Deutschland ist ein Einwanderungsland

Warum wir ein Ausländerwahlrecht brauchen

Millionen von Menschen hierzulande werden von Wahlen und Volksinitiativen ausgeschlossen. Deshalb bleibe die vielerorts zu Recht geforderte und geförderte Willkommenskultur nur eine leere Floskel, wenn sie nicht mit wirklichen Teilhabemöglichkeiten einhergehe, kommentiert Julia Lehmann vom Bündnis "Wahlrecht für Alle".

Von Julia Mi-ri Lehmann Montag, 11.08.2014, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 08.01.2015, 16:23 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

In Deutschland leben mittlerweile rund 7,6 Millionen Menschen ohne deutschen Pass und das entspricht 9 Prozent der Bevölkerung. In Berlin macht der Ausländeranteil mit mehr als einer halben Million rund ein Viertel der Bevölkerung aus. Aufgrund des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels werden diese Zahlen in Zukunft noch steigen. Deutschland wird somit weiterhin ein Zuhause für Menschen aus aller Welt, die hier arbeiten, Kinder großziehen und Freundschaften pflegen.

Diese Mobilität ist von der EU und nicht zuletzt auch von Deutschland ausdrücklich erwünscht. Neben den wirtschaftlichen Gründen auf Seiten der Regierungen, spielen für die MigrantInnen auch private Gründe wie Partnerschaften, Neugier oder der Wunsch nach Arbeit und Flexibilität eine Rolle, wenn es darum geht, Mobilitätsmöglichkeiten zu fördern, bzw. zu nutzen. Anders als die arbeitsrechtlichen Regelungen wurden die politischen Teilhabemöglichkeiten allerdings nie an die Erfordernisse der Zuwanderungsbewegungen angepasst. Um der wachsenden Vielfalt und nicht zuletzt auch den demokratietheoretischen Erfordernissen gerecht zu werden, muss sich Deutschland daher Gedanken über neue Formen der Teilhabe machen.

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Zusammengehörigkeit braucht gleichberechtigte Teilhabe

Menschen, die den Arbeitsplatz, die Schulen, Kindergärten und den Wohnort miteinander teilen, möchten auch gemeinsam über deren Rahmenbedingungen und Ausgestaltung mitentscheiden können. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Volksentscheid zum Tempelhofer Feld, bei dem alle Anwohner gleichermaßen von der Entscheidung betroffen waren. Die Tatsache, dass allein in den angrenzenden Bezirken 160.000 Menschen ohne deutschen Pass leben und daher nicht an der Abstimmung teilnehmen konnten, ist mittlerweile auch für die Mehrheit der Berliner Bevölkerung nicht mehr nachvollziehbar. So würden laut einer aktuellen Forsa-Umfrage 69 Prozent der Berliner, EU-Staatsbürgern und Drittstaatenangehörigen gerne die Teilhabe an Volksentscheiden erlauben.

An dieser Stelle die Wohnbevölkerung weiterhin zwischen Menschen mit und ohne Pass zu unterteilen, kann nicht im Sinne eines funktionierenden, harmonischen Gemeinwesens sein.

Bekenntnis zur freiheitlichen, demokratischen Grundordnung bedarf nicht der Staatsbürgerschaft

Zuwanderer entscheiden sich bewusst zu emigrieren und sind bereit, dafür ihre bekannte Umgebung, ihre Familie und Freunde für teils unbestimmte Zeit zu verlassen. Sie arbeiten hier, schicken ihre Kinder in die Schule und bringen sich in das Gemeinwesen ein. Von diesen Menschen zu behaupten, sie würden sich nicht ausreichend zu Deutschland bekennen, solange sie nicht auch die Staatsbürgerschaft angenommen haben, ist absurd.

Darüber hinaus wird der Verweis auf die Staatsbürgerschaft bei der Frage nach dem Ausländerwahlrecht weder den Anforderungen der Demokratie noch denen der heutigen Arbeits- und Lebenswelt gerecht. So fordert man von den Arbeitnehmern Flexibilität und Mobilität und verlangt von ihnen gleichzeitig, dass sie bei jedem Umzug über Landesgrenzen hinweg eine neue Staatsbürgerschaft beantragen, wenn sie sich weiterhin politisch beteiligen wollen. Hinzu kommt, dass ein solcher Antrag – wie in Deutschland – viele Jahre in Anspruch nehmen kann.

Breites Bündnis für ein „Wahlrecht für alle“

Neben der Bevölkerung ist mittlerweile auch die Mehrheit der Parteien für eine Erweiterung des Wahlrechts. Im Berliner Bündnis „Wahlrecht für Alle“ engagieren sich Politiker der Grünen, der Linken, der SPD und der Piraten gemeinsam mit Vereinen, Gewerkschaften und Aktivisten für die Ausweitung des Wahlrechts sowohl für EU-Staatsbürger als auch Drittstaatenangehörige auf die Landesebene. Um dieses Ziel zu verwirklichen, fordern sie die Berliner Landesregierung auf, eine Bundesratsinitiative ins Leben zu rufen, die das Ausländerwahlrecht im Grundgesetz verankert.

Durch eine solche Ausweitung würde nicht nur die längst überholte Aufteilung der Bevölkerung in Deutsche, EU-Staatsbürger und Drittstaatenangehörige wegfallen, sondern auch Menschen ohne deutschen Pass die Teilhabe an Landeswahlen und Volksentscheiden ermöglicht werden.

Andere Länder machen es Deutschland vor

Die vielerorts zu Recht geforderte und geförderte Willkommenskultur bleibt nur eine leere Floskel, wenn sie nicht mit wirklichen Teilhabemöglichkeiten einhergeht. Die Ausweitung des Wahlrechts auf Menschen ohne deutschen Pass, könnte eine Möglichkeit sein, Teilhabe für alle zu gewährleisten, so wie es beispielsweise in England, Irland, Dänemark und Portugal bereits der Fall ist.

CDU-Politiker dürfte überraschen, dass die Einbürgerungsrate in diesen Ländern vergleichsweise hoch ist. Menschen sind also eher bereit, die Staatsbürgerschaft des jeweiligen Landes anzunehmen, wenn sie vorher schon wählen durften. Aktuell Meinung

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  1. Mike sagt:

    Einem Ausländerwahlrecht steht Art 20 des Grundgesetzes entgegen. Der deutsche Bundestag müsste diesen mit Zweidrittelmehrheit ändern. Art 20 des Grundgesetzes unterliegt aber der sog Ewigkeitsklausel des Art 79 des Grundgesetzes die eine Verfassungsänderung in bestimmten Punkten untersagt. Die Forderung nach einem Ausländerwahlrecht ist nicht einmal ansatzweise zu Ende gedacht und im Übrigen auch kein Thema das die breite Öffentlichkeit beschäftigt!

  2. Wendy sagt:

    Die Forsa-Umfrage bezog sich auf Berlin und Volksentscheide. Daher sollten ale darauf folgenden Schlüsse nicht automatisch verallgemeinert werden.
    Denn weder will die Bevölkerung (die Berliner mögen das als Gruppe anders sehen) noch alle Parteien (auch hier – es sind die Berliner Parteien eine grunsätzliche Änderung des Wahlrechts.
    Mal davon abgesehen sind die Berliner natürlich für so eine Änderung, sehen sie doch die vielen Millionen potenziellen Wählerstimmen als sicher wenn sie für deren Wahlrecht sorgen würden. Ein echtes Interesse erkenne ich daran nicht.

    Und Deutschland ist Deutschland, nicht Dänemark oder Irland. Ob die Einübrgerungsrate mit dem Wahlrechtzusammenhängt ist eine reine Vermutung des Autors, die könnte auch aus vielen anderen Gründen höher sein.

  3. Geobrezel sagt:

    Wenn man einer Bevölkerung ihr einziges Privileg gegenüber den anderen Nationen und Bevölkerungen nimmt, dann braucht man sich nicht mehr zu wundern, wenn dieses Volk und das Land in der Versenkung landet. Und leider kann man alle Argumente die der Autor für ein „Ausländer-Wahlrecht“ aufzählt genauso gut, als Gegenargument nutzen.

    Einfach die Staatsbürgerschaft beantragen und gut is! Es ist ja nicht so als wäre der Zugang zur deutschen Staatbürgerschaft beschränkt, außerdem ist eine kleine Garantie dafür, dass derjenige der hier wählen will, sich auch tatsächlichfür zu dem Land bekennt, da reicht es nicht hier zu leben und zu arbeiten, denn das tut man hauptsächlich für sich selbst.

    Übrigens ist die weltweite Regel, dass man als Ausländer nicht wählen darf. Die Ausnahmen bestätigen in der Hinsicht lediglich die Regel!

    Aber ich bin auch realistisch: Irgendeine Partei lässt sich mit Sicherheit finden, die sich mal wieder neue Wählerschichten erschliessen will.

  4. Wiebke sagt:

    Die Frage nach gesellschaftlicher Teilnahme ist nicht so einfach mit der Forderung nach allgemeinem Wahlrecht für jeden vor Ort zu beantworten. Natürlich muss es Formen der Teilnahme und Teilhabe geben.
    Aber gerade weil mobile Mitbürger auch nicht unbedingt lange an einem Ort bleiben – und ich spreche jetzt nicht nur über die mit ausländischem Pass – stellt sich die Frage, ob sich ihre Interessen nicht auch häufig von denen, die seit Generationen vor Ort leben, unterscheiden. Bei Vorhaben, die auf lange Sicht Auswirkungen haben, noch zu einem Zeitpunkt, da viele von jenen, die jetzt über sie abstimmen, längst weitergezogen sind, kann das zu fataler Kurzsichtigkeit in den Entscheidungen führen, wodurch die regionale Entwicklung, gerade Stadtentwicklung, ausgebremst wird. In meiner Heimatstadt erlebe ich, dass der Stadtrat aufgrund der großen Uni stark von Zugezogenen beeinflusst ist. Für die steht Bildung für ihre Knder im Vordergrund, d.h. Investittion in Schulen und Kindergärten. Eventuell noch Ausbau von Radwegen und öffentlichem Personenverkehr. Auf der Strecke bleiben langfristige Stadtentwicklungsvorhaben. Niemand hat auch nur Visionen dafür. oder Interesse daran, darüber nachzudenken, wie die Stadt in Zukunft von ein, zwei Jahrzehnten oder mehr aussehen soll. Das ist die Crux der mobilien Gesellschaft..

    Bei Wahlrecht für Ausländer wird ja in erster Linie an kommunales Wahlrecht gedacht. Was hier richtig ist oder falsch, sollte wirklich eingehender und differenzierter diskutiert werden. Ehrlich gesagt, bin ich da auch ratlos. Ich hab als Ausländer mein kommunales Wahlrecht nicht in Anspruch genommen, weil ich wusste, ich würde wieder wegziehen, andere müssen die Entscheidungen ausbaden, die ich mit gefällt habe..

  5. Han Yen sagt:

    Ein Ausländerwahlrecht hilft den Betroffenden nur bedingt, weil das Wählerpotential zahlenmässig klein ist und dazu noch auf den urbanen Raum eingegrenzt. Interessanter wäre es den einige Leistungen des Wohlfahrtstaats an eine transnationale Institution zu delegieren. Die Seeleute und die Operating Engineers verfügen über portierbare Gesundheits- und Pensionsleistungen. Außerdem besitzen sie Programme, um lokales und transnationales Hauseigentum zu fördern. Ähnliche Institutionen findet man bei Truckern in einigen Crossborder Korridoren. Es macht also Sinn eine gemeinsame Organisation mit diesen Berufsgruppen zu bilden, weil sie Risiken über den Globus und eine große Menge von Menschen diversifizieren können. Zu diesem Zweck müssen die Arbeitnehmer und Arbeitgeber Anteile der Wohlfahrtsleistungen an eine solche neue transnationale Wohlfahrtsorganisation überwiesen werden.

    Die relative Angleichung der Wohlfahrtstaates für die Inländer hat politische Gründe, weil die Gewerkschaften die Bevorzugung von Ausländergruppen abwehren will, die unter dem Inländerprimat Vorrechte zusammen mit den alteingesessenen gegenüber neueren Ausländergruppen haben. Das Privilegien-System ist mit den Menschen mit EU Bürger Rechtsstatus unterlaufen worden. Es gibt nun EU Bürger aus den europäischen Armenhäusern, die sehr wohl das Inländer Primat unterlaufen können. Der Wohlfahrtstaat sollte daher nicht mehr territorial nach Nationalstaaten organisiert werden, sondern soziale Rechte müssen transnationalisiert werden.

    Außerdem ist es wichtig, den staatlichen Einzug der Kirchensteuer aufzugeben. Es führt dazu, dass französische EU-Bürger automatisch kirchensteuerpflichtig werden, falls sie den Wohnsitz in die BRD verlegen. Wir haben eine Fachkräfte Migration aus den katholischen EU Staaten in die BRD, die ohnehin mehr Geld brauchen, um sich in der BRD zu orientieren. Kirchensteuer werden in der Vatikan Bank angelegt. Die Vatikan Bank ist wegen Geldwäsche und intransparenten Finanzgebahren in der Kritik.

    Ohne die Personalausgaben und laufenden Betriebsausgaben für den staatlichen Einzug der Kirchensteuer, kann man Personal auf kritischere staatliche Aufgaben umverteilen – z.B. den U3 Ausbau und die Sanierung der Kommunalfinanzen.