Panikattacken und Flashbacks
Flüchtlingskinder brauchen dringend psychologische Hilfe
30-50 Prozent aller Flüchtlinge in Deutschland sind einer Schätzung zufolge traumatisiert. Doch nur die allerwenigsten bekommen psychologische Unterstützung. Schulpsychologen gibt es zu wenige und Lehrer nicht geschult. Von Barbara Driessen
Von Barbara Driessen Mittwoch, 23.09.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 30.09.2015, 23:55 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Zahira hat Glück gehabt – könnte man meinen. Schließlich hat die 14-Jährige die Flucht aus Syrien mit ihrer Familie überlebt und ist jetzt in Deutschland. Doch Glück sieht anders aus, denn Zahira ist traumatisiert. Ihre beste Freundin wurde getötet. Und vor ihrer Schule in Syrien hat sie einmal eine schwere Explosion erlebt und bringt es nun kaum über sich, ein Gebäude zu verlassen: Sie hat Angst, just in diesem Augenblick könnte eine weitere Bombe einschlagen.
Auch Zahiras Vater und Mutter sind schwer traumatisiert und können ihr wenig Unterstützung bieten. Als sie und ihre Eltern der Psychotherapeutin Diana Ramos Dehn von den Erlebnissen berichteten, brach Zahiras Mutter plötzlich ohne Vorwarnung bewusstlos zusammen: „Sie hatte das, was wir einen Flashback nennen“, sagt Ramos Dehn, die als Kinder- und Familientherapeutin im Psychosozialen Zentrum für Flüchtlinge in Düsseldorf arbeitet.
„Durch die Schilderung der Erlebnisse werden die Betroffenen in die traumatische Situation zurückversetzt und erleben sie immer wieder aufs Neue, mit derselben Intensität.“ Das vergangene Mal war die Mutter auf einem italienischen Kriegsschiff ohnmächtig geworden, das sie auf dem Mittelmeer aus einem völlig überfüllten Schlepperboot geborgen hatte. Zahira und ihre Eltern werfen den italienischen Soldaten vor, sie geschlagen und beschimpft zu haben. Nahrung und Wasser gab es demnach nur, wenn Journalisten an Bord waren.
„Flashbacks kommen völlig unkontrolliert“, sagt Ramos Dehn. „Sie werden meist durch einen sogenannten Trigger ausgelöst, etwa einen Geruch oder ein Geräusch.“ Das Gehirn bringt diesen Schlüsselreiz sofort mit dem erlebten Trauma in Verbindung und löst so eine heftige körperliche Reaktion aus, gegen die die Betroffenen machtlos sind. Bei Zahira reicht ein lauter Knall oder die Fehlzündung eines Autos aus, um sie nach Syrien zurückzuversetzen.
„Die Symptome einer Traumatisierung können ganz unterschiedlich sein“, sagt die Psychologin. Dazu gehören Appetitlosigkeit sowie Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Viele Menschen ziehen sich in sich zurück, werden depressiv, einige entwickeln Angstzustände.
Eine 16-jährige Patientin bekomme jedes Mal eine Panikattacke, wenn ein Junge nahe an sie herantrete, berichtet Ramos Dehn. „Sie ist auf der Flucht von drei jungen Männern attackiert worden“, sagt die Familientherapeutin.
Esther Kleefeldt von der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e.V. schätzt, dass 30 bis 50 Prozent aller Flüchtlinge in Deutschland traumatisiert sind. „Und oft sind sie nicht einfach traumatisiert, sondern sind in ihrem Heimatland und auf ihrer monatelangen Flucht mit einer ganzen Reihe von traumatischen Ereignissen konfrontiert worden“, sagt die Therapeutin.
Doch nur die allerwenigsten bekommen tatsächlich psychologische Unterstützung. „Denn es gibt viel zu wenig freie Plätze für Psychotherapien oder soziale Beratungen. Und wir bekommen auch nur die allerschlimmsten Fälle zu sehen.“
Der Landesverband Schulpsychologie Nordrhein-Westfalen fordert schulpsychologische Unterstützungsangebote für Lehrer, die Flüchtlingsklassen unterrichten. „Es geht etwa um Fortbildungen, in denen Lehrkräfte und Schulleitungen auf Trauma-Folgen und einen professionellen, pädagogischen Umgang damit vorbereitet werden“, sagt die Vorsitzende Annette Greiner.
Dass Schulpsychologen selbst in Flüchtlingsklassen aktiv würden, hält sie aufgrund der Arbeitsbelastung für unrealistisch. Schon jetzt sei in Nordrhein-Westfalen ein Schulpsychologe für durchschnittlich 9.000 Schüler zuständig. „Und die Flüchtlingskinder kommen dann da noch drauf.“
Diana Ramos Dehn appelliert an Schulen, „sichere Räume“ einzurichten: „Wenn ein Schüler einen Flashback oder eine Panikattacke durchmacht, braucht er eine Rückzugsmöglichkeit, wo er langsam wieder zur Ruhe kommen kann.“ Und Lehrer sollten zu Anfang eines jeden Schultages Entspannungs- und Stabilisierungsübungen mit der Klasse machen. „Aber auch dafür müssen die Lehrkräfte natürlich erst geschult werden.“ (epd/mig) Gesellschaft Leitartikel
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Bei dieser hoch interassenten headline musste ich diesen sehr interassenten Artikel anklicken.
Das ist ein sehr ernst zu nehmendes Problem da viele Flüchtlinge unter „posttraumatischen Belastungsstörungen“ leiden sollen.
Mir sind gerade spontan mehrere wichtige Fragen zum Thema eingegallen:
1. Ein gesetzlich versicherter Kassenpatient soll in Deutschland KEIN ANSPRUCH auf eine Therapie in seiner Muttersprache haben….und wenn, soll die Wartezeit über 2 Jahre betragen……
Stimmt das und warum ist das so?
(Wie soll denn ein „gestörter“ Arbeiten gehen, der kostet dem Staat doch nur unnötiges Geld wenn er sein Lebensunterhalt nicht selber aufbringen kann).
2. Warum gibt es in den USA auf jeder Schule ein Schulpsychologen und in Deutschland nicht ?