Flüchtlingspolitik nach Lampedusa (1/2)
Die Toten an den EU-Außengrenzen sind unvermeidlich
Erneut zeigen sich Deutschland und Europa schockiert über den Tod weiterer Flüchtlinge vor Lampedusa. Doch wie glaubwürdig ist unsere Anteilnahme? Sind Flüchtlinge nicht notwendige Folge unseres eigenen Tuns? Ein Zweiteiler von Prof. Schiffer-Nasserie
Von Prof. Dr. Arian Schiffer-Nasserie Donnerstag, 12.02.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 13.01.2016, 10:55 Uhr Lesedauer: 18 Minuten |
Weltrekord! Über 50 Millionen Menschen waren laut UNHCR im vergangenen Jahr auf der Flucht – mehr als je zuvor seit Weltkrieg Nummer 2 und allein sechs Millionen mehr als im Vorjahr. Ein kleiner Teil der Flüchtenden erreichte die Außengrenzen der EU und versuchte Mauern, Zäune und Seegrenzen ohne Erlaubnis des Staatenbündnisses zu überwinden.
Über ein Jahr liegt die „Flüchtlingskatastrophe“ von Lampedusa bereits zurück. An öffentlicher Anteilnahme, an zur Schau gestellter Scham, Trauer und Betroffenheitsbekundungen der europäischen Eliten hatte es danach ja keinesfalls gemangelt. Sogar politische Konsequenzen wurden in Aussicht gestellt: Alles sollte anders werden. Davon will man heute kaum noch etwas wissen.
Allein seit dem 3. Oktober 2013 kostete der Versuch der unerlaubten Einreise weit mehr als 3.000 Menschen das Leben. Das ist ebenfalls Rekord. Die meisten von ihnen ertranken im Mittelmeer – und das während einer flüchtlingspolitischen Sonderphase, in der die italienische Küstenwache die Seenotrettung von Flüchtlingen noch vor deren Abwehr stellte. Innerhalb eines Jahres rettete das Programm „Mare Nostrum“ nach Angaben der Regierung in Rom und gegen den Willen der Bundesrepublik, die sich an den Kosten nicht beteiligen wollte, zum Preis von ca. 9 Mio. Euro monatlich immerhin 120.000 Menschenleben. Das Nachfolgeprogramm „Triton“ bemüht sich denn inzwischen auch wieder ganz im Sinne der Bundesregierung um die gewünschte Abschreckung, Abschottung und Abschiebung; mit den bekannten Folgen.
So geht das Sterben rekordverdächtig weiter. Entgegen aller öffentlichen Verlautbarungen hat das Flüchtlingselend also offenbar doch viel mehr mit den vitalen Interessen der europäischen Staaten zu tun, als dies Politik-, Presse-, und Kirchenvertreter öffentlich wahr haben wollen. Wenngleich die vielen Grenztoten der EU – im Unterschied zu den etwa 200 Maueropfern in 40 Jahren DDR-Geschichte – nicht zur Verurteilung eines Staats oder gar eines ganzen Staatenbündnisses herangezogen werden dürfen und ein Schluss auf das ökonomische System des Westens unerwünscht ist, so ist Kritik doch erlaubt und wird auch geäußert: Europaweit werfen Flüchtlings- und Kirchengruppen, Linke und Menschenrechtler den Verantwortlichen Abschottung vor. Sie konstatieren, dass die EU keinen Schutz für Flüchtlinge, sondern Schutz vor Flüchtlingen betreibe. Öffentlich verurteilt werden die Repräsentanten der EU für ihre angeblich „unterlassene Hilfeleistung“ (vgl. etwa H. Prantl in der Süddeutschen Zeitung vom 7.10.2013) und ihre „Verantwortungslosigkeit“.
Der vorliegende Beitrag will die hier angerissenen Aspekte in zwei Teilen genauer untersuchen. Teil eins geht der Frage nach, warum und wofür die Flüchtlinge und ihr massenhafter Tod an den EU-Außengrenzen – allen öffentlichen Beteuerungen zum Trotz – offenbar unvermeidlich sind. Teil zwei behandelt die öffentliche Auseinandersetzung und Kritik nach der so genannten „Flüchtlingskatastrophe von Lampedusa“ anhand von 3 Beispielen.
Fluchtursachen und Flüchtlingspolitik
Wenn in Deutschland über das Lage von Flüchtenden, über Flüchtlingskatastrophen und Flüchtlingspolitik nachgedacht und gestritten wird, dann zeichnen sich bei aller Kontroversität zwei als selbstverständlich unterstellte Vorannahmen ab:
Die erste geht davon aus, das Flüchtlingselend müsse eigentlich nicht sein, wenn nur alle Beteiligten – also die Flüchtlinge aus den Armuts- und Kriegsregionen selbst, die Regierungen ihrer Herkunftsländer, die Schleuser, Frontex und die (un)verantwortlichen Politiker der EU – ihrer Verantwortung korrekt nachkämen. Auf diesem festen Glaubenssatz baut die deutsche Diskussion mit viel Emphase auf und es wird munter je nach politischer Position darum gerechtet, wem die Schuld für den massenhaften Tod auf dem Meer zu geben sei. Die Antworten fallen den politischen Standpunkten entsprechend, also leider in aller Regel äußerst gehässig, aus.
Vorannahme zwei diskutiert Deutschland ausschließlich als Aufnahme- und Helferland oder zumindest als potentielle Schutzmacht für die Bedrängten dieser Welt. Flüchtlingsfeinde und Flüchtlingsfreunde teilen einträchtig auch diesen Grundsatz – um auf dessen Basis wild darüber zu streiten, ob Deutschland schon viel zu viele Flüchtlinge aufnehme oder aber seiner humanitären Verantwortung ganz unzureichend gerecht werde.
In Anbetracht solcher Gewissheiten erscheint es angezeigt, zunächst die in der deutschen Flüchtlingsdiskussion bezeichnend wenig thematisierten Fluchtursachen zu betrachten. Sie sind dazu geeignet, einige grundlegende Illusionen der Diskussion in Frage zu stellen. Es wird sich zeigen, dass das Flüchtlingselend keinesfalls auf vermeidbares Fehlverhalten der Beteiligten zurückzuführen ist – also auch nicht durch moralisierende Appelle an die vermeintlich Schuldigen zu bewältigen ist – sondern regelrecht systematische Ursachen hat. Die zentrale These lautet: Die Flüchtlinge und ihre leichenträchtige Abwehr sind für die ökonomischen, politischen und militärischen Interessen der EU unvermeidlich. Dies soll im Folgenden bewiesen werden. Leitartikel Meinung
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- AfD lobt Grüne Bekämpfung von „importiertem“ Antisemitismus…
- United4Rescue-Vereinsgründer Furchtbare Grundsituation im Mittelmeer
- Thüringen Polizist darf nicht für AfD-Fraktion arbeiten und klagt
- Arbeitsagentur Mehr Fachkräfte wollen nach Deutschland kommen
- Prof. Thränhardt im Gespräch „Ukrainer sollten mit EU-Bürgern gleichgestellt werden.“
- Gegen Antisemitismus – aber wie? Kritik an Entwurf für Bundestagsresolution gegen Judenhass
Diese Zusammenhänge können gar nicht oft genug aufgezeigt werden. Ich wünschte nur , dass der Autor mehr Belege anführen könnte, um seine Glaubwürdigkeit zu erhöhen, z.B. bei Abschnitt 2, b 4.
Pingback: Flüchtlingspolitik nach Lampedusa (2/2) - Die verlogenen Diskurse von Politik und Presse - MiGAZIN
wie der Papst schon richtig bemerkte sind wir mitten im 3. Weltkrieg, der einfach verschwiegen wird. bald wird ein Kreuz für 1 tag am Himmel erscheinen um die menschheit zu warnen. danach kommt Jesus und wird mit dem Rest der Menschheit untergehen. das leiden wird bald vorbei sein. alle menschen die verfolgt, gepeinigt, belogen, Betrogen und gejagt werden, können sich Freuen, denn das Himmelreich wartet schon.
Wenn die afrikanischen Regierungen es nicht wollten, würden sie die Fischereirechte vor ihren Küsten auch nicht an die EU verkaufen, sie bekommen nämlich Millionen dafür; gleiches gilt für die Marktöffnung für EU-Produkte. Ursache für die schlechte ökonomische Situation sind in erster Linie die Regierungen der Herkunftsländer, denen das Wohl der Menschen in ihren Ländern völlig gleichgültig ist. Entsprechend landen die EU-Millionen auch nicht im Staatshaushalt, sondern auf den Privatkonten der Politiker. Wäre wohl kaum vorstellbar, dass die deutsche Regierung die Fischreirechte in der Nordsee an China verkauft und die einheimischen Fischer arbeitslos macht, aber in Mauretanien oder Senegal ist das kein Problem. Und was die Verschuldung betrifft, so hat auch niemand die dortigen Politiker gezwungen, Kredite bei internationalen Banken aufzunehmen (und diese dann nicht im Lande zu investieren, sondern in die eigene Tasche zu stecken).
Sie kommen um die Vérantwortung der Herkunftsländer selber nicht herum; ändern können die das nur selber. Wenn die EU morgen das Fischen vor afrikanischen Küsten verbietet, dann fischen dort übermorgen die Japaner oder die Chinesen; solange afrikanische Regieurngen die Fischereirechte verkaufen, findet sich auch jemand der sie kauft.
Und wenn alle die Flucht ergreifen, kann man den Krieg nicht gewinnen. Die Deutschen wären nach dem Krieg, als hier alles kaputt war, auch gerne in die USA gegangen, aber das war nicht möglich. Also mussten sie ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Das ist den Afrikanern und Muslimen auch zuzumuten.
Ohne Korruptionsbekämpfung und durchgreifende Modernisierung der dortigen Gesellschaften, ohne Säkularisierung und Aufweichung religiös-kultureller Identitäten wird sich die Situation dort nicht bessern. Und das können nicht die Europäer, sondern nur die Menschen selber erreichen.
@El_Mocho
Ohne Frage sind die katastrophalen Bedingungen in den Heimatländern Ursache für die Flucht. Jedoch etwas anders, als Sie es darstellen.
Laut UNHCR stammen die meisten Flüchtlinge aus Ländern, nach denen ihnen Schutz gemäß der Genfer Konventionen zusteht. Dieser Schutz ist Menschenrecht, zu dem sich auch die EU verpflichtet hat.
Damit die Flüchtlinge diesen Schutz erhalten, müssen sie sich erst einen Überlebenstest unterziehen und versuchen über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Die EU unterlässt dagegen nichts, um sich aus der Verantwortung zu stehlen.
Der UN-Flüchtlingshochkommissar Antonio Guterres kritisierte die EU scharf. Er erklärte, dass „manche Regierungen der Abwehr von Flüchtlingen eine höhere Priorität einräumen als dem Recht auf Asyl“. Angesichts der etwa 20.000 Leichen im Massengrab Mittelmeer ist der Mauerbau der DDR eine Bagatelle im Vergleich zur nicht minder menschenverachtenden Abschottungspolitik der EU.
Pingback: Europa als Flüchtlingsproduzent?! | Domstraße 2