Ausstellung
„Welten der Muslime“ im Ethnologischen Museum
Die Dauerausstellung "Welten der Muslime" im Ethnologischen Museum Berlin hat den Anspruch, differenzierte Perspektiven auf den verallgemeinerten Islam zu zeigen. Ozan Keskinkılıç hat die Ausstellung besucht.
Von Ozan Keskinkılıç Freitag, 23.10.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 26.10.2015, 17:22 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Noch hat das Ethnologische Museum in Berlin-Dahlem die Türen geöffnet. Mit der Fertigstellung des umstrittenen Projekts „Berliner Schloss – Humboldt Forum“ bis 2018/19 soll sich das ändern. Die „außereuropäischen Sammlungen“ der Staatlichen Museen zu Berlin werden dann ihren Ausstellungsort und damit die Räume ihrer ethnologischen Inszenierung ins Zentrum der Hauptstadt verlegen.
Bis dahin lädt auch die Dauerausstellung „Welten der Muslime“ nach Dahlem ein, ein Projekt mit Anspruch auf differenzierte Perspektiven auf den allgemein verallgemeinerten Islam und seiner monolithischen Stereotypisierung. Die ethnologische Ausstellung will damit aufräumen und einen Islam der kulturellen Vielfalt präsentieren. Im Werbeflyer des Museums heißt es hierzu „Wie vielfältig ist die muslimische Welt? Gibt es Gemeinsamkeiten, die auf die Religion des Islam zurückgehen und uns berechtigen von DER islamischen Welt zu sprechen?“ Eine Sammlung aus 25.000 Objekten soll diesen Fragen nachgehen und eindimensionale Bilder, aus Presse und gängigen gesellschaftlichen Diskursen über „den Islam“, herausfordern.
Doch hier beginnt schon das erste Problem, was heißt muslimische Welt und wo befindet sich muslimisches Leben? Die Objekte, unter anderem Schalen, Töpfe, Holzgefäße, Teppiche, Schmuck, Kleidungsstücke, Musikinstrumente etc., stammen aus Nordafrika, Naher/ Mittlerer Osten, Zentralasien und Nordwestchina. Sicherlich bleibt die Auswahl der Objekte dem „Forschungs- und Ausstellungsfeld“ des Ethnologischen Museums geschuldet, das „das Ferne“ „hierher“ holt. Nichtsdestotrotz wird dadurch eine geografisch-kulturelle Trennlinie aufrechterhalten, die die muslimische Welt auf die genannten Orte reduziert und das Bild von essenzialistischen Kulturkreisen reproduziert. Die fehlende Irritation des Titels „Welten der Muslime“ macht es unmöglich, muslimisches Leben oder Welten der Muslime als Teil westlicher und europäischer Geschichte und Gesellschaft zu sehen. Das Ferne, Fremde, Nicht-eigene, Nicht-europäische wird geografisch wie kulturell-religiös als das Andere markiert. Die eigene Position des Betrachters inmitten der Ausstellung bleibt unhinterfragt. Wer spricht über wen? Wessen Stimme wird repräsentiert? Welche Bilder und Kontexte gehen mit den Objekten in ethnologischen Räumen einher? Wem gehörten die Stücke und wie kommen diese nach Europa? Was heißt „Europa“ in Abgrenzung zu dieser benannten „muslimischen Welt“ außerhalb der eigenen Mauern?
Diese Fragestellungen spielen im ersten Willkommensraum der Ausstellung eine große Rolle. Wo werden die Betrachter „abgeholt“? Ein interaktives Touchscreen lädt die Gäste ein, auf spielerische Weise mehr über die Vielfalt der islamischen Welt zu lernen. Auch hier beschränkt sich die Auswahl auf Nordafrika und den Nahen Osten. Die implizite Botschaft lautet: der Islam gehört „dorthin“ und ist Teil „derer“. Im Hintergrund läuft „orientalische Musik“, der Mauszeiger wird als das Bild eines Jungen auf einem fliegenden Teppich dargestellt. Schon im ersten Raum, bevor die eigentliche Ausstellung beginnt, werden orientalisierte Bilder über das Fremde in all seiner Exotik verstärkt. Die interaktive muslimische Welt wirkt verzaubert, mit Turbanen, fliegenden Teppichen und Wunderlampen. Unter anderem heißt es im virtuellen Spiel: „Diese sagenumwobene Wunderlampe hat eine lange Geschichte, die viele, viele Jahre zurückreicht. Man erzählt sich sogar Aladdin selbst hätte sie schon in den Händen gehalten. Aber vergiss nicht… wähle deine drei Wünsche weise!“
Die Reproduktion orientalisierter Repräsentationen über den Nahen Osten und den Islam stehen im Widerspruch zu einem Anspruch differenzierter Perspektiven. Die Zurschaustellung des Anderen erlebt durch „orientalische“ Musik auch in den eigentlichen Ausstellungsräumen exotischen Charakter. Dazu gehört die Verwendung von Begrifflichkeiten, die im Kontext einer Orientalismus- und Rassismuskritik zu problematisieren sind. Das Ausstellungsschild „Gastfreundschaft in der muslimischen Welt“ erklärt: „Muslimische Gesellschaften sind für ihre Gastfreundschaft bekannt. […] In Gemeinschaften mit bäuerlich-tribalen Strukturen hängen Gastfreundschaft und Gastrecht außerdem eng mit dem Konzept von Männlichkeit zusammen. […].“
Was bedeutet es also, über das Andere zu sprechen, ohne das Eigene zu hinterfragen, und das Andere aus einer unsichtbaren Norm heraus zu betrachten? Was bedeutet es, das Andere zu sehen, ohne dass es für sich sprechen kann? Welche Begriffe werden zur Beschreibung der Anderen verwendet, und welche Begriffe werden stattdessen genutzt, um „europäische“ Gesellschaft zu beschreiben? Was bedeutet „tribal“ gerade im Kontext ethnologischer Erzählungen über nicht-europäische Kulturen und Gesellschaft? Dieses „Wissen“ ist auch immer verbunden mit Macht und kolonialer Vergangenheit, mit seinen Auswirkungen auf heutige Ungleichheiten. Diese Fragen bleiben unberührt.
Die Ausstellung bemüht sich, vielfältiges muslimisches Leben durch verschiedene nationale und kulturelle Kontexte wie zum Beispiel aus Afghanistan, Ostturkestan, Tadschikistan, etc. darzustellen und muslimisches Leben als kulturelle Praxis zu erforschen. Nichtsdestotrotz kommt es zu einer Verschiebung von Stereotypisierungen, und einer Kulturalisierung „der Muslime“. Zwar wird versucht, Vorstellungen über „den Islam“ als Einheit mit vielfältigen Beispielen herauszufordern, jedoch bekommt Kultur gleichzeitig einen zentralen Stellenwert in der Konstruktion des Anderen. Im Fokus stehen kulturspezifische Eigenschaften, die das Andere als nicht-westlich und nicht-europäisch ausdrücken. Tradition und Kultur werden damit zu Klassifikationslinien, die die muslimische Welt von der nicht-muslimischen Moderne trennen. Die muslimische Welt wird durch ihre kulturelle Vielfalt erklärt, eine Kultur, die jedoch anders als das Eigene bleibt. Ihre Andersartigkeit beruht auf ihrer anderen Kultur, wie vielfältig diese auch sein möge, nämlich nicht-europäisch.
Im letzten Raum kommt es jedoch zu einer spannenden Irritation. Die Installation „99…“ von Shahla Safarzadeh bricht die Logik traditioneller muslimischer Andersartigkeit und irritiert durch Kunst aus Plexiglas. Die muslimische Welt findet plötzlich Eintritt in die Moderne. Weiter kommt es jedoch nicht. Ein Blick in das Gästebuch der Ausstellung weist abschließend auf die Lücken und Probleme hin. Unter vielen positiven Rückmeldungen finden sich vereinzelt Statements wie „Der Islam ist frauenfeindlich“ oder „Wunderbare Ausstellung – Aber Islam nimmt teil an der Unterdrückung von Frauen und man darf das nicht vergessen und sollte das nicht minimisieren“.
Jene Betrachter betreten und verlassen den Ausstellungsraum mit Stereotypen über eine frauenverachtende und gefährliche Religion, die zwar „kulturell vielfältig“ ist, aber immer noch „das Andere“ bleibt. Die Frage lautet also, wie eine antirassistische Ausstellungsarbeit aussehen kann. Jedenfalls nicht durch die unreflektierte Reproduktion orientalisierender Bilder mit fliegenden Teppichen und Wunderlampen. Dazu gehört eine kritische Infragestellung von Termini und Erörterungen darüber, was „muslimische Welt“, aber auch „hier“ und „dort“ bedeutet. Kulturelle, religiöse und geografische Bezeichnungen bewegen sich nicht in wertneutralen Kontexten. Sie bestehen in politischen und sozialen Räumen, die automatisch mit Macht einhergehen. Die Kritik einer Beziehung zwischen Wissen und Macht muss Kernpfeiler antirassistischer Ausstellungsarbeit sein und jenen eigene Stimmen gewähren, die ausgestellt werden. Das bedeutet, für sich selbst zu sprechen, essenzialistische und naturalistische Kategorien zu irritieren und einen Raum für Empowerment schaffen, in der Fremdbestimmung durch Eigendefinition durchbrochen wird. Auch das geplante Humboldt Forum kann sich dessen machtpolitischen Kontexten nicht entziehen, die Fremdheit zum Motor ihrer eurozentrischen Inszenierung erklären. Hier braucht es eine Diskussion, von musealen Repräsentationen bis hin zu kolonialen Raubgütern. Ein Blick in die Resolution der Projektkritiker „No Humboldt21!“ lohnt sich. Aktuell Feuilleton Meinung
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