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"Sophia oder Der Anfang aller Geschichten" von Rafik Schami erschienen beim Hanser Verlag

Rafik Schami

Die Chemie des Schreibens

Rafik Schami erzählt Geschichten nach allen Regeln der Kunst, mit märchenhafter Sprache und Humor. Geboren in Damaskus, wurde er zunächst Doktor der Chemie in Heidelberg - und traf dann die beste Entscheidung seines Lebens.

Von Sophie Elmenthaler Freitag, 24.06.2016, 8:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 26.06.2016, 14:17 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

„Dies ist die Geschichte eines Mannes, der mit 25 Jahren aus Damaskus in die Kurpfalz kam, um dort einer der erfolgreichsten Schriftsteller Deutschlands zu werden.“ So könnte ein Porträt über Rafik Schami anfangen. Der Autor, geboren 1946 als Suheil Fadel in Syrien, hat mehr als 60 Bücher geschrieben, die in 29 Sprachen übersetzt wurden. Seine märchenhaften Erzählungen, seine Romane, Kinder- und Jugendbücher sind Bestseller, er hat mehr als 30 Preise erhalten. Wie kaum ein anderer verkörpere Schami die Kraft des Erzählens, würdigte ihn Hanser-Verleger Jo Lendle zum 70. Geburtstag am 23. Juni.

Es war in den 60er Jahren, als sich der junge Chemie- und Physikstudent Schami mit dem Regime von Hafis al-Assad anlegte. Der Vater des heutigen Präsidenten Baschar al-Assad herrschte damals diktatorisch über das Land. Der Christ Rafik Schami, schon damals trug er seinen Künstlernamen, betrieb unter anderem eine Wandzeitung namens Al-Muntalak, die verboten wurde.

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1970 floh er in den Libanon und ging ein Jahr später weiter nach Deutschland – nicht, um Schriftsteller zu werden, sondern erst einmal, um den Doktor der Chemie in Heidelberg zu erwerben. Er habe mit der Illusion hantiert, gleichzeitig Chemiker und Schriftsteller zu sein, sagt Rafik Schami. Das sei aber nicht gutgegangen: „Ich litt gesundheitlich sehr unter zwei zeitlich und geistig sehr anspruchsvollen Arbeiten.“

Er habe sich für die Literatur entschieden, die beste Entscheidung, die er je getroffen habe. Bis heute profitiert er aber von seiner naturwissenschaftlichen Ausbildung: „Der Chemiker in mir ist nie zufrieden, wenn ich etwas zu schnell behaupte. Er fordert von mir gute Recherche.“

Info: Am Dienstag, 28.6.2016, 20.00 Uhr, findet am Literaturhaus München, Salvatorplatz, ein Fest für und mit Rafik Schami statt, Einlass & Bewirtung ab 18.30 Uhr: „Worte kitzeln empfindlicher, als es die Finger je vermögen“.

Und so kommt es, dass Rafik Schamis Erzählungen immer sehr durchdacht sind. Oft geht es um Liebe. Sie sei das beste Mittel gegen die Diktatur, denn sie wäge nicht ab, sondern schaffe einfach Tatsachen, sagte Schami dem ZDF kürzlich in einem Interview. Es ging um Schamis neuesten Roman „Sophia oder der Anfang aller Geschichten“. Die Hauptfigur Salman kehrt nach Jahren des Exils nach Damaskus zurück und gerät in die Fänge der Geheimdienste. Das einzige, was ihn retten kann, ist eine alte Liebe seiner Mutter Sophia.

Die Geschichte endet kurz vor dem Beginn des Aufstands 2011. Warum er da nicht weiter geschrieben habe, wurde Rafik Schami häufiger gefragt. Er antwortete, Revolutionsromane seien für ihn als Romancier nichts. Ihn interessierten vielmehr die feinen Risse, die vor dem Aufstand in der Unterdrückungsstruktur des Systems auftreten.

Dieses System, sagt er, stütze sich neben seinen 14 Geheimdiensten auch auf eine Gesellschaftsstruktur, die auf Loyalität zur Sippe beruhe. Sie sei das soziale Netz der arabischen Gesellschaften, sie kümmere sich um alles, lasse aber dem Einzelnen wenig individuelle Freiheit. Die brauche er aber, um ein mündiger, aufrechter Mensch werden zu können.

Rafik Schamis Figuren lehnen sich regelmäßig gegen ihre Verwandten auf, verlieben sich in Mitglieder verfeindeter Familien oder anderer Konfessionen und interessieren sich herzlich wenig für die Heiratspläne ihrer Verwandten. Sie sind Verfechter der Menschlichkeit.

Der Autor glaubt daran, dass der Mensch nach Freiheit strebt, nach dem Guten – wenn er nicht faul und dumm sei, zwei Eigenschaften, die er nicht leiden könne. Und Schami möchte Geschichten erzählen. Das tut er nach allen Regeln der Kunst, mit märchenhafter Sprache, ein bisschen Orientklischee, Humor und einem Stil, der sich um literarische Moden nicht kümmert.

Wenn er auf der Bühne erzählt, gestenreich und frei aus dem Kopf, lauschen ihm die Zuhörer in Scharen. Er ist populär im besten Sinne, immer in seiner charakteristischen Arbeitskleidung: einer Weste mit gemusterter Vorderseite. „Meine Hände sind genauso wichtig wie meine Zunge“, sagt Rafik Schami.

Lange konnte er sich als etablierter Schriftsteller auf seine Arbeit konzentrieren, an seinem Schreibtisch in Marnheim in der Pfalz, die er als eine der schönsten Landschaften der Welt bezeichnet. Dann kam der Krieg in Syrien, und er war plötzlich als Experte gefragt. „Als ob man durch die Geburt in einem Land alles, auch Details über Geheimgesellschaften, wissen muss“, sagt Rafik Schami, „und noch dazu verwechselten manche mich mit einem Flüchtlingskommissar.“

Trotzdem hat er sich vielfach geäußert, denn natürlich hat ihn der Krieg sehr getroffen, Familie und Freunde leben nach wie vor in Damaskus. Er glaubt, dass der Aufstand gegen das Assad-Regime richtig war, nur habe Syrien das Pech, in einer geostrategisch wichtigen Position zu sein, so dass sich viel zu viele Mächte eingemischt hätten.

Leider, so sagt Rafik Schami, wollten die wenigsten Journalisten mit ihm über die Ursachen der Krise sprechen: „Wenn man diese Länder ausrauben lässt und deren Diktatoren mit Technik und Waffen ausrüstet, um das Erdöl fast umsonst zu bekommen, so darf man nicht über die Folgen jammern.“

Im Jahr 2012 gründete der Vater eines Sohnes mit Freunden die Organisation „Schams“, die Kindern in Syrien und Libanon Bildung und psychosoziale Betreuung ermöglicht. Rafik Schami sagt, er träume von dem Tag, an dem alle Kinder ohne Angst und Hunger aufwachsen könnten und so laut lachten, dass Gott sie höre, sich zurücklehne und „Endlich!“ seufze.

Sich selbst zu seinem 70. Geburtstag zurückzulehnen und quasi in den Ruhestand zu gehen, das ist Rafik Schamis Sache allerdings nicht. Er fühle sich „voller Drang, neue Projekte anzugehen.“ Den Rummel der vergangenen Monate wird er Ende Juni mit einer Feier abschließen, die seine Verlage Hanser und dtv in München ausrichten. Und dann, sagt er, will er sich erst einmal zwei bis drei Jahre zurückziehen und an einem neuen Roman arbeiten. (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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