Zwei-Klassen-Medizin

Mängel in der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen

Der Gang zum Arzt ist selbstverständlich - nicht aber für Asylsuchende in Deutschland. Benötigen Flüchtlinge medizinische Hilfe, dann beschränkt sie sich auf akut notwendige Eingriffe. Ärzte beklagen eine Zwei-Klassen-Medizin. Von Frank Leth

Von Frank Leth Freitag, 15.04.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 20.04.2016, 21:01 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

August Stich vom Missionsärztlichen Institut in Würzburg sieht in der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen deutliche Mängel. „Flüchtlinge haben in Deutschland kein gleiches Recht auf Gesundheit“, sagt der Tropenmediziner, der sich auf die ärztliche Versorgung von Flüchtlingen spezialisiert hat. Wenn sich Behörden querstellen und die Behandlung einer ernsten Erkrankung verweigern, dann wird es laut Stich schwierig.

Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz müssen die Kommunen bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen sowie bei Schwangerschaft und Geburt die „erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung“ gewährleisten. Ein Anspruch auf Psychotherapien, Reha-Maßnahmen oder auch Zahnersatz besteht dagegen in der Regel nicht.

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Die Kosten für die medizinische Versorgung übernehmen die Sozialämter, die „Behandlungsscheine“ ausgeben. In einigen Bundesländern müssen die Flüchtlinge den Behörden zuvor darlegen, warum sie einen Arzt aufsuchen wollen.

Mit der Registrierung des Asylsuchenden in einer Erstaufnahmeeinrichtung soll innerhalb von drei Tagen ein Screening durch das Gesundheitsamt erfolgen. „Das Amt empfiehlt aber grundsätzlich keine Therapie“, sagt Mathias Wendeborn, Kinderarzt und Initiator der Refudocs, einem Verein zur medizinischen Versorgung von Flüchtlingen, Asylsuchenden und deren Kindern.

Viele kranke Flüchtlinge wüssten daher auch nicht, wo sie hingehen können. Niedergelassene Ärzte hätten zudem das Problem, dass die Behandlung wegen der Sprachprobleme deutlich länger dauert – was ihnen jedoch nicht ausreichend vergütet werde.

Asylsuchende in der ehemaligen Bayernkaserne in München, einer Erstaufnahmeeinrichtung für bis zu 1.600 Asylsuchende, haben noch Glück. Hier sind die Refudocs tätig. „Allgemeinärzte, Kinderärzte, Psychiater und auch Gynäkologen behandeln täglich bis zu 120 Patienten“, berichtet Wendeborn. 35 Pflegekräfte und zehn Dolmetscher stehen stundenweise bereit. Bezahlt wird ihre Arbeit von der Regierung Oberbayern.

Refudoc-Mitglied und Tropenmediziner Martin Alberer hat die Akten von 548 Flüchtlingen ausgewertet, die zwischen Januar und Anfang März 2015 medizinisch betreut wurden. Danach unterscheiden sich die meisten Erkrankungen bei Asylsuchenden nicht von denen der Deutschen. Allerdings: Jeder zehnte Flüchtling wurde positiv auf Tuberkulose getestet, ohne dass die Betroffenen damit auch gleichzeitig ansteckend sind.

Viele Asylsuchende haben Depressionen oder Posttraumatische Belastungsstörungen. Nach einer Untersuchung an 300 Bewohnern einer Würzburger Gemeinschaftsunterkunft litten knapp drei Viertel an einer psychischen Erkrankung. Die Traumata seien Folge von erlebter Gewalt: „Es gibt Kinder, die mussten die Erhängung ihres Vaters mit ansehen“, sagt Stich.

Der Würzburger Arzt weiß von Fällen, in denen die Behörden erforderliche Therapien nicht bezahlt haben. So sei bei einem 17-jährigen Flüchtling eine chronische Eiterung des Knochens hinter dem Ohr festgestellt worden. „Die notwendige HNO-Operation wurde nicht genehmigt“, sagt Stich. Nun drohe dem Jugendlichen die Taubheit des Ohres. (epd/mig) Leitartikel Politik

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