Versachlichung

Städtetag fordert pragmatische Politik gegenüber Roma

Stereotype über Sinti und Roma sind in der Gesellschaft weit verbreitet. Am Montag analysierten Forscher und Städtetags-Präsident die Debatte um “Armutsmigration” auf einer Konferenz in Berlin - mit interessanten Ergebnissen.

Dienstag, 02.12.2014, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 02.12.2014, 17:08 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Politiker und Wissenschaftler haben in der Debatte über die Zuwanderung von Roma aus Rumänien und Bulgarien eine Entdramatisierung gefordert. So könne beispielsweise von verbreitetem Sozialbetrug keine Rede sein, sagte der Migrationsforscher Klaus Bade am Montag in Berlin. Zwar würden in manchen deindustrialisierten Städten Deutschlands die bereits vorhandenen sozialen Probleme durch Armutsmigration verschärft, aber nicht verursacht, sagte Bade bei der Vorstellung einer neuen Studie des Schweizer Ethnologen Max Matter zur Armutsmigration innerhalb der EU.

Der Präsident des Deutschen Städtetages, Ulrich Maly (SPD), sagte, nicht alle sozialen Probleme dürften ethnisch aufgeladen werden. Dass es in dicht besiedelten Großstädten zu Konflikten zwischen Nachbarschaften komme, sei normal. Aufgabe der Politik sei es, diese Konflikte rational zu lösen, sagte Maly. Der SPD-Politiker ist Oberbürgermeister von Nürnberg.

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Bei der Zuwanderung von Roma aus Rumänien und Bulgarien handele es sich nicht um ein Massenphänomen. Lediglich in „zwei handvoll Städten“ gebe es ein Problem mit Gruppen, die vermutlich seit Jahrzehnten schon in ihren Herkunftsländern ausgegrenzt und verarmt seien, sagte Maly. Für die besonders betroffenen Städte wie Duisburg und Mannheim oder den Berliner Stadtteil Neukölln seien deshalb besondere Hilfen nötig. Benötigt werde mehr Geld und Personal für Integrations- und Sprachklassen.

Der Schweizer Ethnologe Matter sieht in Deutschland eine verzerrte Wahrnehmung beim Thema Armutswanderung. „Ende September lebten nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung knapp 513.000 Menschen aus Bulgarien und Rumänien in Deutschland.“ Obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung lediglich 0,6 Prozent ausmache, habe sich in der Bevölkerung das Bild festgesetzt, dass aus den beiden Ländern Massen nach Deutschland strömten und es sich dabei vor allem um Arme und Roma handele, die nur wegen der Sozialleistungen hierher kämen, sagte Matter.

Dabei sei es vollkommen unklar, wie viel Roma unter den Zuwanderern sind. Zudem verwies der Ethnologe darauf, dass fast drei Viertel (72 Prozent) der 25- bis 44-Jährigen Bulgaren und Rumänen in Deutschland einer sozialabgabenpflichtigen Arbeit nachgehen und jeder Fünfte (21 Prozent) über einen akademischen Abschluss verfügt. Matter, der bis 2010 Direktor des Freiburger Instituts für Volkskunde war, unterstrich mit Blick auf die Geschichte und aktuelle Lage der Roma in den Herkunftsstaaten, als größtes EU-Land scheine sich Deutschland seiner Mitverantwortung „noch nicht voll bewusst zu sein“.

Bade forderte die Bundesregierung auf, mit guten Argumenten und pragmatischer Gestaltung dem Rechtspopulismus „die Kampfthemen“ zu entziehen: „Gelingt dies nicht, dann droht Gefahr für den kulturellen und sozialen Frieden in den demokratischen Einwanderungsgesellschaften in Deutschland und in Europa insgesamt“, warnte Bade als Mitglied des Rates für Migration. Die Studie von Matter ist der erste Band einer neuen Buchreihe des Berliner Rates für Migration. (epd/mig) Aktuell Politik

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  1. Stefan Böckler sagt:

    Vorurteile sind schwer auszurotten – auch bzw. gerade wenn sie sich bei migrationspolitisch Korrekten erstmal festgesetzt haben. (Herr Bade hat unter dem harnäckigen Nachfragen des SPIEGELS zumindest dieses Vorurteil inzwischen revidiert; was aber zu Herrn Matter offensichtlich nicht durchgedrungen ist.)

    Weiterhin kursiert also die wirklich wüste Behauptung, knapp drei Viertel der in Deutschland lebenden Bulgaren und Rumänen zwischen 25 und 44 gingen einer sozialabgabepflichtigen Beschäftigung nach, eine Behauptung, wüst ist diese Behauptung insofern, als es in Deutschland keine Bevölkerungsuntergruppe gibt, die solche Traumwerte erreicht (nicht einmal die männlichen 25-44 jährigen Deutschen ohne Migrationshintergrund mit Hochschulabschluss bewegen sich in diesen paradiesischen Höhen der Arbeitsmarktintegration).

    Vermutlich geht diese Behauptung zurück auf eine 2013 vom SVR durchgeführte Studie. In dieser ging es allerdings nicht um ’sozialabgabepflichtige‘ Beschäftigung, sondern um Erwerbstätigkeit nach der ILO-Definition, dergemäß eine Person dann erwerbstätig ist, wenn sie in der Woche vor der Erhebung mehr als eine Stunde gegen Entgeld tätig war. Es handelt sich also um einen Indikator, der relativ wenig über die Integration in den Arbeitsmarkt (und noch viel weniger über eine existenz- und sozialversicherungssichernde Beschäftigung) aussagt.

    Tatsächlich bewegte sich die Quote der ’sozialversicherungspflichtig‘ beschäftigten Bulgaren und Rumänen zum Zeitpunkt der Durchführung der SVR-Studie um die 30 %.

    So muss man sich wohl mit der Vorstellung anfreunden, dass auch bei ausgewiesenen Wissenschaftliern der fromme Wunsch, wie die Wirklichkeit aussehen s o l l t e, den Blick darauf verstellt, wie sie tatsächlich i s t.

  2. Pingback: “Roma does not equal poverty migration” - rroma.org