Herkunft ist die halbe Miete

Keine Wohnung für Füsun

Bei der Wohnungssuche haben es Migranten schwer, sich gegen ihre "deutschen" Konkurrenten durchzusetzen. Zwar verbietet das Gesetz Ungleichbehandlungen, doch die meisten Diskriminierungen geschehen verdeckt und sind kaum nachweisbar. Abhilfe schaffen sogenannte Testings.

Von Katharina Buri Mittwoch, 19.11.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 24.11.2014, 17:57 Uhr Lesedauer: 11 Minuten  |  

Anna Mayer und Füsun Yildirim sind sympathische Frauen Anfang 30, arbeiten beide seit Jahren als Assistentinnen der Geschäftsführung bei mittelständischen Unternehmen und haben ein fast identisches Gehalt. Anna Mayer ist Deutsche, Füsun Yildirim Deutschtürkin. Beide suchen eine Wohnung in Berlin. Wer wird schneller fündig werden?

Rechtlich ist der Fall klar: Beide sollten exakt gleich große Chancen auf eine neue Wohnung haben. Die EU gibt ihren Mitgliedsländern verbindliche Richtlinien zur Diskriminierungs-Bekämpfung vor. Seit 2006 bestimmt in Deutschland das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, kurz AGG, dass „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“ sind. Das ist für den Mietmarkt, wo Hauseigentümer früher Menschen nach eigenem Gusto legal von einer Vermietung ausschließen konnten, eine mittelgroße Revolution. Niemals zuvor konnten Betroffene rechtlich dagegen vorgehen, ausgeschlossen zu werden.

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Ist die Praxis auch so rosig? Der Berliner Mieterverein (BMV) führt jährlich rund 90 000 Mietrechtsberatungen durch. Geschäftsführer Reiner Wild sagt: „Wir haben die Einführung des AGG begrüßt, finden aber, dass die Einschränkungen die Wirkkraft des Gesetzes massiv beschneiden.“ Der Teufel steckt im Detail, genauer in § 19 Absatz 3: Menschen mit ausländischem Hintergrund können mit dem Verweis auf eine sozial ausgewogene Nachbarschaft immer noch abgelehnt werden. Einige Experten sind der Meinung, diese Einschränkung sei unvereinbar mit der EU-Antidiskriminierungsrichtlinie.

Das AGG hinkt aber auch noch an anderer Stelle, findet Reiner Wild: „Wesentlich schlimmer ist, dass man Diskriminierungen bei der Wohnungsvergabe in 99 Prozent der Fälle nicht gerichtsfest nachweisen kann. Welcher Vermieter ist so dumm, dem abgelehnten Bewerber mitzuteilen, nach welchen Kriterien er entschieden hat?“ Der abgelehnte Interessent kann zwar gegen den Wohnungseigentümer klagen. Dafür muss er aber erste Indizien für die Diskriminierung vorlegen. Und das ist in den allermeisten Fällen nur möglich, wenn ein Eigentümer, Hausverwalter oder Makler besonders dummdreist vorgeht und bei der Vergabe offen diskriminiert, was heutzutage so gut wie nicht mehr vorkommt. Noch in den 80er Jahren war es nicht unüblich, dass Wohnungsanzeigen im Kleingedruckten den Zusatz „keine Ausländer“ enthielten – heute unvorstellbar. Viel häufiger ist inzwischen die so genannte „discrimination with a smile“, eine freundliche Absage ohne Nennung von Gründen.

Davon kann Füsun ein Lied singen. Nach drei Wochen Suche in Online-Wohnungsbörsen und Tageszeitungen und zig verschickten Anfragen ist sie frustriert: Obwohl sie tadellose Unterlagen hat, kann sie an einer Hand abzählen, wie oft sie zur Wohnungsbesichtigung eingeladen worden ist. Viele ihrer Anfragen bleiben unbeantwortet. Angeboten bekommen hat sie noch keine einzige Wohnung. Anders sieht es bei Anna aus, sie hat mehr Gesprächseinladungen, als sie annehmen kann, und schon mehrere Zusagen. „Diese stillschweigende Diskriminierung finde ich fast noch schlimmer als eine ehrliche Absage“, sagt Füsun und schüttelt die dunkelroten Locken.

Wer kann schon nachweisen, dass er wegen seiner Hautfarbe, seines Akzents oder einfach nur wegen seines „ausländisch“ klingenden Namens abgelehnt wurde und nicht etwa, weil die Mitbewerber mehr verdienen? Und so wird die Pflicht, Indizien vorzulegen – ohne die sich kein Gericht mit einer Mietklage beschäftigt – zum Pferdefuß des AGG. Geklagt wird deshalb auch so gut wie nie, da sind sich die Experten, trotz mangelnder Zahlen, einig. Ina-Marie Blomeyer von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS), die der Bund als zentrale AGG-Beschwerdestelle eingeführt hat, sagt: „Wir beraten Betroffene in den allermeisten Fällen bis zu einer möglichen Klage. Ob dann aber tatsächlich geklagt wird oder nicht, erfahren wir meist nicht mehr.“ Ähnliches berichtet der Berliner Mieterverein. Neben der Nachweispflicht seien es vor allem die hohen Kosten und langwierige Verfahren, die Diskriminierungsopfer von einer Klage abhielten.

Bekannt geworden ist vor allem die erste erfolgreiche Wohnungsmarktklage aus dem Jahr 2010: Das Oberlandesgericht Köln verurteilte einen Aachener Immobilienverwalter zur Zahlung von rund 5000 Euro Schmerzensgeld und Schadenersatz. Eine von ihm eingesetzte Hausmeisterin hatte einer dunkelhäutigen Familie die Besichtigung einer Wohnung mit der Begründung verweigert, die Wohnung werde nicht an „Neger, äh Schwarzafrikaner oder Türken“ vermietet. Einen vergleichbaren Fall hat es seitdem nicht mehr gegeben. Gesellschaft Leitartikel

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  1. AGG-Mensch sagt:

    Vielen Dank für diesen Beitrag.
    Zwar ist mir das AGG bekannt und die vielen Grenzen dieses Gesetzes und dennoch schockiert es mich, wie solch ein Instrument, das zur Vorbeugung von Diskriminierung dienen soll, genau ins Gegenteil umschlagen kann. §19 Abs. 3 AGG muss gestrichen werden!!

  2. humanoid sagt:

    „(3) Bei der Vermietung von Wohnraum ist eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse zulässig.“

    was für ein schönes schlupfloch.

    tja das ist halt die realität und man lernt damit umzugehn

    was mich aber wirklich aufregt und wütend macht ,wenn ein sarrazzin ,ein buchowski ,broder oder aufgeklärter mitteleuropäer dann ankommt und behauptet
    „DIE grenzen sich ja ab und bilden ihre eigenen ghettos “

    ja schon klar , es macht ja auch sinn , wenn menschen dahin ziehn wo sie auch wohnung bekommen , und das leute dahin ziehn die die selben merkmale haben und deswegen diskrimieniert werden .

    ein hoch auf die heuschelei der mehrheits gesellschaft !

  3. Nichtdenker sagt:

    Wann wird man endlich das Wort „Ausländer“ vermeiden und ganz klar sagen, dass es sich vorwiegend um Migranten nicht-europäischer Herkunft? Oder wird der Ausländer aus England oder aus Kanada oder aus Argentinien auch abgelehnt?

  4. vural65 sagt:

    Wer kann schon nachweisen, dass er wegen seiner Hautfarbe, seines Akzents oder einfach nur wegen seines „ausländisch“ klingenden Namens abgelehnt wurde und nicht etwa, weil die Mitbewerber mehr verdienen?

    Wieso verdient denn der Mitbewerber mehr? Vielleichtt weil er deutsch ist?

  5. karakal sagt:

    Einem meiner jordanischen Bekannten war bei der Zimmersuche von der Vermieterin am Telefon gesagt worden, daß das Zimmer bereits vergeben sei. Daraufhin rief sein deutscher Freund bei derselben Frau an, und siehe da, das Zimmer war noch zu haben. Aber selbst als Herkunftsdeutscher kann man in solcher Situation für einen Ausländer gehalten werden, wenn man zögernd, stockend und wenig spricht. Heute lebt mein Bekannter wieder in Jordanien, hat ein mehrstöckiges Wohnhaus gebaut und ist selbst Vermieter. Derzeit kämen täglich Flüchtlinge aus Syrien und fragten nach einer Wohnung, sagte er mir zuletzt.

  6. Arno Meyer sagt:

    Vielen Dank für den Artikel.
    Ich bin selber Vermieter und kann Ihnen nur sagen: Eigentum wird sich durchsetzen; natürlich tauschen wir uns längst dazu aus.
    Aber vielleicht können einige Forscher noch ein paar Fördergelder abgreifen, die von der Realwirtschaft verdient werden. Bis „Anna“ dann selbst ein Kind bekommt und so wie weiland Wowi urteilt…

  7. surviver sagt:

    Ja, klar. Das ist ganz offensichtlich und nichts neues, denke ich.
    Aber WIE kann man das Problem denn lösen?
    Mann kann ja einem Vermieter nicht vorschreiben, wen er als Mieter/in in seine Wohnung einziehen lässt.
    Wieso wird sozialer Wohnbau nicht noch mehr gefördert?
    Oder wieso muss ein Arbeiter in Deutschland für ein Haus 30 Jahre arbeiten und ein Arbeiter bei FORD z.B., in den USA, nur 7 Jahre?
    Ok, bei Wind soll ja angeblich sofort das Dach wegfliegen bei diesen Häusern. Solche Tornados gibt es ja in Deutschland gar nicht.

  8. Helmut sagt:

    Leider mal wieder ein einseitiger Artikel, der das Thema Diskriminierung nicht vollständig beleuchtet.

    Würde man das Testing herumdrehen (Biodeutsche bekennende Christin bewirbt sich neben Muslima um eine Wohnung in einem solchermaßen geprägten Haus), sähe es wahrscheinlich nicht anders aus. Auch sollte man nicht aus den Augen verlieren, dass sich bestimmte ausländische Ethnien untereinander überhaupt nicht mögen. Ein Testing da wäre sehr spannend und aufschlussreich. Gerade sowas sollte doch mal näher beleuchtet werden. Wer kann denn überhaupt gut mit wem, wenn es um das gemeinsame Wohnen unter einem Dach geht?

    Daher bitte nicht immer – so einseitig wie vorhersehbar – Artikel produzieren, die einzig den „pöhsen“ (Bio-)Deutschen ins Visier nehmen.

  9. Pingback: Wohnungsmarkt - Migranten leben seltener im Eigenheim und zahlen höhere Mieten - MiGAZIN