Fuat Saka
Lasst die Menschen ihre eigene Kultur leben!
Fuat Saka, türkischer Musiker aus der Schwarzmeerregion, lebte viele Jahre in Deutschland und ist deutscher Staatbürger. Im April und Mai kommt er auf Tour nach Europa. Cevat Tersakan sprach mit ihm über seine Musik, die Heimat in der Fremde und kulturelle Verwurzelung.
Von Cevat Tersakan Mittwoch, 13.04.2016, 8:19 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 13.04.2016, 17:30 Uhr Lesedauer: 8 Minuten |
MiGAZIN: Lieber Fuat, vervollständige bitte zwei Sätze für uns: „Deutschland ist für mich…“
Fuat Saka: … mein Lebensmittelpunkt außerhalb meiner Heimat. Als ich die Türkei gezwungenermaßen verlassen musste, habe ich dort 20 Jahre im Exil gelebt. Aber Deutschland ist für mich auch heute keine Vergangenheit, denn ich habe in Deutschland sehr gute Freunde gefunden. Das Leben wird von Menschen geprägt, eine Umgebung ohne Menschen hat für mich kaum eine Bedeutung.
„Die Türkei ist für mich…“
Fuat Saka, Jahrgang 1952, ist Musiker. Als einer der Vorreiter und wichtigsten Vertreter der anatolischen Volksmusik machte er vor allem aber die Musik aus der Schwarzmeerregion bekannt. Sein erstes Album veröffentlichte er 1982. Lange Zeit wohnte er in Deutschland, kehrte jedoch vor zwanzig Jahren in die Türkei zurück und lebt nun in einem kleinen Dorf am Meer in der Provinz Muğla.
Fuat Saka: … das Land, in dem ich geboren und groß geworden bin. Ich bin in der Schwarzmeerregion aufgewachsen, die ich sehr liebe, und habe das Meer und die Berge sehr intensiv erlebt. In der Türkei gibt es eine sehr große kulturelle Vielfalt, deshalb lebe ich hier so gern.
Wie sieht der Tagesablauf von Fuat Saka aus?
Fuat Saka: Nun ja, ich bin ein Musiker, der meistens nachts arbeitet. Mein Studio ist so etwas wie eine Küche für mich, in der ich in verschiedenen Töpfen und mit allen möglichen Rezepten meine Stücke koche. Weil ich oft die ganze Nacht produziere, stehe ich meistens spät auf. Dann frühstücke ich wie jeder andere Mensch auch und beschäftige ich mich auch den Rest des Tages mit der Musik. Ich habe eine Frau, mit der ich mein Leben teile. Im Sommer gehe ich in Palamutbükü schwimmen. Im Winter sitze ich mit meinen Freunden zusammen. Was mache ich sonst noch? Seitdem diese Mobiltelefone in unser Leben eingedrungen sind, verbringt man ja zwei bis drei Stunden täglich am Telefon und natürlich im Internet. Das ist alles, ein ganz normales Leben also. Ich bin eigentlich ein Musiker, der sehr bescheiden lebt.
Du lebst auch sehr zurückgezogen. Ist diese Abgeschiedenheit wichtig für deine Arbeit? Vermisst du das Großstadtleben nicht?
Fuat Saka: Ich lebe hier in einem Dorf mit knapp 300 Einwohnern. Es gibt hier keinen Flugzeug- oder Autolärm, keine Abgase, gar nichts. Hier habe ich die Möglichkeit, der Natur zu lauschen. In so einer Umgebung ist man mit sich allein, ob man es will oder nicht. Ich fühle mich aber niemals einsam, weil ich mitten in der Natur, mit der Natur lebe. Ich kenne zwar die Namen der Vögel nicht, aber ich höre mir ihren Gesang genau an und versuche, ihn in Noten zu fassen. Niemand, der in einer Stadt lebt, hat diese Möglichkeit. Diese Umgebung und die Natur sind sehr wichtig für mich, sie prägen mich. Ich habe auch sehr gute Freunde hier, vielleicht 15 – 20 Personen. Als ich noch in Istanbul lebte, konnten wir uns fast nie sehen. Hier aber sind wir uns fast jeden Abend, unterhalten uns und teilen unser Leben.
Du hast lange Zeit in Deutschland und auch in Frankreich gelebt. Wie hat das Leben im Ausland dich und deine Musik beeinflusst?
Fuat Saka: Als ich die Türkei verließ, kam ich zuerst nach Deutschland. Nach einem Jahr zog ich nach Paris, später ging ich dann wieder nach Hamburg. Das Leben im Ausland hat meine Musik natürlich beeinflusst, es hat ihr eine neue Dimension verliehen. Ich war dort mit lateinamerikanischen, afrikanischen, fernöstlichen und nordeuropäischen Musikern zusammen, was meine Musik sehr bereichert hat. Die Vielstimmigkeit des Lebens, der Musik und ihre Harmonie habe ich dort näher kennen und umsetzen gelernt. Ich habe von meinen Musikerfreunden so viel gelernt, wie ich niemals in einer Schule hätte lernen können. Es fand ein sehr starker Austausch statt. Ich möchte nicht sagen, dass sie mir die europäische Musik und ich ihnen die anatolische Musik beigebracht hätten. Eher haben wir unsere Kulturen miteinander verschmolzen oder verwoben, wie in einem Schmelztiegel. Das Leben im Ausland hat mir also sehr viel gegeben. Ich habe dort ja auch eine neue Sprache gelernt. Ich konnte anfangs kein Wort Deutsch. Nun spreche ich es vielleicht nicht perfekt, habe es aber gelernt.
Kommen deine Fans vornehmlich aus der Türkei oder aus Deutschland?
Fuat Saka: Ich habe auch viele griechische Fans. Nach meiner Rückkehr in die Türkei habe ich nämlich drei oder vier Jahre mit Savapoulos, Nikos Papazoglu und Maria Farantouri Musik gemacht und Konzerte gegeben. Ich kann diese Frage am besten so beantworten: meine Musik kann jeder hören.
Du lebst nun seit 20 Jahren wieder in der Türkei. Hast du noch eine Verbindung zu Deutschland oder Frankreich?
Fuat Saka: Ich bin deutscher Staatsbürger, das heißt meine zweite Staatsangehörigkeit ist deutsch. Ich habe dort meine Freunde, deshalb bestehen meine Beziehungen weiterhin. Viele befreundete Musiker leben dort, dann sind da die Freunde aus dem Stadtteil, in dem ich gewohnt habe. Das ist ein sehr wichtiger Faktor für mich. Diese Beziehungen kappe ich nicht. Ich habe auch eine Tochter in Deutschland. Ich bin ihr Vater und sie hat eine deutsche Mutter. In meiner Beziehung nach Deutschland ist sie sehr wichtig, sie ist meine Brücke, ein Bindeglied. Es ist, als würde ich gleichzeitig in zwei Ländern leben. In Gedanken bin ich dort, stehe aber mit beiden Füßen hier in der Türkei. Damals war es umgekehrt. In den Jahren meines Exils stand ich mit den Füßen im Ausland, aber in Gedanken lebte ich in der Türkei. In Gedanken war ich immer in der Türkei. Jetzt ist es umgekehrt.
In deiner Musik verschmilzt du Volkslieder mit Jazz-Elementen, verwebst also Altes mit Neuem und verarbeitest unterschiedliche Einflüsse. Wo findest du deine Inspiration?
Fuat Saka: Die Deutschen sagen, das kommt aus dem Bauch. Es ist meine Lebensauffassung, die mich inspiriert. In einem Satz zusammengefasst, kann ich sagen: Meine Welt und meine Inspiration sind eigentlich überall. Heute bin ich hier und wer weiß, wo ich morgen sein werde.
Konzertdaten: 20.04.2016 Köln, 21.04.2016 Essen, 22.04.2016 Köln, 24.04.2016 Hamburg, 25.04.2016 Lübeck, 29.04.2016 Witten, 05.05.2016 Köln, 06.05.2016 Friedrichshafen, 07.05.2016 Zürich, 11.05.2016 Wien. Mehr über Fuat Saka gibt’s auf Facebook.
Deine Musik ist stark von der Schwarzmeerregion geprägt, was sicher mit deiner Herkunft zusammenhängt. Was bedeuten kulturelle Wurzeln für dich?
Fuat Saka: Ich bin zwar in der Schwarzmeerregion geboren, habe aber als Musiker nicht mit der Musik von dort angefangen, sondern mich mit der ganzen anatolischen Kultur beschäftigt. Etwa mit 40 Jahren habe ich angefangen, mich mit der Musik aus meiner Region, also der östlichen Schwarzmeerküste, auseinanderzusetzen. Die Lieder, Gesänge und die Lebensweise der Menschen dieser Gegend kannte ich aus meiner Kindheit. Als ich irgendwann die kulturellen Unterschiede, vor allem den Unterschied in der Melodie, in der Musikalität und im Rhythmus dieser Musik realisierte, hat mich das sehr fasziniert. Ich sagte mir, wenn ich gute Musik machen will, muss ich mich mit der Musik aus der Schwarzmeerregion beschäftigen. Ich kann schon behaupten, dass ich das Schicksal der Musik aus dieser Region mitbestimmt habe. Denn bevor ich damit anfing, hatte man diese Volksmusik zu einer Farce gemacht. Ich habe ganz neu angefangen und analysierend, forschend und fühlend versucht, ihr einen neuen Stil, eine neue Diktion zu verleihen, die ihr gerecht wird. Ich denke, dass mir das gelungen ist. Mit meinen 40 Jahren hatte ich auch kein anderes Ziel vor Augen.
Die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei stehen im Moment im Mittelpunkt der politischen Diskussionen. Verfolgst du diese Entwicklungen? Wie ist zum Beispiel deine Meinung zur Visumsfreiheit für Türken, die im Moment diskutiert wird?
Fuat Saka: Die Abschaffung von Grenzen ist eine gute Sache. Sprachen und Kulturen können unterschiedlich sein, wir leben aber alle gemeinsam auf dieser Welt. Wir sollten sie uns teilen und glücklich ohne Repression und Ausbeutung zusammenleben.
In den nächsten Wochen gehst du auf Tournee durch Europa. Freust du dich darauf?
Fuat Saka: Eigentlich würde ich das im Jahr zehnmal machen, wenn ich nicht solche Flugangst hätte. (Lacht.) Natürlich freue ich mich riesig! Ich finde es sehr schön, meine Musik auch in anderen Umgebungen, außerhalb der Türkei, vorzustellen. In der heutigen Popkultur geht das Lokale leider immer mehr unter. Niemand hört dem anderen mehr zu. Es wurde eine Einheitsmusik mit einem einzigen Zentrum geschaffen. Wenn man nach China reist, hört man zwar, dass die Chinesen in ihre Sprache singen, die Musik aber hat eine amerikanische Struktur. Wenn man in die Türkei kommt, ist das genauso, wie überall auf der Welt. Wohin man auch kommt, man hört immer dasselbe. Das ist sehr schade. Deshalb interessiert mich die lokale Musik. Man versucht, die Kulturen zusammen zu kneten und zu einer einzigen Kultur zu formen. Das ist aber etwas anderes als eine Verschmelzung, wie ich sie in meiner Musik lebe. Die Popmusik fügt Grenzen nicht musikalisch zusammen, sondern erstickt alles unter sich. Deshalb: Nein zu Grenzen, aber ja zur lokalen Kultur! Lasst die Menschen frei leben, lasst sie ihre eigene Kultur leben!
Info: Das Interview wurde von Cevat Tersakan auf Türkisch geführt und von ihm ins Deutsche übersetzt. Aktuell Feuilleton Interview
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Drastische Kürzungen Integrationskurse in ihrer Existenz bedroht
- Gegen Antisemitismus – aber wie? Kritik an Entwurf für Bundestagsresolution gegen Judenhass
- Studie Afghanische Zugewanderte verbunden mit Deutschland
- Erste Bilanz „Unerlaubte“ Einreisen gehen zurück – wegen Grenzkontrollen?
- Arbeitsagentur Mehr Fachkräfte wollen nach Deutschland kommen
- Prof. Thränhardt im Gespräch „Ukrainer sollten mit EU-Bürgern gleichgestellt werden.“