Über den Tellerrand kochen
Wie Flüchtlinge und Deutsche beim gemeinsamen Kochen Vorurteile abbauen
Vorurteile können am besten durch persönliche Begegnungen abgebaut werden. Das belegen nicht nur viele Studien, sondern auch zahlreiche Projekte vor Ort. So eine Kochgruppe in Hagen, die sich hat inspirieren lassen vom "Über den Tellerrand kochen".
Von Sabine Damaschke Mittwoch, 11.02.2015, 8:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 15.02.2015, 18:33 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Der Duft von Lammfleisch zieht durch die kleine Küche. Wo sonst meist nur Tee gekocht wird, zaubert die Afghanin Tahmina gemeinsam mit anderen Frauen ihr Lieblingsgericht Galbi de Polo. „Es erinnert mich an unsere Familienfeiern in Kabul“, sagt die 24-jährige Asylbewerberin. „Als wir noch alle zusammen waren.“ Die Frauengruppe kocht in den Räumen der Zuwanderungsberatung der Diakonie Mark-Ruhr in Hagen.
Und dann beginnt die junge Afghanin, von ihrer Flucht zu Fuß durch Wald und Berge mit zwei kleinen Kindern zu erzählen, von der Angst und Erschöpfung und davon, wie froh sie ist, nun seit zwei Jahren in Deutschland zu sein, in Sicherheit. Es sind Geschichten wie diese, die die Hagener Grafikerin Silke Pfeiffer sammelt und im Sommer in einem Kochbuch mit den Lieblingsrezepten der Flüchtlinge veröffentlichen will. Das Buch soll den Abschluss des Projekts „Storyteller“ bilden.
Gemeinsam mit den Migrationsdiensten einiger Hagener Sozialverbände, darunter Diakonie und Caritas, organisiert Pfeiffer seit November Koch- und Erzählworkshops mit Flüchtlingen, zu denen auch Bürger eingeladen sind. Finanziert wird das Projekt vom Soroptimist International Club Hagen, einer aus dem Rotarier-Club hervorgegangenen Organisation.
„Wir wollen eine Brücke zwischen den Asylbewerbern und den Bewohnern unserer Stadt bauen“, sagt Pfeiffer. „Und das geht sehr gut über das gemeinsame Kochen und Essen.“ Die Idee, Flüchtlinge und Bürger auf diese Weise zusammenzubringen, ist nicht neu. Berliner Studenten gründeten vor über einem Jahr das Projekt „Über den Tellerrand kochen“. Sie luden Asylbewerber in ihre Wohnheimküchen ein und riefen bundesweit zu ähnlichen Aktionen auf.
In Hagen, meint Silke Pfeiffer, sei es aber gar nicht so einfach, Privatleute zu finden, die Flüchtlinge in ihre Küche bitten. Und die Asylbewerber wiederum seien oft sehr schüchtern. „Es ist einfacher, Begegnungen im öffentlichen Raum zu ermöglichen.“ Da an den Kochkursen meist nur wenige Flüchtlinge und Einheimische teilnehmen können, organisiert die 46-jährige Grafikerin oft noch ein Rahmenprogramm mit gemeinsamen Essen, Ausstellungen oder Filmvorführungen.
„Vorurteile können am besten durch persönliche Begegnungen abgebaut werden“, sagt sie. „Über das Essen finden Menschen schnell zueinander, da werden Sprachschwierigkeiten leicht überwunden.“ Und wenn die Gäste der Veranstaltungen dann noch erfahren, welches Rezepte von welchen Flüchtlingen stammen und deren Geschichte kennenlernen, sei der Grundstein für weitere Begegnungen gelegt.
„Ich bin hier ziemlich allein“, erzählt die Afrikanerin Oumou, die vor einem Jahr aus Guinea nach Deutschland flüchtete. Zwei Kinder ließ sie zurück, ein weiteres war gerade unterwegs. Mit ihrem sechs Monate alten Sohn lebt sie nun in einer kleinen Wohnung. Zweimal in der Woche kommt sie in die Diakonie, um Deutsch zu lernen.
Über ihre Flucht möchte Oumou nicht sprechen. Aber ihr Lieblingsgericht, Reis mit Erdnuss-Sauce, will sie gerne im Kochbuch vorstellen – und über das „Storyteller“-Projekt auch Deutsche kennenlernen. „Den ganzen Tag alleine mit einem Baby in der Wohnung, das ist nicht einfach“, sagt sie.
Auch die Syrerin Kaosara-Said wünscht sich mehr Begegnungen mit den Menschen in der neuen Heimat, mehr Abwechslung. Vor zwei Jahren floh sie mit ihrem Mann und drei Kindern vor der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ aus Nordsyrien. „Viele Verwandte meines Mannes sind erschossen worden“, berichtet sie. „Wir haben alles verkauft, um unsere Flucht in ein sicheres Land zu finanzieren.“ Ihre Kinder fühlen sich inzwischen in Deutschland zu Hause. „Für meinen Mann und mich ist es schwerer“, sagt die 36-jährige Kurdin. „Wir lernen die Sprache nicht so schnell und haben hier noch keine Arbeit.“
Für das Storyteller-Projekt hat Kaosara-Said ihr Lieblingsgericht Jabra, gefüllte Weinblätter, beigesteuert. Sie kocht gerne, aber ihre eigentliche Leidenschaft ist das Nähen. Eine eigene Nähmaschine kann sie sich nicht leisten, doch die Diakonie hat eine. Während die anderen Flüchtlingsfrauen kochen, näht sie. Und so bekommen die Teilnehmer des Koch- und Erzählworkshops diesmal nicht nur ein leckeres afghanisches Mittagessen, sondern gratis eine bunte, selbst genähte Einkaufstasche dazu. (epd) Aktuell Feuilleton
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