Begehrte Möbel
Von Lampedusa zum Designer
Man stelle sich Flüchtlinge vor, die über Lampedusa nach Deutschland kommen und Möbel designen, die heiß begehrt sind. Ihre Kunden: Restaurants, Cafés, Galerien, Museen und Privatpersonen aus ganz Deutschland. Unmöglich? Von Christine Xuân Müller
Von Christine Xuân Müller Donnerstag, 26.03.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 31.03.2015, 17:57 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Eine kleine Möbelwerkstatt in Berlin-Kreuzberg zeigt neue Wege in der deutschen Flüchtlingspolitik auf. Im Projekt „Cucula – Refugees Company for Crafts and Design“ bauen fünf Afrikaner zusammen mit zwei Deutschen seit einigen Monaten Stühle, Tische und Schränke nach italienischem Design.
Die Möbel sind derzeit heiß begehrt: Restaurants, Cafés, Galerien, Museen und Privatpersonen aus ganz Deutschland wollen sich mit den Berliner Flüchtlingsmöbeln ausstatten. „Anfragen kommen aus allen Ecken. Wir kommen gar nicht richtig hinterher, die Aufträge abzuarbeiten“, erzählt Corinna Sy, Designerin und eine der Projektleiterinnen.
Hergestellt werden Möbel nach Entwürfen von Enzo Mari. Der Designer entwickelte schon in den 1970er Jahren Do-it-yourself-Modelle. Sein Ziel war eine autarke Möbelproduktion beziehungsweise ein Gegenentwurf zur kapitalistischen Massenproduktion. Eine Sammlung seiner Bauanleitungen veröffentlichte er 1974 in seinem Buch „Autoprogettazione?“ Der 82-Jährige gab im vergangenen Jahr dem Team die Erlaubnis zum Nachbau seiner Möbel. Seitdem werden in Berlin die italienischen Designklassiker gefertigt.
Auch auf namhaften Möbelmessen war das Cucula-Team präsent. In Mailand, Eindhoven, Köln und München stieß das Projekt auf großes Interesse. Angesichts der guten Nachfrage würde man bei normalen Unternehmen sagen, die Auftragsbücher sind voll. Vielleicht würden sogar neue Mitarbeiter eingestellt. Doch bei Cucula ist all das nicht möglich: Denn die afrikanischen Möbeltischler haben bislang keinen abschließend geklärten Aufenthaltsstatus in Deutschland. Sie dürften eigentlich gar kein eigenes Geld verdienen.
„Es wäre allerdings ziemlich absurd, wenn die Jungs Möbel herstellen, aber dafür nicht bezahlt werden“, sagt Sy. Um diese gesetzliche Klippe zu umschiffen, hat das Cucula-Team beschlossen, dass die fünf afrikanischen Flüchtlinge Ali, Maiga, Saidou, Moussa und Malik stattdessen in diesem Jahr Ausbildungsstipendien erhalten sollen. Die Werkstatt ist zudem offiziell kein Möbelbetrieb, sondern firmiert als Bildungsprogramm.
Das Geld dafür wurde Anfang des Jahres 2015 über eine Crowdfunding-Kampagne im Internet gesammelt. Als Mindestziel hatte sich das Cucula-Team die Summe von 70.000 Euro gesetzt. Damit sollten ein Jahr lang fünf Stipendien zu je 12.000 Euro sowie Verwaltungskosten von 10.000 Euro bezahlt werden.
Tatsächlich brachte die Crowd-Community aber rund 123.000 Euro auf. Hinzu kam eine größere Spende. Nun sei es möglich, den Werkstattbetrieb für ein Jahr sorgenfrei laufen zu lassen, erzählt Sy. Mit den Verkaufseinnahmen sollen zudem weitere Ausbildungsstipendien für andere Flüchtlinge finanziert werden.
Trotz der stabilen Finanzlage und der regen Nachfrage, steht die Flüchtlingswerkstatt immer noch auf wackligen Beinen. Die jetzigen Möbelbauer kommen ursprünglich aus Mali und Niger. Auf ihrer Flucht sind sie über die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa bis nach Berlin gereist. Zwei von ihnen haben zeitweise in einem Protestcamp am Berliner Oranienplatz gelebt. Ihr Antrag auf ein Bleiberecht liegt seit Monaten zur Bearbeitung bei der Ausländerbehörde. Ohne Bleiberecht bekommen sie auch das Cucula-Stipendium nicht ausgezahlt.
„Die Gefahr einer Abschiebung ist nach wie vor groß“, sagt Sy. Trotzdem ist das Team optimistisch. Denn Cucula versucht, eine Aufenthaltsgenehmigung für die afrikanischen Möbelbauer über ein Visum zu erlangen: „Wir sind etwas zwischen einem Möbelhersteller und einer Bildungswerkstatt. Dieses Konstrukt funktioniert nur mit Flüchtlingen. Das ist unser Geschäftsmodell.“
Das Wort „cucula“ stammt aus der Hausa-Sprache aus West-Zentralafrika. Es bedeutet soviel wie „etwas gemeinsam machen“ oder auch „aufeinander aufpassen“. Das Berliner Projekt will sichtbar machen, wie produktiv gemeinsames Handeln mit Flüchtlingen sein kann. In den nächsten Monaten soll sich zeigen, ob die Idee eine Chance bekommt. Voraussetzung dafür ist die Zustimmung der Ausländerbehörde. (epd/mig) Feuilleton Leitartikel
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