Flüchtlinge
In vielen Ländern ist die Ausländerfeindlichkeit zu hoch für eine konfliktfreie Ansiedlung
Stellen Sie sich vor, jemand flieht unter Lebensgefahr über das Mittelmeer und landet am Ende doch an einem Ort, wo er angefeindet wird. Ausländerfeindlichkeit ist in den meisten EU-Ländern ein Thema. In Tschechien beispielswesie reichen schon wenige Hundert Asylbewerber.
Von Isabel Guzmán Mittwoch, 13.05.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 19.05.2015, 16:52 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Martin Rozumek blickt mit einiger Sorge auf die Pläne der EU-Kommission. „Ich hoffe, dass das nicht für viele Menschen zum Alptraum wird“, sagt der Rechtsanwalt. „Stellen Sie sich vor, jemand flieht unter Lebensgefahr durch Libyen und über das Mittelmeer. Und am Ende landet er an einem Ort wie Bukarest oder Sofia. Wo er keine Perspektiven hat, niemanden kennt, bei den Bürgern nicht sehr erwünscht ist.“
Rozumek leitet die Flüchtlingsorganisation OPU mit Sitz in der tschechischen Hauptstadt Prag. Gerade hat er in Brüssel mit einer Reihe von Politikern über Migrationsfragen diskutiert. Es ging dabei auch um die Quotenregelung, die EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Mittwoch vorstellen will: Juncker will gerettete Mittelmeer-Bootsflüchtlinge auf alle EU-Länder verteilen. „Das ist alles andere als eine Patentlösung“, sagt Rozumek zweifelnd.
In einigen Ländern, auch in Tschechien, sei die Ausländerfeindlichkeit zu hoch für eine konfliktfreie Ansiedlung der Menschen, befürchtet Rozumek. Die Regierung in Prag hat bereits vor Wochen Widerstand gegen Junckers Quote signalisiert. Große Vorbehalte gibt es auch im östlichen Nachbarland Slowakei und erst recht in Ungarn. Auch die baltischen Länder sind skeptisch. Während auch einige westliche EU-Länder sehr kritisch gegenüber Flüchtlingen sind, sitzen die meisten Abschotter derzeit im Osten der EU.
Dabei hat die dortige Debatte mit realen Problemen nur bedingt zu tun. In Tschechien etwa beantragten 2014 gut 1.000 Menschen Asyl, darunter rund 100 Syrer und noch weniger Iraker. Doch das reichte, um für Aufregung zu sorgen, vor allem in sozialen Internetmedien. Die Staatsspitze selbst goss Öl ins Feuer. Tschechien müsse die islamische Bedrohung abwehren, warnte Staatspräsident Milos Zeman im vergangenen Jahr: „Das ist eine schräge Fläche, auf der man immer weiter abrutscht!“
Das Klima in Tschechien und anderen östlichen EU-Ländern sei der „Pegida“-Atmosphäre in deutschen Städten nicht unähnlich, erklärt Rozumek. „Es ist offenbar die Angst vor dem Unbekannten. Die meisten Bürger kennen selbst keine Muslime, sie lesen über sie in der Zeitung.“ Bei vielen Menschen herrsche das Gefühl: Wer weiß, wer da über Italien in die EU kommt? Armutsmigranten, gar Islamisten?
Der Terroranschlag von Paris im Januar verschärfte die Sorgen, ebenso die Horror-Propaganda des Islamischen Staates. Viele Bürger im Osten der EU fühlten sich auch einfach selbst benachteiligt, erklärt eine Mitteleuropa-Expertin der EU-Kommission in Brüssel. „Sie sind der Meinung, dass sie nach den entbehrungsreichen Jahrzehnten erst einmal selbst dran sind mit ein bisschen Wohlstand.“
Im Fall Tschechiens fände er es sinnvoller, das Land würde mittels humanitärer Visa und Arbeitsvisa einige Menschen bei sich aufnehmen, sagt Rozumek. Damit wäre die Akzeptanz wohl etwas größer als bei einer EU-Zuteilung: „Die Bürger brauchen das Gefühl, dass ihre Regierung kontrolliert, wie viele Menschen kommen und wer genau das ist.“ In jedem Fall brauche es viel mehr Geld für Integrationsprojekte.
Doch es gibt auch Fachleute, die dafür plädieren, dass die östlichen EU-Länder sich jetzt einen Ruck geben und zumindest eine kleinere Zahl Menschen über das EU-Verteilsystem aufnehmen sollten. „Fünfzig bis hundert Flüchtlinge würden das Rückgrat Estlands nicht brechen“, wirbt etwa der estnische Politikanalyst Ahto Lobjakas in der Zeitung „Postimees“. „Sie wären aber ein mächtiges Argument für unsere Zugehörigkeit zu Europa!“ Gerade im Konflikt mit Russland sei diese Zugehörigkeit sehr wichtig, unterstreicht er.
EU-Kommissionspräsident Juncker möchte ohnehin nicht alle EU-Länder gleich belasten, sondern die Wirtschaftskraft, die Bevölkerungsgröße und die Arbeitslosigkeit berücksichtigen. Es gehe zunächst einmal darum, ein europäisches Zuständigkeitsgefühl herzustellen, argumentiert der Luxemburger. „Es ist klar, dass wir mit den anderen EU-Staaten Solidarität zeigen müssen“, sagte auch die lettische Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma in der vergangenen Woche. (epd/mig) Gesellschaft Leitartikel
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