Heute vor 50 Jahren
Historisches Wahlrecht im Kampf gegen Rassismus
Die US-amerikanische Demokratie streitet über das Wahlrecht. Komplexe, von Bundesstaat zu Bundesstaat verschiedene Vorschriften regeln die Stimmabgabe - und diskriminieren dabei manchmal Minderheiten, wie Bürgerrechtler meinen. Dabei war die Hoffnung groß gewesen vor 50 Jahren.
Von Konrad Ege Donnerstag, 06.08.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 11.08.2015, 16:19 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
6. August 1965, in der Hauptstadt Washington: Ein Tag des „Triumphs der Freiheit“, sagt Lyndon B. Johnson. In Anwesenheit von Bürgerrechtsführer Martin Luther King unterzeichnet der US-Präsident ein historisches Wahlrechtsgesetz. Es soll die rohe Diskriminierung schwarzer Wähler außer Kraft setzen, die in den ehemaligen Sklavereistaaten im Süden der USA Routine war.
Die Vorgeschichte zu Johnsons Wahlrechtsgesetz kennen Kinogänger aus dem Film „Selma“ (2014): Regisseurin Ava DuVernay befasst sich mit dem „blutigen Sonntag“, dem 7. März 1965, als Polizisten in der Stadt Selma im Bundesstaat Alabama mehrere hundert schwarze Demonstranten niederknüppeln, die ein neues Wahlrecht verlangen. Weiße Männer prügelten zwei Tage später in Selma den aus Boston angereisten 38-jährigen Pastor und Bürgerrechtsaktivisten James Reeb zu Tode.
Die Bilder vom „blutigen Sonntag“ schockierten damals die US-Öffentlichkeit. Eine „Schandtat“, sagte Präsident Johnson, und stellte seinen Gesetzentwurf vor.
Wahlvorschriften liegen in den USA in den Händen der Bundesstaaten. Obwohl laut Verfassung jeder Bürger das Wahlrecht hat, fanden Politiker im Süden vor 1965 Wege, Schwarze auszuschließen. Das geschah beispielsweise durch Bildungstests, in denen Afroamerikaner aufgefordert wurden, die Verfassung des Bundesstaates zu rezitieren, durch Wahlsteuern – oder durch Gewalt. Im Juni 1964 ermordeten weiße Rassisten die drei Wahlhelfer Andrew Goodman, James Chaney und Michael Schwerner in Mississippi.
In Alabama war 1964 nicht einmal ein Viertel der schwarzen Bevölkerung zur Wahl registriert, in Mississippi waren es nicht einmal zehn Prozent. Johnsons Reform verbat Bildungstests und Wahlsteuern. Staaten, in denen Diskriminierung von Wählern offenkundig war, brauchten fortan für neue Wahlvorschriften eine Genehmigung des Justizministeriums.
Nach der Reform des Wahlrechtsgesetzes standen Schwarze Schlange vor Rathäusern. Bei diesem Anblick werde ihm schlecht, sagte laut „New York Times“ Sheriff Jim Clark, in Selma mitverantwortlich für das Niederknüppeln.
Heute liegen die Wahlbeteiligungen von Schwarzen und Weißen weitgehend gleichauf. Die modernen Wahlrechtskonflikte sehen anderes aus als die in den 60er Jahren.
Vielerorts gebe es „geplante, systematische Versuche“, Studenten, Minderheiten und Einkommensschwache von der Urne fernzuhalten, kritisierte jüngst der demokratische Kongressabgeordnete John Lewis. Das sind mehrheitlich Wählergruppen der Demokraten. Der Afroamerikaner Lewis kämpft seit 50 Jahren für Gerechtigkeit an der Wahlurne: Bei den Protesten am „blutigen Sonntag“ in Selma war er 25 Jahre alt, bekam einen Schlagstock auf den Kopf und erlitt einen Schädelbruch.
Beinahe die Hälfte der 50 Bundesstaaten hat nach Angaben des Justizforschungsinstituts „Brennan Center for Justice“ in New York seit 2010 mit den Stimmen republikanischer Politiker restriktive Wahlvorschriften beschlossen. Das republikanisch regierte North Carolina gilt als klassisches Beispiel. Der Staat hat die Tage für die Stimmabgabe verringert, das Registrieren erschwert und die Ausweispflicht bei der Stimmabgabe verschärft.
Der Bürgerrechtsverband NAACP zog vor Gericht. Das Gesetz diskriminiere schwarze Bürger, denn Wählerdaten zufolge hätten sie die längere Wahlperiode überproportional in Anspruch genommen. Schwarze, Arme und junge Menschen haben außerdem oft nicht die entsprechenden Ausweispapiere.
„Der einzig vorstellbare Grund ist, Wähler zu behindern“, sagte der demokratische Landtagsabgeordnete Henry Michaux laut Radioberichten vor Gericht in Winston-Salem in North Carolina zu den neuen Wahlvorschriften. „Man muss kein Genie sei, um das zu sehen“. Inzwischen ist das Verfahren zu Ende gegangen, in mehreren Wochen soll das Urteil verkündet werden.
Schon eine nur geringe gezielte Diskriminierung könne einen großen Unterschied machen, bemerken die Kritiker. Denn manchmal sind die Wahlergebnisse knapp: In North Carolina hat Barack Obama 2012 bei den Präsidentenwahlen 48,4 Prozent der Stimmen bekommen, der Republikaner Mitt Romney 50,6 Prozent. Und im Jahr 2000 wurde George W. Bush dank seines umstrittenen Vorsprungs von ein paar hundert Stimmen in Florida US-Präsident.
2013 hat das Oberste US-Gericht die nationalstaatliche Aufsicht über die Wahlgesetze begrenzt. „Unser Land hat sich verändert“ seit dem Wahlrechtsgesetz von 1965, hieß es im Urteil. Der Kongressabgeordnete Lewis tritt für ein neues Wahlrechtsgesetz ein, um die nationalstaatliche Aufsicht über neue Wählerrestriktionen zu verbessern. Führende Republikaner sind dagegen. (epd/mig) Ausland Leitartikel
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