Hamburg

Stabile Vorurteile gegenüber Muslimen

Die Hamburger sind Vielfalt gegenüber offen eingestellt. Nur bei Muslimen hört bei ihnen der Spaß auf. Die Zustimmungswerte zu anti-muslimischen Vorurteilen sind auch in der offenen und liberalen Hansestadt weiterhin hoch.

Mittwoch, 01.10.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:44 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Hamburger Bevölkerung ist Muslimen gegenüber zwar aufgeschlossen und zeigt ein sichtbares Maß an Offenheit gegenüber Diversität, allerdings halten sich zahlreiche Vorurteile hartnäckig. Dies zeigt eine repräsentative Studie mit dem Titel „Hamburg postmigrantisch“, die im Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) an der Humboldt-Universität zu Berlin durchgeführt wurde und die anlässlich der Jungen Islam Konferenz – Hamburg 2014 und mit Förderung der Stiftung Mercator am Samstag im Hamburger Rathaus veröffentlicht wurde.

„In Hamburg gibt es ein solides Fundament der Toleranz gegenüber Pluralität. Auf Grundlage dieser starken demokratischen Kultur erleben die meisten Hamburger die muslimische Kultur als Bereicherung. Doch nahezu ein Drittel der Hamburger Bevölkerung vertritt weiterhin abwertende Ansichten, mit starken Vorurteilsmotiven“, so Dr. Naika Foroutan, stellvertretende Direktorin des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) der Humboldt-Universität zu Berlin.

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„In postmigrantischen Gesellschaften – also Gesellschaften, die ihre identitäre Struktur neu aushandeln, nachdem sie Migration als unumkehrbare Realität erkannt haben – ist ein solches Auseinanderklaffen der Positionen typisch. Die Gesellschaft polarisiert sich zunehmend entlang der Haltung gegenüber Vielfalt, die auch durch und nach Migration entsteht. Wir dürfen uns also nicht zurücklehnen, wenn wir einen Integrationsoptimismus messen – denn gleichzeitig nimmt der Rechtspopulismus zu,“ erklärt die Sozialwissenschaftlerin.

Antimuslimische Bilder im Alltag etabliert
Stereotype Haltungen gegenüber Muslimen sind in Hamburg weiterhin hoch: Ein Drittel der Befragten stimmt der Aussage „Muslime sind aggressiver als wir“ zu und schreibt damit Muslimen nicht nur unveränderliche Eigenschaften zu, sondern markiert sie als klare Fremdgruppe außerhalb des deutschen „Wir“. Die Bildungsorientierung muslimischer Eltern wird zwar von 44,9 Prozent der Befragten mit der der Eigengruppe gleichgesetzt. Dennoch gibt es bei 34,9 Prozent der Befragten Vorbehalte, das eigene Kind in eine Schule zu schicken, in der jeder vierte Schüler muslimisch ist. Und 20,9 Prozent der Hamburger nehmen Muslime als soziale Belastung wahr.

Etwas mehr als jede vierte Person in Hamburg stimmt zudem der Aussage zu „Muslime in Deutschland bedrohen viele Dinge, die ich in dieser Gesellschaft für gut und richtig halte“. Als bedroht erachten die Befragten Werte wie das soziale Miteinander, Sicherheit und Ordnung oder Religions- und Glaubensfreiheit.

Das subjektive Bedrohungsgefühl geht besonders mit der erheblichen Überschätzung des Anteils der Muslime an der deutschen Bevölkerung einher. Dieser liegt real bei ca. 4 Millionen, also etwa 5 Prozent. Allerdings überschätzen 70 Prozent der Hamburger die Zahl der Muslime in Deutschland. Jeder zweite sogar sehr deutlich: So überschätzen 23,3 Prozent der Befragten den Anteil mit Schätzwerten zwischen 11 Prozent bis 20 Prozent stark und 26,1 Prozent überschätzen diesen mit Werten von über 20 Prozent sehr stark.

Einstellungen zu religionspolitischen Fragen dennoch positiv
Während die Hamburger religiösen Symbolen im Klassenzimmer grundsätzlich kritisch gegenüberstehen – nur 36,5 Prozent denken, dass diese erlaubt sein sollten – zeigen sie sich dem Kopftuch bei Lehrerinnen gegenüber aufgeschlossener: 43,9 Prozent der Befragten halten dieses individuelle religiöse Symbol für zulässig. Offen zeigen sich die Hamburger auch beim Bau von Moscheen: Nahezu zwei Drittel sprechen sich gegen Einschränkungen beim Bau öffentlich sichtbarer Moscheen aus.

Gespalten ist die Hamburger Bevölkerung hingegen bezüglich der Beschneidung von Jungen: Fast die Hälfte aller Befragten will dieses Kernelement des jüdischen und muslimischen Glaubens verbieten. Trotz rechtlicher Anerkennung dieser Praxis bleiben Vorbehalte, die in der Beschneidungsdebatte aufgebrochen und geschürt wurden, weiter bestehen.

Download: Die Studie “Hamburg postmigrantisch. Einstellungen der Hamburger Bevölkerung zu Musliminnen und Muslimen in Deutschland“ kann hier kostenlos heruntergeladen werden.

„Die Selbstwahrnehmung Hamburgs als multikulturelle, multi-ethnische, multi-religiöse und multi-nationale Stadt ist offenbar so stark verankert, dass damit eine gewisse Gelassenheit gegenüber religionspolitischen Themen einhergeht, trotz der starken Säkularität in der Bevölkerung“, heißt es in einer Mitteilung des Instituts.

Positive Signale finden sich auch in Zustimmungswerten von 65,5 Prozent zu der Aussage „Wir sollten Muslimen mehr Anerkennung entgegenbringen.“ Darüber hinaus nehmen 58,7 Prozent der Hamburger den Islam als eine kulturelle Bereicherung war.

Wissen über Muslime gering – Begegnungen stärken
Ein Großteil der Hamburger Bevölkerung (58,5 Prozent) schätzt ihr eigenes Wissen als gering ein, wohingegen 39,8 Prozent meinen, sehr bis eher viel über Muslime in Deutschland zu wissen. 43,4 Prozent der Hamburger ziehen ihr Wissen zu islambezogenen Themen aus Gesprächen mit muslimischen Personen. Auch Medien wie Fernsehen und Zeitungen bilden zwar eine wichtige Wissensquelle, aber Gespräche mit Muslimen gehen auffälligerweise mit Einstellungen einher, die weniger von Stereotypen geprägt sind.

„Gerade in den derzeit sehr kontrovers geführten Debatten um Islam und Muslime – auch bedingt durch internationale Konflikte – ist es wichtig, die in der Öffentlichkeit bestehenden Bilder, Stereotype und Vorurteile zu analysieren und kritisch zu reflektieren“, so Esra Küçük, Leiterin der Jungen Islam Konferenz. (eb) Gesellschaft Leitartikel Studien

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  1. Han Yen sagt:

    Grundsätzlich halte ich es für richtig in der Migrationsdebatte mehr Wert auf den geographischen, urbanen Aspekt zu legen, um aus dem leidigen methodologischen Nationalismus heraus zu kommen.

    Die Lage in der Hafenstadt Hamburg sollte man mit anderen Hafenstädten Hong Kong, Amsterdam, New York, Sydney vergleichen. Der Hamburger Senat muss an solchen Maßstäben gemessen werden. Wir wissen seit langem, dass sich die Durchschnittsbiographien von Minderheiten sehr stark von urbanen Institutionen abhängig sind. Es ist nicht vor allem die Kultur oder die Religion, was uns die rassistischen rechten Ethnokulturalisten und liberalen Multikulturalisten glauben machen wollen. Sozialdemokratische Politik muss an den Institutionen ansetzen, die man lokal vorfindet.

    Eine Auseinandersetzung der Muslime mit den Port Jews – eine Faszination der Historiker – sollte interessante Einsichten in die Rolle der Religion in Hafenstädten hervor bringen.

    Die jüdische Emanzipation ist nicht durch selbsthassende jüdische Intellektuelle entstanden, sondern es gab kosmopolitische Milieus in den Hafenstädten, die die ersten modernen Juden hervor brachten. Necla Kelek ist völlig falsch in ihrem Fundamentalismus der Aufklärung und ihrem internalisierten Rassismus. Nicht Bildung und Aufklärung sondern Kommerz ist der Treiber der Toleranz.