Verfassungsschutz, BfV, Geheimdienst, Inlandsgeheimdienst, Köln, Gebäude
Das Bundesamt für Verfassungsschutz © verfassungsschutz.de, bearb. MiG

Netzpolitik.org

Landesverrat in Maaßen

Wer meint, die Unfähigkeit des Inlandsgeheimdienstes mit dem irreführenden Namen "Verfassungsschutz" wurde im NSU Komplex ausreichend belegt, reibt sich dieser Tage verwundert die Augen. Wolf Wetzel über den Generalbundesanwalt, Landesverrat und Pressefreiheit.

Von Dienstag, 04.08.2015, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 05.08.2015, 17:43 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Über 13 Jahre lange befand sich der deutsche Inlandsgeheimdienst mit dem irreführenden Namen ‚Verfassungsschutz‘ im künstlichen Koma, als es darum ging, die Mord- und Terrorserie des NSU zu verhindern bzw. aufzuklären. Dass es auch ganz anders geht beweist diese Institution zurzeit: Der Chef dieser Behörde, Hans-Georg Maaßen, stellte Strafanzeige gegen die Herausgeber des Internet-Blogs: netzpolitik.org. Der Vorwurf lautet in aller Bescheidenheit: Landesverrat. Darauf steht im günstigsten Fall ein Jahr, im schlechtetsten Fall lebenslängliche Haft.

Der entsprechende § 94 im Strafgesetzbuch, hat die Präzision einer Schrotflinte: „Wer ein Staatsgeheimnis […] an einen Unbefugten gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen, und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

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Als Beweis führt der Inlandsgeheimdienst an, dass Netzpolitik.org mehrere Dokumente veröffentlicht hat, die für geheim erklärt wurde. Inhalt dieser Dokumente waren Arbeitspapiere des Inlandsgeheimdienstes zu Verschärfungen von Überwachungsmaßnahmen im Internet. 1

Das ist alles und doch genug für jene Bundesanwaltschaft, die ein Ermittlungsverfahren gegen die Bundesregierung wegen illegaler Zusammenarbeit mit dem US-amerikanischen Geheimdienst zur Totalüberwachung abgelehnt hatte – obwohl dies tausendfach belegt ist.

Was gegen die Bundesregerung nicht ausreicht, reicht gegen Netzpolitik.org allemal. Lassen wir einmal beiseite, dass das, was ein Ermittlungsverfahren voraussetzt, gerichtsfeste Indizien, zwischen Null und Tausend schwankt: Gegen Netzpolitik. org darf das Indiz die Größe einer Mücke haben, wenn es um ein Ermittlungsverfahren gegen die Bundesregierung oder den BND geht, dann reicht nicht einmal die Größe eines Elefanten.

Landesverrat setzt also voraus, dass man einer ‚fremden Macht‘ in die Hand spielt bzw. mit dieser kollaboriert und so die ‚äußeren Interessen der Bundesrepublik‘ massiv gefährdet. Niemand sieht irgendeine ‚fremde Macht‘ – zumindest in drogenfreiem Zustand. Handelt sich also bei dieser ‚fremden Macht‘ etwa um das Grundgesetz, das längst außer Landes geschafft wurde?

Wenn Netzpolitik als geheim titulierte Dokumente des Inlandsgeheimdienstes veröffentlicht – im Rahmen einer Diskussion, wie die Überwachung des Netzes ‚zu unserer aller Schutz‘ vorgenommen wird, dann ist dies weder rechswidrig noch kriminell, sondern Bedingung dafür, dass etwas in unserem Namen durchgesetzt werden soll. Wenn diese Veröffentlichung also tatsächlich etwas verrät, dann das Selbstverständnis eines Geheimdienstes, der mit der Verfassung dieses Landes nichts mehr zu tun hat.

Dass er dies schon oft beweisen hat, muss hier nicht ausgeführt werden. Was aber bemerkenswert ist, dass sich dieser Anzeige die Generalbundesanwaltschaft anschließt. Es geht um einen Generalbundesanwalt, dem „ansonsten die Hände zittern, wenn er die Buchstaben NSA liest.2

Lassen wir einmal beiseite, ob der Generalbundesanwalt Range aus Angst oder aus Überzeugung mit den transatlantischen Freunden kollaboriert.

Ein solches Ermittlungsverfahrens beleidigt auch den Menschenverstand: Was soll das für ein „Staatsgeheimnis“ sein, wenn ein Inlandsgeheimdienst anhand seiner eigenen Arbeitsgrundlagen überprüft werden kann? Sind die Vorgehensweisen so absurd, dass man sie nur im Geheimen ertragen kann? Und noch etwas beleidigt selbst einen Ermittler in der Probezeit: Ein Staatsgeheimnis kann nur jemand verraten, der Zugang dazu hat, der also selbst ‚Geheimnisträger‘ ist. Unstrittig ist, dass die Macher von Netzpolitik. org alles sind, nur keine ‚Geheimnisträger‘. Muss man solche Banalitäten tatsächlich einem Generalbundesanwalt erklären?

Heribert Prantl schließt seinen Kommentar zu dem Ermittlungen gegen Netzpolitik.org mit den Worten:Es braucht wieder einen Aufstand gegen die Missachtung der Pressefreiheit.

Diese Idee ist durchaus maaßvoll.

  1. Geheimer Geldregen – Verfassungsschutz arbeitet an „Massendatenauswertung von Internetinhalten“ vom 25.02.2015 und Geheime Referatsgruppe: Wir enthüllen die neue Verfassungsschutz-Einheit zum Ausbau der Internet-Überwachung vom 15.04.2015
  2. Heribert Prantl, Martialisches, äffisches Machtgehabe, SZ vom 1.8.2015
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  1. karakal sagt:

    Ich wiederhole meine mehrfach gestellte Forderung nach Abschaffung des „Verfassungsschutzes“. Kann man nicht Massendemonstrationen vor dem Gebäude des „Verfassungsschutzes“ in Köln organisieren?