Jesiden im Irak
„Die Welt schaut zu und tut nichts“
Seit die IS-Miliz im Irak Jesiden verfolgt, sind Zigtausende ins Gebirge geflohen, wo sie ohne Lebensmittel und Wasser ausharren. Viele dieser Verfolgten haben Verwandte in Deutschland. Sie demonstrierten am Wochenende in Bielefeld gegen die Verfolgung im Irak. Uwe Rottkamp und Holger Spierig waren dabei.
Von U. Rottkamp, H. Spierig Dienstag, 12.08.2014, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 13.08.2014, 21:51 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
„Was sind wir? Jesiden sind wir. Was wollen wir? Freiheit wollen wir!“ Vom Lautsprecherwagen schallt es in die Menge, von dort kommt die Antwort in einem Chor von Stimmen zurück. Begleitet von einem dichten Polizeiaufgebot trifft der Zug lautstark, aber friedlich auf dem großen Platz am Kesselbrink ein, auf dem kurz zuvor die Wochenmarkthändler die letzten Obst- und Gemüsekisten verstaut und abtransportiert haben.
6.000 Teilnehmer sind nach Polizeiangaben in Bielefeld zusammengekommen. Die Veranstalter schätzen die Zahl auf mehr als doppelt so viele. Sie sind hier, um vor einem drohenden Völkermord zu warnen. Im nördlichen Irak werden die Jesiden von der sunnitischen IS-Miliz verfolgt. Zigtausende sind ins Sindschar-Gebirge geflohen, wo sie ohne Lebensmittel und Wasser ausharren.
„Hier findet ein Genozid statt, und die Welt schaut zu und tut nichts“, klagt Ali. Der 33-Jährige ist in Deutschland aufgewachsen, seine Familie stammt aus dem nordirakischen Shingal. Der Region, in der zuerst die Christen vertrieben wurden und jetzt die Jesiden verjagt, ermordet oder zwangskonvertiert werden. Das Jesidentum ist eine rund 4.000 Jahre alte Religion, die Glaubenselemente und Riten westiranischer und altmesopotamischer Religionen sowie von Judentum, Christentum und Islam verbindet.
Verwandte verloren
„Die, die bisher überlebt haben, sind in die Berge geflüchtet“, berichtet Ali. Die Nachrichtenbilder mit abgeworfenen Hilfsgütern können ihn nicht beruhigen. „Die Kisten mit Wasser und Nahrungsmitteln kommen bei ihnen gar nicht an“, berichtet er von seinen Telefonkontakten, die noch möglich sind.
Faist Mahmud Karow lebt seit sechs Jahren in Deutschland. Wenn der Jeside erzählt, ist ihm die Erschütterung deutlich anzumerken. Er habe in den letzten Tagen 15 Familienmitglieder in Shingal verloren: „Vater, Brüder, Enkel, sie liegen noch immer irgendwo in den Bergen und konnten nicht einmal beerdigt werden.“ Die Bergregion, die den Geflüchteten zurzeit noch als Schutzraum dient, ist 14 Kilometer breit und 76 Kilometer lang.
Humanitäre Katastrophe
Die Menschen in den Bergen brauchen sofort eine sichere Zone, in der Krankenstationen eingerichtet werden müssen, sagt Karow. Nur so könne die menschliche Katastrophe noch abgewendet werden. Viele junge Jesiden fordern ein direktes militärisches Vorgehen der Staatengemeinschaft gegen Terror der islamistischen Milizen „Islamischer Staat“ (IS).
Auch die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen in Nordrhein-Westfalen, Sigrid Beer, warnt vor einer „humanitären Katastrophe“. Die Verfolgung von Jesiden, Christen, Aleviten, und weiteren Minderheiten nehme immer größere Ausmaße an, warnt Beer, die auch Mitglied der Kirchenleitung der westfälischen Kirche ist. Ein humanitärer Korridor müsse umgehend eingerichtet werden, damit sich die Flüchtlinge aus unmittelbarer Lebensgefahr in Sicherheit bringen können. „Sie brauchen Wasser Nahrungsmittel und Medikamente für den Weg.“ Außerdem müssten die Flüchtlingsorganisationen in die Lage versetzt werden, die Menschen aufzunehmen unterzubringen und weiter zu versorgen.
Deutschland muss mehr tun
„Wir dürfen nicht schweigen, wenn fast 50.000 Jesiden in den Sindschar-Bergen in der Falle sitzen, erklärt auch die Pfarrerin der westfälischen Kirche, Kirsten Potz. Die Hälfte davon seien Kinder. „Die ersten sind schon verhungert und verdurstet.“ Deutschland müsse zudem die Flüchtlinge, die hierherkämen, „mit offenen Armen aufnehmen, viele mehr als bisher“.
Befürchtete Ausschreitungen wie das Aufeinandertreffen mit islamistischen Gruppen bleiben aus. Doch am Ende kommt es zu kleineren Tumulten, als sich eine kleine Gruppe der Kundgebung nähert. Erst fliegen Beschimpfungen dann leere Flaschen zwischen den Gruppen. Die Polizei trennt jedoch die Lager schnell. Die Gruppe gehöre offenbar weder der Salafisten-Szene noch anderen extremen Vereinigungen an, erklärt die Polizei. (epd) Aktuell Gesellschaft
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In ähnlich brutaler und grausamer Weise werden in Myanmar (Birma) die muslimischen Rohingya von Buddhisten verfolgt und umgebracht. Vor einiger Zeit machte das Schlagzeilen, es wurden sogar ein paar humanitäre Hilfslieferungen geschickt, doch sonst geschah nichts. Die myanmarische Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi schweigt zu den von ihren Landsleuten begangenen Verbrechen, und die „Weltgemeinschaft“ hat nicht eingegriffen. Heute hört man kaum noch etwas von der Verfolgung der Rohingya, obwohl sich deren Situation – meines Wissens – nicht gebessert hat.
Werden umgekehrt Nichtmuslime von Muslimen verfolgt und getötet, dann ist die Aufregung der „Weltgemeinschaft“ in der Regel viel größer, und es wird auch ein militärisches Eingreifen gefordert. Dann ziehen die Mainstream-Medien und die populistischen Politiker kräftig über die „bösen Islamisten“ her und verteufeln die Weltreligion des Islam. Die Tatsache, daß es in Myanmar führende buddhistische Priester und Mönche sind, die zur Verfolgung der Rohingya anstacheln, scheint jedoch niemanden zu berühren, da der Buddhismus ja als „friedliche“ und „friedliebende“ Religion gilt, während dem Islam grundsätzlich stets Gewaltbereitschaft unterstellt wird.
Mit diesen meinen Ausführungen möchte ich nicht die von den Kämpfern des IS im mißbrauchten Namen der Religion begangenen Verbrechen gutheißen oder beschönigen – der Islam verbietet Angriffe auf Zivilisten gleich welcher Religions- oder Volkszugehörigkeit, ebenso wie Zwangsbekehrungen –, sondern zeigen, daß bei solchen Verbrechen gegen die Menschlichkeit die „Welt gewöhnlich zuschaut und nichts tut“, und daß darüber hinaus in den westlich dominierten Medien meist mit zweierlei Maß gemessen wird, je nachdem ob die Verfolgten Nichtmuslime und ihre Verfolger Muslime sind oder umgekehrt.
@Lynx
Das von ihnen oder Marie/anne solche „Relativierung“kommt hätte man sich als Forum Leser ja denken können.
Ich könnte 10 Länder aufzählen wo Christen von Muslimen verfolgt /vertrieben werden .Was aber ihn überhaut keinen Zusammenhang mit dem leid der Rohingya/JESIDEN stehen würde .
Also hören Sie bitte auf von einem auf das andere zu Zeigen.“aber die“s gibt es schon viel zu oft.
@Trauma: Inwiefern stellt es eine Relativierung dar, wenn Lynx, völlig zurecht darauf hinweist, dass die Verbrechen von Buddhisten an Muslimen in der westlichen Welt auf keinerlei Interesse stoßen? Sind fuer Sie Muslime Menschen dritter Klasse? Das lässt jedenfalls Ihr Beitrag, in welchem Sie mit erheblichem Eifer von 10 Staaten faseln, in denen es andersrum ist, vermuten. Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind auch dann Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wenn Muslime betroffen sind und wer das anders sieht und sich ausschliesslich über die Verbrechen erregt, die in sein Muslimhasser-Weltbild passen, dem nehme ich die Empörung über Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht ab. Der instrumentalisiert die Opfer von Verbrechen, die sich nicht gegeneinander aufrechnen lassen, für rein ideologische Zwecke.
Zum Thema selbst: Ich finde es zutiefst empörend, wie sich hier der Westen, der mit seinem mit Kriegsluegen angezettelten Irakkrieg die jetzige Situation zu verantworten hat, seiner Verantwortung entzieht und die Menschen dort ihrem Elend überlässt.
„Ich könnte 10 Länder aufzählen wo Christen von Muslimen verfolgt /vertrieben werden“
die würde ich gern mal sehn
Im Irak, in Syrien usw. bringen Muslime Muslime um. Das ist schlimm. Hat also wohl nix mit der Religion zu tun. Passt wohl nicht in das Weltbilder so mancher Leser hier, die das Böse überall verorten, nur ihre eigene Aggressivität und Respektlosigkeit gegenüber anderen Kommendatoren nicht mitkriegen.
Anregung an die Redaktion: wenigstens sprachlich sollten Kommentare eine gewisse Sachlichkeit zeigen und Respekt vor einer anderen Meinung; wer z.B. meint, andere würde „faseln“ (siehe Frau Marianne, deren Ausdrucksweise geht gar nicht), der sollte sich hauptsächlich an die eigene Nase fassen.
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