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Prof. Rafael Behr, Dekan des Fachhochschulbereichs der Akademie der Polizei Hamburg © Polizei Hamburg

Kriminologe und Polizeiausbilder Behr:

Wir brauchen neutrale Stellen, an die sich Bevölkerung und Polizisten wenden können.

Ein Polizist misshandelt Flüchtlinge. Polizeikollegen wissen davon, aber keiner traut sich etwas zu sagen. Ein Ehrenkodex kann die Ursache sein, aber nicht nur das, erklärt Kriminologie-Professor und Polizeiausbilder Rafael Behr im Gespräch mit dem MiGAZIN.

Von Mittwoch, 27.05.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 01.06.2015, 16:45 Uhr Lesedauer: 9 Minuten  |  

MiGAZIN: Wie kann es überhaupt dazu kommen, dass ein Polizist seine Macht missbraucht und einen Flüchtling derart demütigt?

Prof. Rafael Behr: Es müssen verschiedene Faktoren zusammen kommen. Zum einen die Situation, in der ein starkes Machtgefälle zwischen Polizei und Klient besteht. Zum anderen der Umstand, dass die Polizei oft an der Grenze zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit arbeitet. Die Polizeiforschung macht immer wieder die Erfahrung, dass in bestimmten Situationen und unter bestimmten Umständen die Diskriminierungs-Wahrscheinlichkeit höher ist als sonst. Zum Beispiel, wenn junge Männer, die in der Organisation nicht allzu weit nach oben gekommen sind, einen einsilbigen Arbeitsalltag haben, zum Beispiel Asylbewerber kontrollieren müssen oder illegal Einreisende kontrollieren. Dann ergibt sich ein Handlungsfeld, in dem es wahrscheinlicher ist, dass einer der Polizisten seine Macht missbrauchen kann. Wenn hinzu kommt, dass es innerhalb der Gruppe einen Ehrenkodex gibt, dass also nichts, was in der Gruppe geschieht, nach außen dringen darf, dann hindert das andere daran, Zivilcourage zu zeigen. Das ist eine gefährliche Mischung. Wenn in der Gruppe eine Atmosphäre der Hörigkeit entsteht, und auch eine starke Dominanz von aggressiver Männlichkeit, dann haben wir ein Problem.

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Wird das Problem gezielt von der Polizei behandelt, zum Beispiel in den Polizeiakademien oder nachher im Beruf kontrolliert?

Prof. Rafael Behr ist Dekan des Fachhochschulbereichs der Akademie der Polizei Hamburg. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Organisationskultur, Empirische Polizeiforschung, soziale Kontrolle sowie ethnographische Kulturforschung. Er publizierte unter anderem das Buch „Cop-Culture“, in dem er Männlichkeit, Handlungsmuster und Kultur der Polizei untersucht.

Behr: Auch das ist ein Problem. Drei Jahre werden die Studenten bei uns ausgebildet oder zweieinhalb Jahre, wenn es Schüler der Polizeischule sind. Das ist für europäische Verhältnisse relativ lange. Die Ausbildung ist auch prinzipiell in Ordnung. Nur an zwei Dingen müssen wir dringend etwas ändern: Wir bereiten unsere Schüler und Studenten nicht auf den Einsatzkontext vor, der tatsächlich draußen auf sie wartet, sondern wir bereiten sie darauf vor, innerhalb der Polizeilogik gut zu funktionieren. Die Schüler kennen das Recht, beherrschen Einsatztaktik, Eigensicherung und so weiter. Aber die Einfühlung in die Lebenswelten ihrer Klientel oder auch eine Neugier auf Fremdes, das vermitteln wir ihnen nicht, weil wir sie keine Erfahrungen in diesen Milieus machen lassen. Sie machen aber beispielsweise keine Sozialpraktika. Die können nicht vier Wochen in sozialen Brennpunkten hospitieren, wo sie nicht in der Polizeirolle sind, weil sie als Studierende und als Schüler Beamte sind. Das ist misslich. Die Studierenden machen im Rahmen der Ausbildung viele Praktikumserfahrungen, einige gehen zur Feuerwehr, andere zum Ausländeramt. Aber das ist immer Herrschaftskontext. Wir lassen diese jungen Polizisten überhaupt nicht reinkommen in die Lebenswelten, zum Beispiel: Wie geht es denn in einem Asylbewerberheim zu? Das zweite ist, wir lassen die Absolventen los aus der Theorie in die Praxis und da werden sie nicht mehr begleitet. Sie kriegen relativ schnell einen sogenannten Praxis-Schock, weil ganz viele Leute hochidealisiert bei der Polizei anfangen. Wenn sie dann rauskommen in die Praxis, erleben sie oft Dinge, mit ihren Klienten als auch unter den Kollegen, auf die sie gar nicht vorbereitet sind. Zum Beispiel, dass es in einer Gruppe einen sogenannten Widerstandsbeamten gibt, der aggressiv vorgeht. Das gibt es in ganz vielen Gruppen. In den meisten bleibt es verborgen. Das, was wir jetzt aus Hannover hören, scheint eine Konstellation zu sein, wo sich jemand so sicher war, dass er nicht angezeigt wurde und, dass er tun und lassen konnte, was er will.

Was sind die Gründe für solch einen Machtmissbrauch? Ist es das psychische Problem eines Einzeltäters? Sie sprachen eben von Männlichkeit – ist das ein „männliches“ Problem? Oder ein gesellschaftliches Problem, da es sich um Rassismus handelt?

Behr: Beides. Gender spielt für mein Dafürhalten eine ganz wichtige Rolle. Wenn wir Übergriffe analysieren, finden wir fast keine Frauen als übergriffige Polizistinnen. Es gibt keine Erfahrungen damit. Es gibt nur Erfahrungen mit übergriffigen Männern. Das hat schon etwas mit Maskulinität zu tun und mit Traditionen von aggressiver Männlichkeit. Das ist schon sehr eng damit konnotiert. Gleichzeitig muss man aber auch den strukturellen Hintergrund sehen, dass wir in bestimmten polizeilichen Arbeitszusammenhängen eben auch diese Aggressivität nutzen und benötigen. Es gibt Einheiten, da wird das jeden Tag gebraucht, da muss man hart vorgehen. Wenn das nicht reflektiert wird, dann kann es passieren, dass sich die Gruppe nach außen abschottet. So ist das wohl auch in Hannover passiert, dass man die Dinge unter sich ausmacht. Wenn dieser Druck entsteht, dann kann es ein Klima der Aggressivität und auch der Angst geben. Ich glaube nicht, dass das Klima der Gruppe durch Freundlichkeit, Transparenz und Emanzipation geprägt war, da scheint es eher sehr rau zugegangen zu sein. Interview Leitartikel

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