Studie

Anteil einheimischer Integrationsverweigerer viel zu hoch

In Deutschland haben viele Menschen noch immer ausgeprägte Vorurteile gegenüber Minderheiten. Mehr als jeder Fünfte lehne Sinti und Roma, Asylbewerber und Muslime ab. Integration findet nur ideell Anklang, „gleiche Rechte“ sollen nur „Deutsche“ haben.

Donnerstag, 11.09.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:44 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Die deutsche Bevölkerung stimmt nach einer repräsentativen Umfrage dem Prinzip der Gleichheit und Gleichwertigkeit von Deutschen ohne Migrationshintergrund und Zugewanderten mehrheitlich zu. Wenn es allerdings um die Umsetzung im Alltag geht, sind viele reserviert und hängen an alten Vorrechten. Dabei überschätzen viele Befragte ihre Integrationsbereitschaft und Toleranz. Zu diesen Ergebnissen kommt die Studie „ZuGleich – Zugehörigkeit und Gleichwertigkeit“ des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld, die von der Stiftung Mercator gefördert und heute bei einer Pressekonferenz in Berlin präsentiert wurde.

„Bürger sind widersprüchlich, wenn es um die Frage nach Integration in einer modernen offenen Gesellschaft geht. Das Integrationsklima ist auf den ersten Blick gut – aber wenn es darum geht, Integration als gegenseitigen Prozess der Veränderung zu verstehen, dann ziehen schnell alt hergebrachte Muster der Verschiedenheit von Personen mit und ohne Migrationshintergrund ein“, erläutert Andreas Zick, Leiter der Studie am IKG, die Ergebnisse. „Allerdings können wir auch festhalten, dass die Mehrheit der Bürger positiv gegenüber Migranten eingestellt ist – ganz besonders jene, die schon eingewandert sind. Hier gilt es anzusetzen, und dabei könnten Menschen mit Migrationserfahrung eine große Hilfe sein“, so Zick weiter.

___STEADY_PAYWALL___

Angst, abgehängt zu werden

Die Ergebnisse der Studie belegen außerdem: Ein Teil der Reserviertheit gegenüber Integrationsveränderungen sind zurückzuführen auf Vorurteile und auf die zunehmende Angst, selbst abgehängt zu werden. Im Einzelnen zeigt die Studie deutlich, dass die Mehrheit der Bürger eine stärkere Willkommenskultur und Diversität in Deutschland begrüßt, in der Unterstützung des „Ankommens“ jedoch selbst zurückhaltend und passiv bleibt. Viele schätzen die zunehmende Vielfalt und äußern sich wohlwollend darüber, dass sich immer mehr „Migranten in Deutschland zu Hause fühlen“.

Auch „Integration“, verstanden als ein Prozess, der von beiden Seiten Anerkennung und Kooperation erfordert, stößt ideell auf großen Anklang. „Geht es allerdings um die Frage, wer sich auf wen zubewegen soll, wird von vielen Befragten doch wieder auf die einseitige Anpassungsleistung, die Assimilation der Einwanderer, bestanden“, berichtet Madlen Preuß, Koordinatorin der Studie am IKG. „Über ein Drittel verweigern hier Engagement und Unterstützung, um Migranten das ‚Ankommen‘ zu erleichtern.“

Deutsche mit und ohne Migrationshintergrund sind sich weitgehend einig, wenn es um die Kriterien dafür geht, wann jemand zur deutschen Gesellschaft gehört. An erster Stelle stehen bei allen Befragten die Beherrschung der deutschen Sprache und die Achtung deutscher Politinstitutionen und Gesetze. Allerdings zeigt sich im direkten Vergleich, dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft sehr viel häufiger die deutsche Staatsangehörigkeit oder Deutschland als Geburtsland fordert, während Eingewanderte eine Erwerbstätigkeit oder ehrenamtliches Engagement für wichtiger halten. „Das heißt für uns: Die Bemessung und Anerkennung der Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft macht spätestens dann Halt, wenn Kriterien ins Spiel kommen, die nur schwer erfüllbar sind“, so Zick.

Gleichheit: Rechte der Deutschen sind gleicher

Der Widerspruch setzt sich fort, wenn das Prinzip der Gleichheit in den Fokus rückt. Laut der Studie sind sich rund 86 Prozent der Befragten einig, dass alle Menschen über die gleichen Rechte verfügen sollten. Ausgehebelt wird dieser Grundsatz jedoch, sobald bisherige Privilegien und Vorrechte der deutschen Mehrheitsgesellschaft abgegeben werden müssen, um die gleichen Rechte auch für alle etablieren zu können.

So sinkt die Zustimmung zum Gleichheits-Prinzip drastisch, wenn die Teilhabe aller auch einen Verzicht auf bisherige Vorrechte erforderlich macht. So zeigt sich, dass nahezu ein Drittel aller Befragten (30,9Prozent) zwar gleiche Rechte für Neuhinzugekommene unterstützt, jedoch gleichermaßen meint, man müsse „sich erst einmal mit weniger zufrieden geben“, wenn man später hinzukommt (32,4 Prozent). Etwa 18,0 Prozent der Befragten hält es darüber hinaus beispielsweise für selbstverständlich, dass den ‚Neuen‘ „genauso viel zusteht wie allen anderen auch“, erkennt ihnen allerdings gleichzeitig das Recht ab, „Ansprüche zu erheben“(19,8 Prozent).

„Mich besorgt der Befund, dass viele Befragte ihre persönliche Integrationsbereitschaft und Toleranz überschätzen“, so die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoğuz (SPD). Wenn es darum gehe, konkrete Integrationsanstrengungen zu unternehmen, dann werde die Verantwortung hierfür mehrheitlich den Einwanderern zugeschrieben. „Offenbar betrachten viele Menschen Integration immer noch nicht als einen wechselseitigen Prozess der Veränderung“, sagt die Sozialdemokratin. Es sei bemerkenswert, dass dieses Muster gleich mehrfach zutage tritt: „Abstrakte Fragen zur Integration erfahren zumeist höhere Zustimmung, als konkrete Fragen aus der Welt des persönlichen Alltags.“ Es reiche aber nicht aus, Integration nur auf einem eher abstrakten Niveau gut zu finden.

Ablehnung gegenüber Sinti und Roma, Asylbewerber und Muslime

Eine Abwertung und Feindlichkeit gegenüber ethnischen und kulturellen Minderheiten zeigt sich insbesondere mit Blick darauf, dass sich Ressentiments gegenüber Sinti und Roma, Asylbewerbern und Muslimen halten. Mehr als jeder Fünfte äußert gegenüber diesen Personengruppen starke Vorurteile und Ablehnung. Auch antisemitische und rassistische Agitation finden immer noch Anklang in der deutschen Bevölkerung; mindestens jeder zehnte Bürger stimmt einer natürlichen Hierarchie zwischen Völkern zu und unterstellt Juden, sie würden von der Holocaust-Vergangenheit profitieren wollen.

Download: Die Studie „ZuGleich – Zugehörigkeit und Gleichwertigkeit“ ist eine wissenschaftliche Umfragestudie und basiert auf einer anonymen und repräsentativen Querschnitts-Befragung von insgesamt 2.006 volljährigen Personen zwischen November 2013 und Januar 2014 in Deutschland. Der Zwischenbericht kann hier heruntergeladen werden.

Der Anteil der Befragten, der der Aussage zustimmt, dass Migranten in die Heimat zurückkehren sollten, wenn die Arbeitsplätze knapp werden (Zustimmung 8,1 Prozent), ist nahezu identisch mit dem Anteil der Befragten, die Homosexualität unmoralisch finden (8,6 Prozent) oder die meinen, Frauen sollten sich auf ihre traditionelle Rolle besinnen (8,8 Prozent). „Diese Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bremst Versuche der Öffnung und des positiven Miteinanders aus“, so die Macher der Studie.

Für den integrationspolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag, Volker Beck, sind diese Befunde „erschreckend“. Beck: „So sehr man sich über die positive Grundhaltung zu einer Willkommenskultur in Deutschland freuen kann, so sehr bereiten die negativen und verallgemeinernden Aussagen über Roma, Asylbewerber und Muslime weiter Grund zur Sorge.“ Deshalb dürfe man nicht müde werden, weiterhin die Gleichwertigkeit und Zugehörigkeit aller Menschen nach vorne zu stellen und keine Zweifel daran zu lassen. „Hier müssen sich auch Politik und Medien immer wieder an die eigene Nase fassen, wenn sie Vorurteile gegenüber Roma, Asylbewerbern oder Muslimen reproduzieren.“, so Beck. Gesellschaft Leitartikel Studien

Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)

  1. Schweizerin sagt:

    Ich bin kein Integrationsverweigerer und Migrantenfeind, aber ich bin der Ansicht, dass Diversität kein „muss“ ist, kein Kriterium, das eine Gesellschaft per se toleranter oder besser macht. Meine Verwandten in den USA sprechen nicht ohne Grund vom Albtraum „Detroit“.

  2. Saadiya sagt:

    @Schweizerin: „…ich bin der Ansicht, dass Diversität kein “muss” ist, kein Kriterium, das eine Gesellschaft per se toleranter oder besser macht.“

    Diversität ist kein MUSS und macht eine Gesellschaft auch nicht besser. Sie ist aber in Deutschland eine Realität, die man nicht mehr wegdiskutieren kann. Es geht nicht mehr um das OB, sondern darum, wie die diverse Gesellschaft gestaltet werden kann.

  3. Destructor sagt:

    liebe schweizerin ( falls sie denn wirklich eine sind , was ich anzweifel )

    ist die schweiz kein multiethnisches land , mit mehreren sprachen ? mit mehreren ethnie ? wo es trotzdem funktioniert und klappt auch ohne monokulturelle leitkultur ?

    ich nehme an sie sind die sorte von DEUTSCHEN die in die schweiz ausgewandert ist des lieben geldes wegen und sich seeeehr schnell integriert hat .

    „mindestens jeder zehnte Bürger stimmt einer natürlichen Hierarchie zwischen Völkern zu“

    wenn ich so was lese wird mir schlecht , anscheinend lebt hitler immer noch weiter in den köpfen und herzen der menschen .

  4. Realist sagt:

    @Saadiya. Ja was will man denn dagegen machen, wenn die Migranten dem „Heinzotto Miesmüller“ aus „Unterholzhausen-Braunwald“ „schnuppe“ sind. Gar nichts. Ihre Argumentation beruht auf der falschen Annahme, dass man Leute, die nicht wollen, zwingen kann. Das ist illusorisch. Sie gehen von einem Menschenbild aus, das ehrenwert, aber nicht realistisch ist.
    Ich habe es selbst in einer U-Bahnstation erlebt, wie tausende Passanten an einem am Boden liegenden Migranten vorbeigegangen sind, ohne dass sich irgendjemand umgedreht hat.

  5. Schweizerin sagt:

    Die Schweiz ist kein multiethnisches und auch kein multikulturelles Land im US-amerikanischen Sinn, sondern ein europäisches Land. Wenn Franzosen, Italiener und Schweizerdeutsche seit Jahrhunderten Seite an Seite leben, hat das mit „25 Nationen in einem Klassenzimmer“ überhaupt nichts zu tun.

  6. aloo masala sagt:

    @Schweizerin

    —-
    aber ich bin der Ansicht, dass Diversität kein “muss” ist, kein Kriterium, das eine Gesellschaft per se toleranter oder besser macht.
    —-

    Es geht nicht um Diversität, sondern zunächst einmal nur um gleiches Recht. Gleiches Recht ist ein universelles Grundprinzip und gleichzeitig auch Bestandteil des Grundgesetzes und der westlich-freiheitlichen Werte zu deren Bekenntnis man Muslime jahrelang verdonnerte und offenbar sich selbst nicht daran gebunden fühlt. Das zeigt, wer tatsächlich Lippenbekenntnisse absondert.

    Zufällig verläuft die Trennungslinie der Heuchler, so nennt man prinzipienlose Menschen, die mit unterschiedlichen Maßstäben messen, entlang der ethnischen und kulturellen Gruppen. Diejenigen, die sich in der typischen Arroganz wegen ihre angeblich höherwertigen westlichen Werte anderen Kulturen überlegen fühlen, sind von ihren eigenen Werten meilenwert entfernt und sitzen ewiggestrigen und hinterwäldlerischen Vorurteilen und Weltanschauungen auf.

    Das ist ein Zustand, der mit Multikulturalismus und Diversität nichts zu tun hat, sondern in erster Linie mit einem fehlenden Verständnis menschlicher und demokratischer Werte. Für seine eigene Prinzipienlosigkeit ist man immer noch selbst verantwortlich und nicht die anderen, die man ausgrenzt.

    Das Gute jedoch ist, wir sind, wie der Bericht sagt, auf einem guten Weg.

  7. Saadiya sagt:

    @Realiist: “ Ja was will man denn dagegen machen, wenn die Migranten dem “Heinzotto Miesmüller” aus “Unterholzhausen-Braunwald” “schnuppe” sind. Gar nichts. Ihre Argumentation beruht auf der falschen Annahme, dass man Leute, die nicht wollen, zwingen kann.“

    Von Zwang hatte ich auch gar nicht gesprochen, sondern von Tatsachen, die bestehen und die, selbst wenn sie ignoriert werden von Heinzotto Miesmüller, dennoch gesellschaftliche Realität sind. Herr Miesmüller lebt bereits in einer diversen Gesellschaft (divers nicht nur aufgrund verschiedenener Herkunft, sondern auch aufgrund verschiedener Lebenseinstellungen, sozialer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung oder der Inklusion behinderter Menschen in den Alltag). Es gibt also eher eine Notwendigkeit, sich zumindestens damit abzufinden, dass wir nicht in einem homogene Land leben und dies auch nie getan haben. Heute ist die Heterogenität noch weiter ausgeprägt, als das vielleicht vor hundert Jahren der Fall war. Und daran ändert auch ein Herr Miesmüller nichts.

  8. Hans-Juergen Hoehling sagt:

    Das Argumentl der gleichen Rechte für alle geht an der Wirklichkeit, auch der juristischen, vorbei. Von Natur aus haben Menschen überhaupt keine Rechte: kein Steinzeitmensch konnte sich auf Sozialgesetzgebung berufen. „Menschenrechte“, überhaupt alle Rechte, sind soziale Übereinkünfte, die von gesellschaftlichen Gruppen getroffen werden. Natürlich hat ein US-Amerikaner kein Recht auf deutsche Sozialleistungen, und wenn er nach Deutschland reist und sich dort niederläßt, sind seine Recht eingeschränkt. Denn die Voraussetzung zur Teilnahme an deutschen Rechten ist die Mitgliedschaft im „Club der Deutschen“, der deutschen Gesellschaft, die man durch die Staatsbürgerschaft erwirbt. Das gilt umgekehrt ganz genauso. Dahinter steckt die ganz realistische Überlegung, dass eine Gesellschaft nur begrenzte Leistungsfähigkeit besitzt, und daher ihre tatsächlichen Leistungen auf diejenigen beschränken muss, die zumindest tendenziell Gegenleistungen erbringen können. Daher die Bindung der Ansprüche an die Staatsbürgerschaft, die für EU-Bürger erweitert worden ist – aber auch nur aufgrund der Gegenseitigkeit. Natürlich hat ein Bürger Saudi-Arabiens nicht die gleichen Rechte in Deutschland wie ein deutscher Staatsbürger, auch kein Nigerianer oder ein Japaner – denn es gibt keine Gegenseitigkeit. Wenn die Befragten daher sagen, dass ein Nicht-Staatsbürger nicht die gleichen Rechte haben kann wie ein Staatsbürger, dann ist das eine Selbstverständlichkeit und kein Ausdruck irgendeiner Voreingenommenheit. Sehr viele Migranten sehen das genauso – aus gutem Grund. Eine Abweichung vom Prinzip der Gegenseitigkeit unterminiert die Bereitschaft der Mehrheitsgesellschaft, gegenüber Neuankömmlingen offen zu sein. Die Einbürgerung, die so oft verlangt wird, ist ein Ausdruck der Bereitschaft zur Gegenleistung.

  9. Ignaz sagt:

    @Hoehling Sie drücken sich so einfühlsam und zart aus, dass ich lachen muss. Sie geben auch indirekt zu erkennen, dass unser wirklich soziales und gutes System (wenn ich Sie richtig verstanden habe) eigentlich keine Zukunft hat, weil es am übertriebenen „linken“ Anspruchsdenken zugrunde geht. Danke für Ihren erfrischenden Kommentar. Dass eine Gesellschaft nur eine begrenzte Leistungsfähigkeit hat, ist zwar eine Binsenweisheit, aber sag das einmal einer laut …