Gelichter

Den Schuss nicht gehört

Rein statistisch gab es im ersten Halbjahr 2015 mit 150 Fällen fast jeden Tag einen Anschlag auf ein Flüchtlingsheim. Da scheint es nur konsequent, wenn Bayerns Seehofer aus Angst vor einem Stimmungsumschwung gegenüber Migranten den Braunen die Argumente wegnimmt. Von Sven Bensmann

Von Dienstag, 28.07.2015, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 29.07.2015, 17:21 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Dieser Tage weiß man wirklich nicht, was man noch schreiben soll: Die Welt, sie geht nicht unter mit einem Knall, sondern mit Gewimmer. Vielleicht ja mit dem Gewimmer der Opfer des neuen deutschen Finanzimperialismus, oder dem Gewimmer von geknechteten Sklavenseelen, die in Westafrika das Quecksilber aus deutschen Fernsehern schmoren, oder dem von geschundenen Kriegsflüchtlingen.

Ohne, dass ein Schuss gefallen wäre nämlich, oder wenigstens: ohne das einer der Akteure den Schuss gehört hätte, wurde ein Land in die bedingungslose Kapitulation getrieben. Und wenn schon die Welt nicht untergeht, das Abendland tut es: So versinken Reichertshofen und Böhlen und Mengerskirchen und Meißen und Lübeck und Limburgerhof und Tröglitz und Escheburg und Vorra und Waldaschaff und Remchingen in Barbarei, und diese Städte stehen nur exemplarisch – rein statistisch gab es im ersten Halbjahr 2015 mit 150 Fällen fast jeden Tag einen Anschlag auf ein Flüchtlingsheim.

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Ein Startschuss jedenfalls könnte gefallen sein, für eine neue Form des Kolonialismus, in dem die Banken die Panzer, in dem Investmentbanker die Soldaten sind – nicht, dass die Apologeten des Cyberpunk dies nicht vorhergesehen hätten und schon vor Jahrzehnten Welten malten, in denen Megakonzerne die Rolle der Staaten übernommen hatten. Doch die totale Unterwerfung Griechenlands war schon ein starkes Stück.

Und wie sich das für ein richtiges imperialistisches Volk gehört, so glüht natürlich auch der allgemeine Hass gegen alle anderen, vermeintlich Minderwertigeren, wieder auf: So brennen wieder Flüchtlingsheime, sprießen ausländerfeindliche Parteien, und allen voran, redet natürlich auch wieder ein Horst Seehofer dem braunen Mob das Wort. Wie käme der alltägliche Rassismus auch ohne einen bürgerlichen Demagogen aus, der sich nicht für einen Rassisten hält und so vermeintlich unverfängliche Rassismen verbreiten kann? Nur so lässt sich doch die Mär vom besorgten Bürger aufrecht erhalten, der keineswegs was gegen Ausländer hat, doch nur dagegen, dass die jetzt alle herkommen. Und das bloß, weil wir deren Heime zerstört haben, direkt, oder indirekt durch den Verkauf von Waffen.

Seehofer, so behauptet er, hat Angst, dass die Stimmung gegenüber Migranten kippen könnte, will deshalb Schnellverfahren für „dieses ganze schmarotzende Asylantenpack“, will menschenunwürdigste, gerade noch so notwendige, Rahmenbedingungen schaffen, humanitäres Engagement praktisch vollständig einstellen, will Bayern zum deutschen Ungarn machen – die sind ja schon seit langem des Nazis beste Freunde. Und humanitär, dass hat ja dann auch was mit Menschlichkeit zu tun, und wenn überhaupt, so sind die Ausländer ja wohl nur entfernt menschlich. Entfernt ist dabei vor allem positional gemeint: weit entfernt vom schönen Deutschland. Und nur so lässt sich schließlich der massenhafte Asylmissbrauch verhindern, den Seehofer, die NPD und die Pegida ausgemacht haben. Unnötig zu erwähnen, dass Seehofer mit Asylmissbrauch meint, die Asylanten würden nicht arbeiten, sondern nur faul herumlungern – ein Zustand, der vor allem dem Fakt geschuldet ist, dass Deutschland, als die Ausländer noch nicht „faul herumlungerten“, sondern vielmehr „den guten Deutschen Arbeitern ihre Jobs wegnahmen“, beschloss, ebenjenen Asylbewerbern zu verbieten zu arbeiten. Und dass er, würde man es den Asylbewerbern nun wieder erlauben, ganz schnell auf den „die nehmen uns die Arbeit weg“-Zug aufspringen würde.

Dabei wäre es doch gerade Bayern, dass sich für die Aufnahme von Asylsuchenden besonders eignet, kommen die meisten von Ihnen doch aus von der Zeit vergessenen Staaten mit autoritären Regierungen, ohne Opposition, in denen Nepotismus und theokratische Strukturen vorherrschen – es braucht also kaum eine große Integration, da die Kulturen sich ja bereits sehr ähneln.

Und dabei sagt und tut Seehofer das doch alles nur, damit die Stimmung gegen Ausländer nicht kippt, denn wie er weiß: Wer die Argumente der Braunen salonfähig macht, der nimmt ihnen ihre Illusionen, dass sie Recht haben könnten…

Und dann: Wo sich Horst Seehofer längst nicht mehr im geringsten um sein oder Deutschlands Image in der Welt kümmert, sorgt sich der deutsche Autobauer Porsche um so mehr um seine Verkaufszahlen: Ein Auszubildender, der auf Facebook ein junges Mädchen fremder Herkunft hatte brennen sehen wollen, muss sich jetzt einen neuen Job suchen.

Das sollte sich Angela Merkel übrigens auch mal überlegen: Zum Jugendwort des Jahres wird es wohl das Wort „merkeln“ schaffen – so bezeichnet unsere immer als politikfern gegeißelte Jugend es, wenn man einfach mal gar nichts tut. Soviel Durchblick hat die Mehrheit der Wähler nicht. Aktuell Meinung

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  1. Alexei sagt:

    „Dabei wäre es doch gerade Bayern, dass sich für die Aufnahme von Asylsuchenden besonders eignet, kommen die meisten von Ihnen doch aus von der Zeit vergessenen Staaten mit autoritären Regierungen, ohne Opposition, in denen Nepotismus und theokratische Strukturen vorherrschen – es braucht also kaum eine große Integration, da die Kulturen sich ja bereits sehr ähneln.“ Schön, dass es der Autor selber feststellt.

  2. Haralds sagt:

    Herr Bensmann pauschalisiert in seinem unausgewogenen Artikel in einer Weise, die die deutsche Aufnahmegesellschaft gründlich vor den Kopf stößt. Die Mär vom imperialistischen Volk, welches andere Menschen als minderwertig betrachtet. Man muss sich schon die Augen reiben wenn man sowas liest. Gehen wir doch weg von der großen Weltpolitik mit ihren Banken, Panzern und Kriegen. Die Flüchtlinge sind nun mal hier und was funktionieren muss ist schlicht das Zusammenleben mit diesen. In den Medien geht ein oft einseitiges Trommelfeuer auf Leser und Zuschauer nieder. Also muss man selbst ein wenig die Augen öffnen und sehen, wie sich die Flüchtlinge, im Allgemeinen gut erkennbar, auf der Straße, im Kaufhaus oder im Supermarkt benehmen. Vorbehalte, die den fairen Blick vernageln, dürften damit schon ausgeräumt werden, da sich die meisten dieser Menschen zu benehmen wissen. Sich zusammenzuraufen ist ein langer und schwieriger Prozess, zumal wenn die Flüchtlinge aus so vielen verschieden Kulturen kommen. Es kommt zu Reibereien unter einander und mit den Einheimischen. Während Herr Bensmann sich nicht daran stört, dass verschiedene Flüchtlingsgruppen untereinander nicht annähernd die Toleranz aufbringen, die sie selbst und ihre Unterstützer von der Mehrheitsgesellschaft einfordern, beleidigt er diejenigen Einheimischen, die unentschlossen, verunsichert sind und sich hilflos vorkommen. Die Typen, die vor dem Heim in Freital rumlungern und Parolen grölen, sind keine Nazis sondern in der Hauptsache kriminelle Rotzlöffel, die durch diese Auftritte ihre Minderwertigkeitskomplexe verdrängen wollen. Brandstifter sind sowieso kriminell. Dass bei der Flüchtlingspolitik viel schief läuft, Leistungen vermeintlich oder tatsächlich zu großzügig sind, sollte nicht auf dem Rücken der Flüchtlinge ausgetragen werden. Großzügig… Na ja, jeder könnte sich etwas Besseres vorstellen, als in Mannschaftszelten oder Turnhallen untergebracht zu sein.