Immigrierte Chefs
Eigentlich wächst ja die Welt zusammen…
Das Gezerre um Griechenland zeigt, wie groß die gegenseitigen Abhängigkeiten auf der Welt geworden sind. Zur gleichen Zeit verhalten sich Menschen aber so, als gäbe es noch unabhängige Nationalstaaten. Von Tobias Busch
Von Dr. Tobias Busch Mittwoch, 24.06.2015, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 25.06.2015, 16:34 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Das Gezerre um Griechenland zeigt uns täglich, wie groß die gegenseitigen Abhängigkeiten auf der Welt geworden sind. Nehmen wir für unseren Seelenfrieden an, dass sich irgendwo auch Solidarität und Hilfsbereitschaft in die europäische Motivlage mischen. Die meisten dort zu findenden Elemente sind aber sicher nicht altruistisch, sondern es geht um den Schutz der eigenen Interessen. Selbst die Amerikaner drängen die EU massiv zur weiteren Unterstützung Griechenlands, weil sie das Risiko eines instabilen Staates am südlichen Rand Europas fürchten. Keineswegs nur die wirtschaftlichen, sondern auch die sozialen und vor allem die geopolitischen Ungewissheiten treiben die europäische Kompromissbereitschaft. Die Option, Griechenland sei eines Tages wieder allein auf sich selbst gestellt, scheint aus Sicht der Politiker mit Entscheidungsmacht – nicht nur der griechischen – so unrealistisch, dass sich niemand ernsthaft damit befasst und darauf vorbereitet hat.
Zur gleichen Zeit verhalten sich an anderer Stelle die Menschen aber so, als gäbe es noch selbstständige und unabhängige Nationalstaaten. Die Engländer, eigentlich seit Jahrzehnten erfahren im Umgang mit Einwanderern, fühlen sich durch die (EU) Zuwanderung aus Osteuropa so massiv in ihrem Lebensgefühl beeinträchtigt, dass die Regierungspartei sich im Wahlkampf dazu entschlossen hat, ein Referendum über den Verbleib in der EU zu versprechen. Man kann dort gut beobachten, wie und warum die nationalen Bewegungen (dort Ukip) Zulauf gewinnen: Wenn sich früher Städte und Stadtteile z. B. durch den Zuzug aus asiatischen Kulturen langsam nach und nach verändert haben, geschieht dies heute durch die Freizügigkeitsregeln der EU mit sehr viel höherer Geschwindigkeit und weitgehend ohne staatliche Steuerungsmöglichkeiten. Zu den fünf oder zehn Prozent, die tatsächlich an die Überlegenheit der eigenen „Rasse“ glauben gesellen sich dann zuerst diejenigen, die sich durch die vermeintlichen oder tatsächlichen Regelverstöße der neuen Mitbürger gestört fühlen und im nächsten Schritt dann auch die, die sich ihre bestehende Welt möglichst unverändert erhalten wollen. Am Ende stehen dann in vielen Wahlkreisen zwanzig oder dreißig Prozent Wählerstimmen für Ukip, was wiederum die traditionellen Parteien unter Druck setzt. Trotzdem darf man davon ausgehen, dass es auch für Herrn Cameron nur darum geht, wie er das Referendum gewinnen kann; unter überhaupt keinen Umständen hat er die ernsthafte Absicht, England in eine Zukunft außerhalb Europas zu führen.
Es verändern sich aber auch die Grenzen der Gemeinschaften, innerhalb derer Menschen sich identifizieren. Junge, gut ausgebildete Europäer, die im europäischen Ausland arbeiten oder studieren, fühlen sich oft kaum noch als Ausländer im Gastland, geschweige denn als Immigranten. Sie fühlen sich als Europäer und finden es normal, in einem Nachbarland und mit einer fremden Sprache zu leben; wenn man ohnehin beim Arbeiten und in der Freizeit englisch spricht, ist es nicht mehr so erheblich, ob das Leben in Eindhoven, Maastricht oder Aachen stattfindet. Die infolge von Schengen entfallenen Grenzkontrollen tragen zu diesem veränderten Lebensgefühl kräftig bei. Ebenso, dass sich viele Äußerlichkeiten, aber auch die Mentalitäten in den großen Metropolen immer mehr angleichen. In gewisser Weise gibt es mehr Ähnlichkeiten zwischen dem Leben in Berlin und in Paris als zwischen dem etwa in Frankfurt am Main und Brandenburg, Meppen oder Cottbus. Bei Managern, die viel im Ausland gearbeitet haben und sich vorwiegend unter ihresgleichen aufhalten, geht das Gefühl, ein Fremder zu sein, selbst außerhalb Europas bisweilen ganz verloren.
In Wahrheit hat vielleicht das Gefühl, ein Einwanderer zu sein – in seinen negativen Aspekten- auch etwas mit sozialem Status zu tun; wenn man mit der fremden Sprache zu kämpfen hat, wenn jede Reise in die alte Heimat ein finanzieller Kraftakt ist, wenn Anerkennung und Nichtanerkennung von Ausbildungen, Zeugnissen und amtlichen Papieren das halbe Leben bestimmen, dann fühlt man sich fremd.
Der umgekehrte Perspektive – wie blicken die Deutschen auf die Immigranten – führt zu ähnlichen Ergebnissen. Nur wirklich wenige Unterbelichtete stören sich an eingewanderten Mitbürgern, die hier Erfolg haben und produktiv am Alltagsleben teilnehmen. Die Einwanderung wird typischerweise problematisiert anhand der Menschen, die das noch nicht geschafft haben; weil sie nicht arbeiten können oder dürfen, weil sie keine ihren Fähigkeiten angemessene Aufgabe finden, besonders natürlich diejenigen, die in ihrem Frust und ihrer Desorientierung gegen Gesetze verstoßen oder ihre eigenen Vorurteile pflegen – nicht selten ja auch Vorurteile gegen andere Einwanderergruppen. Das Ergebnis kann man dann in den neusten Untersuchungspublikationen der Bertelsmann Stiftung lesen: die meisten Deutschen hätten im Prinzip nichts gegen Einwanderer, es wären ihnen nur zu viele.
Auch wenn es furchtbar banal ist. Im Ergebnis hängt der Erfolg der deutschen Einwanderungspolitik ganz entscheidend davon ab, dass es gelingt, möglichst viele Migranten und vor allem ihre Kinder beruflich erfolgreich zu machen. Auf der ganzen Welt gibt es das Problem, dass Bevölkerungsgruppen mit Nachteilen am Arbeitsmarkt verstärkt in den unteren sozialen Schichten hängenbleiben und häufig auch in den Kriminalitätsstatistiken überproportional vertreten sind. Also müssen alle Beteiligten daran arbeiten, dass diese Nachteile möglichst innerhalb einer Generation minimiert werden.
Wenn man das Thema so betrachtet, wird klar, wie groß die Integrationsaufgaben der nächsten Jahre sind. Schwierig ist selbst schon für viele ausländische Hochschulabsolventen der Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt – trotz Fachkräftemangel und demographischer Entwicklung. Das liegt ganz wesentlich am hohen Einkommens- und Lebenshaltungsniveau in Deutschland, denn entsprechend hoch sind die Anforderungen des Arbeitsmarktes an schnelle Produktivität und passende Mentalität der Bewerber. Kulturelle Vorbehalte und Vorurteile spielen nach meinem Eindruck hier eine immer weniger große Rolle, die kulturell gemischte Gesellschaft wird einfach mehr und mehr Teil der Realität und den Arbeitgebern geht es meist ohnehin nur um Effizienz. Umso schwieriger ist aber die Situation für Migranten, die ausbildungstechnisch und sprachlich viel aufholen müssen, von den restriktiven Regeln der Arbeitserlaubnis bei Asylbewerbern gar nicht zu reden.
Natürlich lassen sich diese Dinge nicht in erster Linie bürokratisch lösen. Aber jeder Euro, der hier ausgegeben wird, ist gut investiert. Und ein Einwanderungsgesetz, das zwar nicht Rosinenpickerei betreiben darf, das aber das Ziel verfolgt, die Einwanderung auch an der Nachfrage des Arbeitsmarktes auszurichten, wäre einfach sinnvoll – von den positiven Wirkungen der begleitenden öffentlichen Diskussionen ganz abgesehen. Jeder zusätzliche erfolgreiche Immigrant ist nicht nur ein Gewinn für die Wirtschaft, sondern er hilft zugleich den anderen Immigranten auf ihrem oft mühsamen Weg. Aktuell Meinung
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