilen aus Schwarzen besteht, lässt dies (nicht nur) aus polizeilicher Sicht den Rückschluss zu, dass es sich dabei um einen Menschenschlag handelt, der offenbar gar nicht zur öffentlichen Ordnung passen will.

Schließlich verhalten sich die unter Dauerverdacht Gestellten schon aus diesen Gründen – verständlicherweise – meist feindselig gegenüber der Ordnungsmacht, haben tatsächlich den Willen zur Teilhabe an der erlaubten bürgerlichen Konkurrenz weitgehend aufgegeben und verfolgen, z. T. sogar ohne schlechtes Gewissen, kriminelle Ziele. Insofern bestätigen sie die rassistischen Konstrukte der Polizei, jedoch aus ganz anderen Gründen.

… und durch ihre schwarzen Opfer

Schwarze US-Unterschichtler sind leider ebenfalls weitgehend davon überzeugt, dass die (diskriminierungs)freie Rechts- und Eigentumsordnung der USA ein Angebot zur Verwirklichung auch ihrer Interessen darstellen müsste. Da sie aber in Wirklichkeit überdurchschnittlich oft zu den sozioökonomischen Verlierern gehören und in der Folge überproportional häufig im Gefängnis sitzen, deuten sie ihre Lage fälschlich als Folge von ungerechtfertigter Diskriminierung (und werden in dieser Sicht von linken Soziologen bestärkt).

Vom US-Staat und der US-Gesellschaft sehen sie sich insofern rechtlich, institutionell und moralisch ungerecht behandelt und betrogen; sind entsprechend beleidigt und tragen diese Mischung in Form eines eigenen Stolzes und Rechtsbewusstseins vor, das die ohnehin kaum vermeidbaren Rechtsbrüche mit dem guten Gewissen der ausgleichenden Gerechtigkeit begeht. Der Mut der Jugend tut das übrige. In der permanenten Verdächtigung durch die Polizei und andere Teile der bürgerlichen Ordnung finden sie schließlich die Bestätigung für ihre (falsche) Vorstellung, dass es das System (grundlos) auf sie abgesehen hat.

Freiheit, Gleichheit und Eigentum!

Der – wie oben gezeigt – unvermeidliche Konflikt zwischen US-Polizei und schwarzer Unterschicht erscheint beiden Seiten als etwas anderes: Beide Seiten gehen fälschlich davon aus, dass mit der Verwirklichung der bürgerlichen Grundrechte der Erfolg aller Mitglieder der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft gewährleistet sein müsste. Dieser unerschütterliche Glaube an die Glück bringende Wirkung der bürgerlichen Freiheit eint die Kontrahenten. Beide Seiten berufen sich auf Verfassung und Menschenrechte und wähnen sich als deren tatsächliche Verteidiger. Ihre Kollisionen nehmen beide Seiten daher als unnötige, was ihre Wut auf die jeweils andere Seite nur weiter steigert.

Allerdings sind Polizisten mit ganz anderen Mitteln ausgestattet, gegen schwarze US-Amerikaner auf der Grundlage ihres beruflich bedingten rassistischen Feindbilds vorzugehen. Im Zweifelsfall dürfen sie zudem auf den Schutz einer Justiz hoffen, die im Rechtsbewusstsein und der Gewaltbereitschaft der Polizei eine unverzichtbare Säule der Staats- und Eigentumsordnung erkennt, die nicht durch harte Verurteilungen wegen unverhältnismäßiger Gewaltanwendung oder rassistischer Morde erschüttert werden soll.

Es ist insofern kein postkoloniales Relikt, welches das harmonische, menschenrechtlich fundierte Miteinander von Schwarz und Weiß stört. Es ist vielmehr die den Menschenrechten zu Grunde liegende, demokratische Rechtsordnung erwerbsbürgerlicher Freiheit, staatsbürgerlicher Gleichheit und der ausschließenden Verfügungsgewalt über die gesellschaftlichen Produktionsmittel als Eigentum selbst, die – neben den wenigen nutznießenden Eigentümern des gesellschaftlichen Reichtums – die große Masse der Lohnabhängigen und als deren unvermeidlichen Teil auch noch die „Überflüssigen“ hervorbringt. Die Wirkmächtigkeit der Geschichte, des Kolonialismus, der Sklaverei und Apartheid besteht darin, die ethnische Zusammensetzung dieser Unterschicht zu beeinflussen, indem durch die vordemokratische Zurichtung die Schwarzen mit den schlechtesten Ausgangsbedingungen in die bürgerliche Konkurrenz eintreten mussten.

Sowohl für die materielle Lage der Afroamerikaner als auch für den US-Rassismus ist also die gegenwärtige Rechtsordnung und Wirtschaftsweise verantwortlich. Schwarze in den USA können sich im Kampf gegen ihre materielle Lage, gegen Polizeigewalt und Verachtung nicht auf die Verfassungswerte berufen. Soll sich ihre Lage ändern, so müssen sie (wieder) zum bewussten Kampf gegen die politische Verfassung und wirtschaftliche Ordnung ihrer Staatsmacht übergehen. Ausland Leitartikel Meinung

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  1. Roman sagt:

    vielen Dank für die ausführliche Analyse.

  2. HaDiBo sagt:

    Staatstragende Medien?

    „Die Frage, warum US-Polizisten regelmäßig afroamerikanische Bürger töten, spielt für die staatstragenden Medien folglich kaum eine Rolle“ ist in dem Beitrag zu lesen.

    An welche Medien denkt die Migazin-Redaktion dabeI? Ich bitte Sie um Nennung dieser Medien.

    Freundliche Grüße
    Hans-Dieter Hagedorn

  3. karakal sagt:

    Die Abschaffung der Sklaverei in den USA hätte auf andere Weise durchgeführt werden müssen und geschah übereilt, vermutlich, weil Präsident Abraham Lincoln befürchtete, seine Nachfolger könnten sie wieder rückgängig machen.
    Im Gegenteil zur Sklaverei im antiken Römischen Reich gehörten die Unfreien ausschließlich einer bestimmten Rasse an, deren Angehörige an äußerlichen Merkmalen leicht zu erkennen waren. Hier wäre jahrzehntelange gründliche Bewusstseinsbildung bei der Bevölkerung nötig gewesen, dass diese Sklaven afrikanischer Herkunft ihnen gleichwertige Menschen sind.
    Den afro-amerikanischen Sklaven war es verboten gewesen, Lesen und Schreiben zu lernen, und sie ohne diese Kenntnisse und ohne Ausbildung in anderen Berufen als dem Pflücken von Baumwolle unvermittelt in die Freiheit zu entlassen, kann als großer Fehler angesehen werden, denn die meisten von ihnen waren genötigt, als Saisonarbeiter zu ihren ehemaligen Sklavenhaltern zurückzukehren, nur dass letztere nun nicht mehr auch außerhalb der Erntesaison für ihren Unterhalt zu sorgen hatten.
    Daher wäre es besser gewesen, zunächst nur die Kinder der Sklaven zu freien Bürgern zu machen, ihnen auf Staatskosten eine den Weißen gleichwertige Schul- und Berufsausbildung zu gewähren und den Sklavenhaltern ihrer Eltern einen Zuschuss zum Unterhalt der freien Kinder zu zahlen. Als erwachsene Berufstätige hätten sie dann – je nach ihren Vermögensverhältnissen und mit Unterstützung von dafür bestehenden wohltätigen Organisationen – sich darum bemühen können, ihre Eltern freizukaufen. Durch ein Verbot der Einfuhr neuer Sklaven und die automatische Freiheit der Kinder hätte die Sklaverei mit dem Ableben der alten, nicht freigelassenen Angehörigen der letzten Generation von Unfreien geendet.
    Man sollte bedenken, dass Sklavenhalter in ihre unfreien Arbeitskräfte Geld investiert haben, das sie verlieren, wenn diese ohne Entschädigung per Gesetz zu freien Menschen werden, was bei den ehemaligen Sklavenhaltern Groll sowohl auf die Regierung als auch auf die ehemaligen Sklaven erzeugen kann.

  4. Charr sagt:

    Schwarze, die in den USA von Polizisten getötet werden, sind noch nicht mal das Problem. Das EIGENTLICHE Problem sind Schwarze, die andere Schwarze töten. In einem Jahr werden in den USA mehr Schwarze von anderen Schwarzen getötet, als schwarze von Polizisten in 30 Jahren. Leider haben dazu die Demokraten nichts zu sagen. Darum müssen schwarze Babys in Chicago und Detroit in der Badewanne schlafen: Weil Black Lives Matter, der Bürgermeister und die Demokratenpartei nichts unternehmen wollen. Die Schwarzen in den USA wählen immer wieder aufs neue Demokraten-Bürgermeister und dürfen dann auch immer wieder aufs neue dabei zusehen, wie ihre Städte langsam in sich zusammenfallen. VIELLEICHT ist es mal Zeit für einen Republikaner. Denn Demokraten wählen hat ja nicht sonderlich gut funktioniert bis jetzt.

  5. Ana sagt:

    Interessant, dass hier Klasse als Kategorie mal wieder auftaucht. Meines Erachtens eine zentrale in unserem kapitalistischen Wirtschaftssystem. Die Frage bleibt, ob es eine Form des demokratischen Sozialismus geben kann? Soziale Freiheit braucht mehr als gute ökonomische Grundlagen, auch wenn diese wichtig sind. Ich empfehle sehr Axel Honneth’s Analyse in seinem neuen Buch: „Die Idee des Sozialismus“.

  6. Max Torf sagt:

    Aus nach ethnischem Hintergrund kategorisieren FBI-Statistiken geht hervor, dass die „White-on-White“ (Firearm) Mordrate in etwa der der Schweiz entspricht (3.01/100 000 vs. 4.0 /100 000), bei Latinos sind diese Werte identisch, Asiaten kennen so etwas nicht, während die „Black-on-Black-Firearm-murder-rate“ höher ist, als die in Kolumbien, in Senegal und in Kenia und in etwa der von Swaziland entspricht (37/100 000 vs. 38/100 000). Amerikanische Polizisten schützen auch schwarze amerikanische Bürger und wenn man sie daran hindert, und wenn auch nur indirekt, was man inzwischen den „Fergusson-Effekt“ nennt, dann wirkt sich das negativ vor allem auf die schwarzen amerikanischen Bürger aus. Das ist gelebter Rassismus, nicht phantasierter.

  7. Der Autor arbeitet sehr schön heraus, dass es höchste Zeit wird dem Kapitalismus die Schonung wieder radikal zu entziehen … Feindbild muss wieder die Wirtschaftsweise werden … es gab Zeiten, da waren die Menschen mutiger im Kampf gegen dieses Monstrum … mögen sie ihren Mut und ihre Kreativität wiederfinden, bevor es endgültig zu spät dafür wird … aber vielleicht ist es auch nie zu Spät für radikalen Wandel …

    Josef Özcan / Diplom Psychologe / http://www.mig-gesundheit.com