Eine neue Asyldebatte?

Wie der Innenminister versucht, das Asylrecht auszuhebeln

Bundesinnenminister de Maizière möchte Asylbewerberzahlen begrenzen. Seine Argumente: hohe Asylbewerberzahlen, noch höhere Flüchtlingszahlen und eine vermeintliche kritische Haltung der Einheimischen. In Wirklichkeit geht es um etwas anderes.

Von J. Olaf Kleist Dienstag, 26.08.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 31.08.2014, 22:14 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Innenminister Thomas de Maiziére gab der Bild am Sonntag ein Interview, in dem es um die Situation im Nordirak und Asylbewerber in Deutschland ging. Es war ein Plädoyer für eine Begrenzung der Asylbewerberzahlen, das von anderen Parteien schnell zurückgewiesen wurde. Doch worum geht es in dieser Debatte eigentlich?

Dass hunderttausende Jesiden, Christen und Moslems berechtigt vor den Grausamkeiten einer brutalen Miliz geflohen sind, wird in Deutschland kaum bezweifelt. Soll dies aber nun der Anlass sein, dass Deutschland seine Verpflichtung gegenüber Schutzsuchenden in Frage stellt?

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Waffen- und Hilfslieferungen werden nicht verhindern, dass wir dem menschlichen Antlitz von Verfolgung, Kriegen und Konflikten auch vor unserer Haustür begegnen müssen. Angesichts der globalen Zunahme an internationalen Krisen und gewaltsamen Auseinandersetzungen dürfen wir uns nicht zurückziehen und weder der Empathie noch unserer menschenrechtlichen Verpflichtungen überdrüssig werden.

Die Interviewer der Bild suggerierten, dass die Kommunen unter der ‘Last’ von Asylbewerbern ‘ächzen’ würden und ‘die Bevölkerung’ Asylbewerbern kritisch gegenüber stünde. Tatsächlich sehen sich angesichts der steigenden Zahlen von Schutzsuchenden viele Kommunen vor einer Herausforderung, Asylbewerber menschenwürdig unterzubringen und zu versorgen. Tatsächlich sind es aber auch immer mehr freiwillige Bürger, die hier einspringen, wo kommunale und staatliche Stellen versagen.

Ehrenamtliche suchen nicht nur Wohnungen, unterstützen Flüchtlinge bei Behördengängen und geben Sprachunterricht, vor allem heißen sie durch ihren persönlichen Kontakt Neuankömmlinge in Deutschland willkommen. Die Behauptung, ‘die Bevölkerung’ stehe Flüchtlingen kritisch gegenüber, wird, trotz ernst zu nehmender Proteste von ganz rechts, dem Ausmaß bundesweiter Hilfsbereitschaft, wie wir es seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen haben, nicht gerecht.

Zugleich darf diese Hilfsbereitschaft nicht missbraucht werden, um staatliche Aufgaben abzuwälzen. Wenn sich globale Phänomene auch auf lokaler Ebene in Deutschland bemerkbar machen, wie durch die Ankunft von Asylbewerbern, dann dürfen Flüchtlinge und Bürger damit nicht alleine gelassen werden. Dann muss der Appell an die Kommunen, Länder, Bund und EU gerichtet werden, gemeinsame Lösungen zu finden. Dass der Schutz von Zufluchtsuchenden auf Dauer teuer sein kann, steht außer Frage. Doch sollte dies neben vielen anderen Projekten, für die wir Gelder ausgeben, eine menschliche Verpflichtung sein, für die wir gemeinsam Verantwortung übernehmen.

Auch der Verweis auf hohe Asylbewerberzahlen sollte uns von der gemeinsamen Aufgabe nicht abschrecken. De Maiziére hebt hervor, dass in Deutschland dieses Jahr rund 200.000 Asylanträge gestellt werden, so viele wie seit fast 20 Jahren nicht mehr. Doch übergeht er, dass dies weniger als 0,4 Prozent der weltweit über 52 Millionen Vertriebenen sind, von welchen über 86 Prozent jenseits der Grenzen westlicher Staaten leben.

Auch was das Verhältnis in Europa angeht, hat de Maiziére zwar Recht, dass rund ein Drittel aller Anträge in Deutschland gestellt werden, mehr als eine um Bevölkerungsgröße und Wohlstand bereinigte Quote für Deutschland vorsehen würde. Doch Antragszahlen sind in Deutschland weit mehr als die Asylverfahrenszahlen und, wie Prof. Dietrich Thränhardt kürzlich bemerkte, Verfahren dauern hier sehr viel länger und die Anerkennungsquoten sind geringer als in anderen Ländern.

Es ist durchaus richtig, eine europäische und auch globale Perspektive in Bezug auf den Flüchtlingsschutz einzunehmen. Doch dies sollte dazu dienen, in Solidarität humanitäre Krisen zu begegnen und Flüchtlingen gemeinsam zu helfen.

So sollte man de Maiziére entschieden zustimmen, wenn er darauf besteht, dass jene, die politisch verfolgt sind und Flüchtlingsschutz genießen, in Deutschland willkommen sind. Dies sollte natürlich eine Selbstverständlichkeit sein, denn zum Flüchtlingsschutz ist Deutschland nach internationalem und europäischem Recht verpflichtet. Ob jemandem Schutz zusteht, wird in komplexen Asylverfahren überprüft. Dass jene, denen im Asylverfahren kein Schutzstatus zugesprochen wird, abgeschoben werden können, sofern keine menschenrechtlichen Bedenken vorliegen, steht dabei auch nicht in Frage.

Doch de Maiziére will einigen Antragstellern das Asylverfahren nicht zugestehen und sie ‚praktikabel’ ohne Überprüfung ihres Schutzbedarfs abschieben. Darauf zielt sein Gesetzentwurf, mit dem Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu ‚sicheren Herkunfsländern’ erklärt werden sollen und auf den der Innenminister im Bild-Interview verweist. Dass jedoch für Angehörige von Minderheiten aus der Region, insbesondere für Roma, grundsätzlich kein Schutzanspruch vorliege, wird von Asylexperten wie Dr. Reinhard Marx stark bezweifelt.

Auch wenn die Anerkennungsquote für Asylbewerber aus dem Westbalkan gering ist, darf das Asylrecht nicht geographisch beschnitten werden. Dies ist aber, was hier tatsächlich zur Debatte steht: Bestimmten Schutzsuchenden soll kategorisch Zugang zu gerechten Asylverfahren verweigert werden. So versucht de Maiziére das Schicksal von Millionen von Flüchtlinge im Nahen Osten als Angelpunkt zu nutzen, um das Asylrecht Deutschlands in einem gänzlich anderen Bereich auszuhebeln.

Die bestehende Empathie für Schutzsuchende und Deutschlands menschenrechtlichen Verpflichtungen dürfen gerade in diesen Zeiten nicht in Frage gestellt werden, in denen internationale Krisen und Konflikte zu den größten Vertreibungen dieser Generation führen. Vielmehr müssen wir die tragische geschichtliche Situation in der wir uns befinden, als eine gemeinsame deutsche und europäische Herausforderung begreifen, in der wir die eigene politische Gemeinschaft aus der Solidarität mit anderen anstatt in Abgrenzung begründen können. Leitartikel Meinung

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