Kretschmanns Asyl-"Deal"

Die vermeintlich substanziellen Verbesserungen laufen ins Leere

Winfried Kretschmanns Asyl-Deal zeigt, dass er und Co. offensichtlich nicht im Ansatz verstanden haben, um was es eigentlich geht: Gleiche Rechte und gleichberechtigte Teilhabe für alle oder Selektion von guten und schlechten Flüchtlingen mit der damit verbundenen Entrechtung der schlechten - Claudius Voigt kommentiert

Von Claudius Voigt Mittwoch, 24.09.2014, 8:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 24.09.2014, 17:55 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Es gibt das Gerücht, Baden-Württemberger könnten besonders gut mit Geld umgehen und besonders effizent wirtschaften. Diese Eigenschaft trifft jedenfalls auf den Landesvater nicht zu: Winfried Kretschmann hat seine Zustimmung zu den „Sicheren Herkunftsstaaten“ ohne jegliche ökonomische Vernunft am Wühltisch verramscht. Volker Beck bewertete den von Kretschmann erzielten Preis denn auch bereits völlig zu Recht mit dem Gegenwert von ’nem Appel und ’nem Ei.

Der Stuttgarter Landesvater sieht in eben jenen Grundnahrungsmitteln demgegenüber „substanzielle Verbesserungen“ für Flüchtlinge. Boris Palmer, der andere Oberrealo aus Tübingen, jubelt sogar euphorisiert: Die erreichten Verbesserungen seien ihm „eine echte Freude“. Die wichtigsten Forderungen der Asylbewerber und ihrer meist ehrenamtlichen Betreuer seien „nun allesamt erfüllt“.

___STEADY_PAYWALL___

Wie können die Bewertungen des erzielten Preises derart diametral auseinander gehen? Sind die Verbesserungen tatsächlich „substanziell“? Ja – wenn man unter „Substanz“ etwas von der Konsistenz eines Marshmallows versteht: eine löchrige, klebrige, süßliche Masse, die im Wesentlichen aus Luft besteht.

Kretschmann und Co. haben also offensichtlich auch nicht im Ansatz verstanden, um was es eigentlich geht, was tatsächlich „substanziell“ gewesen wäre, was einen Deal vielleicht sogar vertretbar hätte erscheinen lassen können. Substanziell wäre es gewesen, wenn

  • das Asylbewerberleistungsgesetz abgeschafft würde (was übrigen für Länder und Kommunen ganz erhebliche Einsparungen bedeuten würde),
  • das Arbeitsverbot nach § 33 BeschV abgeschafft würde,
  • ein gleichberechtigter Arbeitsmarktzugang von Beginn an bestehen würde,
  • ein Zugang zu Sprachkursen von Beginn an bestehen würde,
  • ein Anspruch auf Ausbildungsförderung für alle bestehen würde,
  • die Wohnsitzauflagen vollständig abgeschafft würden,
  • die Bundesregierung sich für eine Abschaffung des grotesken Dublin-Systems einsetzen würde.

Im Kern geht es nämlich um die entscheidende Frage: Gleiche Rechte und gleichberechtigte Teilhabe für alle oder Selektion von guten und schlechten Flüchtlingen mit der damit verbundenen Entrechtung der schlechten.

Winfried Kretschmann hat sich – gemeinsam mit Union und SPD (eine rühmliche Ausnahme ist der Superheld des Tages: Torsten Albig) für die zweite Alternative entschieden. Denn die Vereinbarung zwischen Kretschmann und der Bundesregierung ist nicht nur mit Tinte „aus dem Gefrierschrank“ (Zitat Albig) geschrieben worden. Sondern sie das Papier nicht wert, auf dem sie steht.

Die vermeintlich substanziellen Verbesserungen werden ganz überwiegend ins Leere laufen und gerade nicht oder zumindest nicht wesentlich zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen beitragen. Dafür sorgt nicht zuletzt ein weiterer Gesetzentwurf der Bundesregierung, der – falls er so durchkommen sollte – zur Folge hätte, dass mehr als zwei Drittel aller abgelehnten Asylantragstellenden zukünftig überhaupt nicht mehr arbeiten dürfen. Ihnen wird die halbgare Verbesserung also nichts nützen. Stattdessen sollen sie nach dem Willen der Regierung künftig inhaftiert werden und dauerhaft Sozialleistungen unterhalb des Existenzminimums erhalten. Hier verhalten sich Kretschmanns „substanzielle Verbesserungen“ wie ein Marshmallow, der im Feuer zerfließt.

Ähnlich verhält es sich mit den Verbesserungen bei Residenzpflicht und Barleistungsvorrang: Abgesehen davon, dass es sich hierbei um überwiegend symbolische Verbesserungen handelt, wird etwa die Einschränkung der Residenzpflicht als „Belohnung“ für Wohlverhalten genutzt (und nicht etwa die Bewegungsfreiheit als ein Grundrecht verstanden). Auch hier geht es um die Trennung von ausländer- bzw. strafrechtlicher Spreu und Weizen.

Die von Kretschmann gefeierten „Verbesserungen“ sind somit nicht vollständig, aber weitgehend Makulatur. Sie werden mit dazu beitragen, Asylsuchende in „gute“ und „schlechte“ Flüchtlinge zu selektieren. Auch hier lohnt es noch einmal, aus der bemerkenswerten Rede von Torsten Albig (SPD) zu zitieren, in der er begründet, warum Schleswig-Holstein den „Kompromiss“ ablehnt:

„Ich finde es zynisch, Armutszuwanderer und Kriegsflüchtlinge gegeneinander auszuspielen. (…)

Natürlich muss die Residenzpflicht entfallen. Das ist richtig. Aber dass sie fällt, ist ein Gebot der Vernunft, nicht nur aus humanitären Gründen, sondern auch mit Blick auf den Arbeitsmarkt. Wir glauben, dass das mit diesem Kompromiss nicht einmal gut geschieht. Die faktische Einschränkung durch die örtliche Bindung der Gewährung öffentlicher Leistungen läuft im Ergebnis doch wieder auf die Einschränkung der Bewegungsfreiheit bei Mittellosigkeit hinaus. Damit wird die Residenzpflicht für sehr viele Asylbewerberinnen, Asylbewerber und Geduldete weiterhin gelten.

Auch wir wollen, dass die Vorrangpflicht beim Zugang zum Arbeitsmarkt und das Sachleistungsprinzip entfallen. Ja! Aber dafür brauche ich keinen Kompromiss, bei dem ich Gutes mit Schlechtem verknüpfe. Es wäre ein Gebot, das ohnehin zu tun.“

Festzuhalten bleibt: Schleswig-Holsteiner können offenbar doch besser rechnen als Baden-Württemberger. Wenn ich zu wenig bekomme für einen zu hohen Preis, gehe ich ein solches Geschäft nicht ein. So einfach ist das.

Offenbar sieht Kretschmann dies anders: Entweder hält er den Preis für nicht zu hoch – das ließe an seiner Glaubwürdigkeit zweifeln, (schließlich hält er das Sichere Herkunftsstaatengesetz nach eigener Aussage für falsch). Oder er hält den Gewinn für hoch genug – das ließe an seinem Urteilsvermögen zweifeln. Beides jedoch lässt an seiner Eignung als grüner Ministerpräsident zweifeln… Aktuell Meinung

Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)

  1. H.P.Barkam sagt:

    Für mich sind die Grünen nun endgültig unwählbar.

    Gier ist ja schon schlimm, aber wenn sich diese auch noch mit Dämlichkeit paart …

  2. Mike sagt:

    Der Autor bleibt leider jede begruendung schuldig warum die Abschaffung des asylbewerberleistungsgesetzes die staedtte und gemeinden finanziell entlasten würde, er verkennt dass ein freier arbeitsmarktzugang zu noch mhr und noch hoeheren asylbewerberzahlen fuehren würde er bleibt uns jede Antwort schuldig warum Personen deutschsprachkurse fianziert werden sollen dern künftiger Aufenthalt in Deutschland noch gänzlich offen ist alkes in allem ein weniv durchdachter Beitrag

  3. @H.P.Barkam: Es gibt sieben Landesregierungen, an denen die Grünen beteiligt sind. Sechs haben gegen den Asylkompromiss gestimmt. Nehmen sie die jetzt in Sippenhaft für die Fehlentscheidung eines Landes?

    @Claudius Voigt: Ja, Torsten Albig hat eine sehr gute Rede gehalten. Die fand ich prima. Aber eben leider auch etwas verlogen. Denn: Er selbst hat die Tinte, mit der der Koalitionsvertrag geschrieben wurde, mit aus den Gefrierschrank geholt. Er war Teil der Verhandlungsdelegation und hat hinterher den Koalitionsvertrag gelobt und für die Annahme geworben: http://www.kn-online.de/Schleswig-Holstein/Landespolitik/Ministerpraesident-Torsten-Albig-Koalitionsvertrag-ist-gut-fuer-Schleswig-Holstein

    Die Formulierung des Koalitionsvertrages, der er in der Rede kritisiert, ist also auch seine Formulierung!

  4. Sven sagt:

    @ Mike
    Die Leistungen die über das Asylbewerberleistungsgesetz gezahlt bzw. bewilligt werden, werden zu einem Großteil von den Ländern getragen, der Bund bleibt aussenvor.

    Asylverfahren dauern leider immernoch sehr lange, gerade dann wenn es Aussicht auf Erfolg gibt, siehe hierzu folgenden leider nicht akutellen Artikel in der sz http://www.sueddeutsche.de/bayern/asylverfahren-in-deutschland-aussichtslose-faelle-zuerst-1.1712281

    Asylbewerber mit Ausicht auf einen dauerhaften Aufenthalt sollen ihrer Logik nach diese Zeit die immernoch Jahre dauern kann damit verbringen sich in überfüllten Unterkünften zu langweilen, anstatt mit der Integration jetzt zu beginnen?

    Welcher Arbeitgeber stellt jemanden ohne ein Wort deutsch denn bitte ein. Die Aufhebung des Arbeitsverbotes würde doch nicht dazu führen, das die Asylberwerber direkt in Arbeit kommen, sie werden „lediglich“ nicht mehr diskriminiert.

    Ein alles in allem wenig durchdachter Kommentar.

    @Michael Gwosdz

    ohne mich als Albigfan outen zu wollen muss man jedoch richtig stellen, dass in der Rede und in der Entscheidung des Bundesrates nicht über den Koalitionsvertrag gesprochen wird, sondern über einen Gesetzesentwurf der nicht von der Koaliton sondern vom zuständigen Ministerium erarbeitet wurde.