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Bashar S. flüchtete aus Syrien, um seine Familie zu retten © Michael Brunner

Interview

In Damaskus gefangen

Deutschland nimmt Geflüchtete aus Kriegsgebieten auf. Gleichzeitig wird das Asylrecht verschärft und der Familiennachzug erschwert. Was bedeutet das für die Geflüchteten? Wir sprachen mit Bashar S., einem syrischen Geflüchteten.

Von Dienstag, 01.03.2016, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 01.03.2016, 21:25 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Herr S., Sie leben seit acht Monaten in Deutschland, haben hier Asyl. Wie geht es ihrer Familie in Damaskus?

Meine Frau ist jetzt allein mit ihrer Schwester und unseren Kindern. Alle unsere Verwandten sind raus aus Syrien. Die Preise dort sind um das Zehn- bis Fünfzehnfache gestiegen. Überall in Damaskus sind Soldaten. Sie machen dort, was sie wollen. Es gibt keine Gesetze mehr.

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In Deutschland wird darüber diskutiert, welche Flüchtlinge ihre Familie nachholen dürfen. Was denken Sie darüber?

Bashar S. stellte am 9. Juni seinen Asylantrag. Am 16. Dezember erließ das Bundesamt (BAMF) den Bescheid, der ihm die „Flüchtlingseigenschaft“ zuerkennt. Den Brief dazu erhielt er einen Monat später. Seine Frau und seine beiden Söhne leben noch in Damaskus.

Seit drei Wochen habe ich die Erlaubnis zum Familiennachzug. Darüber bin ich sehr glücklich. Ich bin doch hierher gekommen, um meine Familie zu retten. Aber es passiert nichts. Ich bin hier in Sicherheit, aber meine Familie lebt weiter im Krieg.

Ihre Familie darf doch nachreisen. Warum ist sie denn noch nicht in Deutschland?

Sie brauchen ja Visa. Die gibt es in der deutschen Botschaft. In Syrien gibt es aber keine Botschaft mehr. Das heißt, meine Frau und die Kinder müssen zur deutschen Botschaft im Libanon. Den Termin dafür habe ich gleich beantragt. Doch es passiert nichts. Auf Facebook heißt es, die frühesten Termine soll es im März 2017 geben.

Was passiert, wenn ihre Familie nicht kommen kann?

Ich weiß es nicht. Ich kann es mir überhaupt nicht vorstellen. Wegen meiner Familie bin ich hier.

Was machen Sie nun?

Warten. Wir haben kein Geld mehr. Ich bin hier sicher, aber mir zerreist es das Herz, wenn ich an meine Frau und die Kinder in Damaskus denke. Ich kann im Moment nichts tun.

Wann haben Sie denn ihre Familie zuletzt gesehen?

Am 7. Mai 2015. An dem Tag habe ich Damaskus und meine Familie verlassen.

Was passierte an dem Tag?

Um sechs Uhr wollte ich los. Die Kinder schliefen noch. Meine Frau fragte, ob sie die beiden wecken soll. Ich sagte ‚Nein‘ und verabschiedete mich nur von meiner Frau und ihrer Schwester. Dann fuhr ich mit einem Verwandten zum Hotel. Dort wartete der Bus unseres Dealers.

Was nahmen Sie mit auf ihre Flucht?

Ich hatte nur eine Tasche dabei. Darin waren ein Rasier-Apparat, eine Jeans, ein Pyjama, zwei T-Shirts, drei Slips und ein Paar Schuhe. Wir hatten gehört in Mazedonien müssen wir lange laufen. Deshalb hatte ich auch Binden mit dabei. Und Tabletten gegen Kopf- und gegen Magenschmerzen. Mein Pass war in der Tasche. Aber auch mein Militärausweis. Den brauchte ich auf dem Weg nach Aleppo. In der Tasche waren noch 20.000 syrische Pfund und 300 Euro. Wir mussten uns 5.000 Euro von der Familie meiner Frau borgen. Eine Schwägerin aus den Emiraten schickte mir unterwegs weiteres Geld.

Was war ihr Ziel?

Ich wollte nach Deutschland. Das hieß, zuerst nach Homs und Hama durch syrisches Regierungsgebiet. Ab Hama war es Gebiet der Freien Syrischen Armee. Von dort ging es zur türkischen Grenze. In der Türkei mussten wir einen Weg nach Europa finden, also mit einem Boot nach Griechenland.

Wie kam es überhaupt zu ihrer Entscheidung, Syrien zu verlassen?

Das ist eine lange Geschichte, die bereits 2011 begann. Meine Frau und ich waren zu Hause und sahen Al Jazeera. Dort berichteten sie über erste Demonstrationen in Syrien. Wir sagten erschrocken: „Was ist das?!“

Warum?

In Tunesien, Ägypten und Libyen haben wir gesehen, was passieren kann. Es demonstrierten immer mehr Menschen. Sie gingen freitags nach dem Gebet gemeinsam auf die Straße. Es gab erste Schüsse. Polizei und Geheimdienst holten Leute, die aus der Moschee kamen, und steckten sie ins Gefängnis. Es gab erste Tote unter den Demonstranten. Bei uns in der Nähe wurde später ein hoher Militär getötet. Wir dachten, dass die Armee sich nun rächen wird.

Was machten Sie?

Ich rief meine Frau an. Sie packte die wichtigsten Sachen ein und wir zogen ins Haus ihrer Schwester. Ihre Familie wohnte direkt neben einer Polizeikaserne.

Und waren Sie da in Sicherheit?

Das dachte ich. Doch als ich auf der Arbeit war, bekam ich einen Anruf meiner Frau. Sie weinte und flehte: „Bashar, hilf uns!“ Die Freie Syrische Armee hatte die Polizeikaserne überfallen und tötete die Polizisten. Daraufhin kamen Flugzeuge der Assad-Armee und bombardierten das Gelände.

Und dann?

Bashar S., Jahrgang 1979, ist verheiratet und hat zwei Kinder (2006 bzw. 2009 geboren). Sein Vater floh mit seiner Familie 1948 aus Palästina. Deshalb steht in Bashars syrischem Pass: „Palestinian Refugee“. Er absolvierte zuerst ein zweijähriges Studium zum Englisch-Lehrer. Danach arbeitete er als Audiotechniker im palästinensischen Radio in Damaskus. Parallel dazu und bis zu seiner Flucht im Jahr 2015 war er Leiter der Soundabteilung einer Audiofirma in Damaskus. In Deutschland macht er gerade ein Praktikum bei einem Radiosender.

Ich überlegte, wie ich zu meiner Frau und den Kindern kommen könnte. Das Assad-Militär war dort, die Freie Syrische Armee auch. Auf den Dächern Scharfschützen. Es gab das Gerücht, dass Aleviten unterwegs waren, um die Sunniten dort zu töten. Ich bin selbst Sunnit und glaubte das nicht. Sunniten begannen, sich zu bewaffnen. Von der Familie meiner Frau kamen zwei junge Männer, mit denen wollte ich nun die Familie rausholen. Wir trafen uns an der Brücke „Präsident Hafez Al Assad“. Ich trank in Ruhe eine Cola, um den Jungen zu zeigen, dass ich keine Angst habe. Mit zwei Autos fuhren wir los. Alles war dunkel, Granaten schlugen um uns ein. Unterwegs hielt uns noch ein bewaffneter Trupp von 20 Männern an. Sie ließen uns durch. Ich rief dann meine Frau an. Mit den Kindern und der Schwester kamen sie uns entgegen. Mein kleiner Sohn wich nicht mehr von meiner Seite. Der Große sprach kein Wort. Wir kamen noch raus. Später erfuhren wir, dass an diesem Tag der Schwager von Assad mit anderen hohen Geheimdienst-Chefs ermordet wurde.

Wie konnten Sie in Damaskus weiterleben?

Wir wechselten mehrmals die Wohnung, wohnten bei Verwandten. Vier Familien in drei Zimmern. Ich schlief auf dem Balkon. Mehrmals fuhr ich in unser altes Haus, um Sachen zu holen. Einmal war die Freie syrische Armee dort. Sie nahmen mich und einen Verwandten fest. Ein Soldat hatte mich erkannt. Er war vorher Security-Mitarbeiter im palästinensischen Radio, in dem ich als Tontechniker gearbeitet hatte. Alle Medien in Syrien sind regierungsnahe, auch dieses Radio. Sie fesselten uns, verbanden uns die Augen und führten uns zu ihrem Anführer. Der sagte: „Du bist mit der Regierung, hast viele Leute getötet!“ Ich sagte, dass ich das nicht gemacht habe.

Was wäre aus meiner Familie geworden, wenn ich als Assad-Mann sterbe?! Ich sagte, dass es auch palästinensische Kliniken gibt, und fragte, ob er die Ärzte dort auch erschießen will? Sie wollten mich einschüchtern, führten uns dann raus. Ich dachte, ich muss sterben. Sie schossen, aber an uns vorbei.

Was passierte danach?

Uns war klar, wir müssen das Land verlassen. Wir versuchten zu Verwandten in die Emirate oder nach Saudi-Arabien zu kommen. Aber wir bekamen nirgendwo ein Visum. Nun bin ich in Deutschland. Meine Jungs waren von der Idee begeistert. Sie wollen raus aus Damaskus. Von Deutschland wussten sie nur, dass das Land irgendwo am Meer liegt. Meine Frau redet immer mehr von Deutschland. Ich telefoniere täglich mehrmals über Whats-App mit ihnen. Aktuell Gesellschaft Interview

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