Flüchtlinge
Wir brauchen verlässliche Daten
Im vergangenen Jahr sollen 1,1 Millionen Asylsuchenden nach Deutschalnd gekommen sein, davon sollen etwa 477.000 einen Asylantrag gestellt haben. Viel mehr wissen wir über diese Menschen nicht. Das birgt enorme Risiken für die Integrationsarbeit. Von Stephan Sievert
Von Stephan Sievert Mittwoch, 27.01.2016, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 27.01.2016, 21:46 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Etwa 1,1 Millionen Asylsuchende kamen 2015 nach Deutschland, verlautbarte das Bundesinnenministerium vor wenigen Tagen. Doch so ganz genau weiß keiner, wie viele es tatsächlich sind und wie viele dieser Menschen sich noch in Deutschland aufhalten. Denn die zitierte Zahl misst lediglich all jene, die im vergangenen Jahr im System zur Erstverteilung von Asylsuchenden (EASY) registriert wurden. Sie könnte jedoch zu hoch angesetzt sein, da vermutlich einige der Registrierten bereits in andere Länder weitergezogen sind. Dies ist zwar im europäischen Dublin-Verfahren nicht vorgesehen, doch das europäische Asylabkommen war in den letzten Monaten angesichts der immensen Zuwanderungszahlen de facto nicht nur in Deutschland außer Kraft gesetzt. Gerade durch die Überforderung der Länder an den EU-Außengrenzen konnten erst die vielen Flüchtlinge bis nach Deutschland kommen.
Die Zahl der tatsächlich in Deutschland lebenden Flüchtlinge könnte jedoch auch niedriger als in der Statistik sein, da das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in seinen Publikationen wiederholt darauf hinweist, dass es in der EASY-Statistik zu Mehrfachzählungen gekommen sein könnte. Hier zeigt sich ein eindeutiges Versäumnis der deutschen Verwaltung. Diese hätte von Anfang bei der Erstregistrierung Fingerabdrücke aufnehmen und diese in einer zentralen, von allen Bundesländern abrufbaren Datenbank speichern müssen, um Doppelzählungen auszuschließen.
Für eine erfolgreiche Integration sind verlässliche Daten aber unabdingbar. Dabei geht es nicht nur um die genaue Zahl der Flüchtlinge in Deutschland, um den Bedarf an Unterkünften zu ermitteln und unterstützende Leistungen wie Sprachkurse in der richtigen Größenordnung zu planen und bereitzustellen. Um eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen, ist es außerdem notwendig, detaillierte Informationen über Alter, Ausbildung, Kenntnisse und Fähigkeiten der Neuankömmlinge zu haben. So könnten jene, die über geeignete Qualifikationen verfügen, passgenau an die richtigen Vermittlungsangebote weitergeleitet werden.
Was also wissen wir aktuell über die Flüchtlinge in Deutschland? Wir wissen, dass von den ungefähr 1,1 Millionen Asylsuchenden im Jahr 2015 etwa 477.000 Menschen einen Asylantrag gestellt haben. Diese Zahl veröffentlichte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Anfang des Jahres. Die große Differenz zwischen den Asylantragszahlen und den Registrierungen im EASY-System lässt sich zum Teil auf die oben genannten Gründe zurückführen, rührt aber auch daher, dass viele der Neuankömmlinge noch nicht die Möglichkeit gehabt haben, ihren Asylantrag einzureichen.
Hauptherkunftsland der Asylbewerber war Syrien, von wo mehr als jeder dritte Antragsteller kam. Auf den weiteren Plätzen folgen Albanien und Kosovo, was allerdings überwiegend der Situation in der ersten Jahreshälfte 2015 zuzuschreiben ist. Aufgrund ihrer geringen Erfolgsaussichten im Asylverfahren ist die Zahl Asylsuchender aus Balkanstaaten seit Sommer deutlich zurückgegangen. Derzeit kommen die meisten Menschen neben Syrien aus anderen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens, vor allem aus dem Irak und aus Afghanistan. Letzteres bedeutet, dass die allermeisten ankommenden Asylsuchenden mittelfristig in Deutschland bleiben dürften. Für 96 Prozent der Syrer steht am Ende des Verfahrens ein positiver Bescheid, bei den Irakern sind es 89 Prozent und bei Afghanen immerhin noch 48 Prozent.
Die Asylantragsteller im vergangenen Jahr waren zu zwei Dritteln männlich und zu über 80 Prozent unter 35 Jahre alt. Gerade Letzteres stellt eine Chance für die deutsche Wirtschaft dar. Doch die Riesenaufgabe der Integration dieser Menschen in die deutsche Gesellschaft und in den deutschen Arbeitsmarkt wird nur gelingen, wenn sie aktiv an die Hand genommen werden. Dabei ist keine Zeit zu verlieren, denn schnell kann auf beiden Seiten, bei Flüchtlingen wie bei Einheimischen, Frustration einsetzen und der Glaube an eine erfolgreiche Integration schwinden. Grundlage für passgenaue Angebote für Asylbewerber ist eine solide Datenbasis.
Doch gerade an jener Datenbasis hapert es. Die Gesundheitskarte kommt bislang lediglich in den drei Stadtstaaten flächendeckend zum Einsatz, und das Asylpaket II wartet weiter auf seine Verabschiedung in der Koalition; jenes Asylpaket, das die Asylverfahren deutlich beschleunigen soll und damit früher Planungssicherheit für Antragsteller und Behörden zuließe.
Hoffnung macht das jüngst im Bundestag beschlossene Datenaustauschverbesserungsgesetz. Es soll ein neues Kerndatensystem etablieren, in dem alle relevanten Angaben zu Asylsuchenden gebündelt und von allen betroffenen Behörden eingesehen und bearbeitet werden können. Zu den in Zukunft direkt bei der Erstaufnahme abgefragten Daten zählen dann neben den auch bislang schon gespeicherten Grundpersonalien. Zusätzlich der Fingerabdruck, der Staat, aus dem die Einreise erfolgt ist, Angaben zu begleitenden Kindern, Gesundheits- und Impfinformationen sowie Bildungs- und Qualifikationsdaten. Asylsuchende sollen darüber hinaus einen fälschungssicheren Ankunftsnachweis erhalten, der Voraussetzung für den Bezug staatlicher Leistungen ist.
Mit der Ausgabe des Nachweises soll im Februar begonnen werden. Bis Sommer soll er dann flächendeckend zum Einsatz kommen. Das bedeutet, dass es kurzfristig weiterhin Doppelzählungen und Nicht-Erfassungen geben wird. Und ob der avisierte Zeitplan tatsächlich eingehalten werden kann, bleibt ebenfalls fraglich. Bundesinnenminister de Maizière räumte im Bundestag bereits ein, dass der enorme technische Aufwand der neuen Regelungen zu weiteren Verzögerungen führen könnte. Deutschland ist nach wie vor schlecht darauf vorbereitet, die große Zahl an Flüchtlingen angemessen zu bewältigen. Aktuell Meinung
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