Kritik und Lob
Menschenrechtler kritisieren geplante Rückführungen in die Türkei als inhuman
Die Bundesregierung ist zufrieden mit dem Ergebnis des Brüsseler Flüchtlingsgipfels mit der Türkei. Innenminister de Maizière erahnt gar einen "Durchbruch". Doch Organisationen sind skeptisch, auch weil viele Details noch ungeklärt sind.
Mittwoch, 09.03.2016, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 09.03.2016, 21:30 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die Vereinbarungen des EU-Türkei-Gipfels zur Flüchtlingspolitik sind in Deutschland auf ein geteiltes Echo gestoßen. Vertreter der Bundesregierung begrüßten den Vorschlag der Türkei, alle irregulär in Griechenland ankommenden Migranten zurückzunehmen und stattdessen Europa Kontingentflüchtlinge aufnehmen zu lassen, als „wichtigen Schritt“. Verbände und Menschenrechtsorganisationen zeigten sich aber alarmiert. Amnesty International bezeichnete es als „inhuman“, Flüchtlinge zu tauschen.
In der Erklärung der EU-Staats- und Regierungschefs von Montag heißt es, es gehe darum, „alle aus der Türkei neu auf den griechischen Inseln ankommenden irregulären Migranten zurückzuführen“. Dies beträfe also auch Flüchtlinge, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, nicht nur sogenannte Arbeitsmigranten oder Menschen, die in Europa ein besseres Leben suchen. Im Gegenzug sollen Syrer aus der Türkei legal nach Europa kommen.
Laut Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) soll damit der Anreiz für die gefährliche Überfahrt über die Ägäis nach Griechenland wegfallen. Merkel sagte am Dienstag in Berlin, man müsse Wege finden, „dass nicht 800 Leute im Jahr in der Ägäis ertrinken“. Sie bezeichnete die Vereinbarungen als „wichtigen Schritt“. Im Details gebe es aber noch einiges an Arbeit, sagte sie. Dies soll bis zum nächsten EU-Gipfeltreffen am 17. und 18. März geschehen.
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) lobten das Ergebnis des Brüsseler Treffens. „Das könnte sich im Nachhinein als ein Durchbruch erweisen“, sagte de Maizière in Berlin. Über die von der Türkei geforderten Gegenleistungen werde weiter verhandelt. Die Türkei spiele eine zentrale Rolle, sagte Maas, ergänzte aber auch: „Wir werden uns von der Türkei nicht erpressen lassen, erst recht nicht, wenn es um Menschenrechte geht.“
Die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz, erklärte, es müsse zügig EU-intern Einigkeit darüber hergestellt werden, dass Aufnahme und Integration Schutzsuchender „eine Verpflichtung aller Mitgliedstaaten ist und bleibt“. Insbesondere die osteuropäischen Staaten hatten bislang gesamteuropäische Kontingentlösungen blockiert. Inwieweit sie sich nun an einer Lösung im Rahmen der EU-Türkei-Agenda beteiligen und Flüchtlinge aufnehmen, ist noch unklar.
Bei einem Besuch in Berlin appellierte auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon am Dienstag an die Verantwortung aller EU-Staaten. Die EU bestehe aus 28 Staaten, die eigentlich alle die Fähigkeit hätten, humanitäre Hilfe zu leisten. Er sei Kanzlerin Merkel dankbar, dass sie vorangegangen sei. Jetzt zähle er auf alle europäischen Staats- und Regierungschefs. „Europa ist der Kontinent, auf dem mehr geleistet werden kann“, sagte Ban.
Die Vereinbarungen des EU-Türkei-Gipfels wollte Ban nicht bewerten. Dagegen äußerte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) scharfe Kritik. Die pauschale Rücküberführung von Flüchtlingen aus einem Land in ein anderes Land ohne ausreichende Schutzmechanismen für die Menschen sei mit europäischem und internationalen Recht nicht vereinbar, erklärte Europa-Direktor Vincent Cochetel in Genf. Das Vorhaben der EU und der Türkei sei so nicht zu akzeptieren.
Amnesty Internationale bezeichnete die Pläne als „kurzsichtig“ und „inhuman“. Es würde bedeuten, dass für jeden Kontingentflüchtling ein anderer sein Leben auf der gefährlichen Route über die Ägäis riskieren müsste, erklärte Amnesty. Auch Pro Asyl zeigte sich alarmiert: Damit werde das Leben eines fliehenden Eritreers, Irakers oder Afghanen gegen das Leben eines Syrers ausgespielt, sagte Geschäftsführer Günter Burkhardt. Er bezweifelte, dass dies vereinbar mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention ist. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte dagegen die Rechtmäßigkeit des Vorhabens verteidigt: „Wir haben dies sehr sorgfältig untersucht.“
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, sagte, die „gewichtigste Frage“ sei, wie das individuelle Asylrecht sichergestellt werden könne, „wenn Menschen an der griechischen Küste abgewiesen und einfach ohne Prüfung in die Türkei zurückgebracht werden“. Die Diakonie zeigte sich nach dem Gipfel enttäuscht darüber, dass keine konkreten Hilfen für Griechenland beschlossen wurden. Es sei untragbar, dass 13.000 Flüchtlinge bei winterlichen Temperaturen zwischen Pfützen in winzigen Zelten hausen und nur notdürftig versorgt werden, sagte Präsident Ulrich Lilie. (epd/mig) Aktuell Politik
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