Arm durch Arbeit

Prekäre Sprachkurse für jugendliche Migranten an öffentlichen Schulen?

Die Berufsbildende Schule Melle will Sprachkurse für jugendliche MigrantInnen einrichten. Das ist gut. Schlecht ist, dass sie nach dem Vorbild der Integrationskurse aufgebaut werden sollen. Ein offener Brief von Lehrern, die in Integrationskursen unterrichten.

Von Georg Niedermüller Freitag, 11.04.2014, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 14.04.2014, 23:31 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Sehr verehrtes LehrerInnenkollegium der Berufsbildenden Schule Melle,

wir sind eine Gruppe von Lehrkräften, die in Integrationskursen tätig sind und sich besonders für die Qualität und die Arbeitsverhältnisse in den Integrationskursen interessieren. Mit großem Interesse haben wir den Bericht in der Osnabrücker Zeitung vom 02.04.2014 gelesen.

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Hier steht, dass die BBS Melle nun einen Sprachkurs für jugendliche Migranten anbietet. Das finden wir sehr gut und wir begrüßen auch, dass eine berufsbildende Schule einen solchen Kurs anbietet. Solche Sprachkurse sind nämlich, genau wie der Deutsch- und der Matheunterricht, eine berufsvorbereitende Maßnahme, und nicht etwa eine „Weiterbildung“.

Nach unserer Meinung könnten sämtliche Integrationskurse, die auf den Einstieg ins Berufsleben vorbereiten sollen, an Berufsschulen oder Berufskollegs abgehalten werden. Gerade in Zeiten sinkender SchülerInnenzahlen ist die sprachliche und berufliche Integration ein interessantes neues Aufgabenfeld für Berufsschulen und Berufskollegs.

In dem Artikel der Osnabrücker Zeitung lesen wir: „Die weiterführenden Schulen der Stadt könnten kein adäquates Angebot aufgrund der ohnehin bereits dünnen Personaldecke vorhalten.“ Wir würden das nicht so affirmativ sehen, sondern wir würden vorschlagen, dass auch die weiterführenden Schulen Angebote für Deutsch als Zweitsprache machen sollten. Das Land sollte hier mehr Geldmittel in die Hand nehmen. Wer von einer deutschen Schule abgeht, der / die sollte gut deutsch sprechen und schreiben können. Das gilt besonders für Kinder von MigrantInnen, die sonst kaum berufliche Chancen hätten. In den Integrationskursen arbeiten genügend gut ausgebildete Lehrkräfte, die problemlos in den Schulen und den berufsbildenden Schulen die deutsche Sprache unterrichten könnten.

Wir stutzten, als wir lasen, dass die Kosten für den Sprachkurs an der BBS Melle „dankenswerterweise“ von der VHS Osnabrücker Land übernommen werden. Wir fragen uns, warum eine VHS die Kosten übernimmt, für die doch eigentlich das Schulministerium zuständig ist. Dann lesen wir etwas von einer „Kooperation mit der VHS“. Weiter lesen wir, dass Sie sagen, dass „zusätzliche Sprachförderangebote nach dem Vorbild der Integrationskurse für erwachsene Zuwanderer dringend notwendig“ seien. Hier fragen wir uns, was Sie an dem Vorbild der Integrationskurse für Erwachsene gut finden? Wir unterrichten ja selbst in diesen Kursen, teilweise auch bei Volkshochschulen und sehen da nicht viel Gutes.

Diese Kurse weisen eine durchweg schlechte Qualität auf, lediglich die Hälfte der TeilnehmerInnen schafft das angestrebte Ziel, das B1-Zertifikat. Es gibt bei diesen Kursen meistenteils kein externes Qualitätsmanagement, und die Arbeitsbedingungen sind häufig Gegenstand von Klagen vor den Arbeitsgerichten. Die Lehrkräfte arbeiten auf Hartz-IV-Niveau, müssen nicht selten mit Arbeitslosengeld II aufstocken und den Unterhalt für ihre Kinder beim Jugendamt erbetteln. Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gibt es nicht, und wer sich über diese miesen Arbeitsbedingungen beschwert, der wird rausgeworfen, denn Lehrkräfte in Integrationskursen haben keinen Kündigungsschutz, weil sie als (Schein-)Selbstständige „freiberuflich“ arbeiten.

Wir fragen uns, ob die BBS Melle solche Arbeitsbedingungen unter ihrem Dach tolerieren will.

Uns würde interessieren, ob die Lehrkräfte Ihrer Schule bereit sind, 25 Unterrichtseinheiten pro Woche für 980 € netto zu unterrichten. Das sind realistische Zahlen in der Integrationskursbranche, nach Abzug der Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge. In einem jüngst erschienenen Buch über die „Weiterbildung im Wandel. Profession und Profil auf Profitkurs“ heißt es: „Hieraus folgt das Problem, dass hauptamtliche Honorarlehrkräfte in der Weiterbildung zum Teil keine Absicherung im Krankheitsfall aufweisen und zudem keine Vorsorge für das Alter treffen können und ihnen Altersarmut droht.“1 So sind die Zustände in den Integrationskursen. Genau wegen solcher Zustände hat sich vor knapp drei Jahren unsere Initiative gebildet.

Die Lehrkräfte in Integrationskursen machen im Prinzip die gleiche Arbeit wie die Lehrerinnen und Lehrer an öffentlichen Schulen. Für die Tätigkeit in einem Integrationskurs benötigt man ein abgeschlossenes Hochschulstudium und eine Zusatzqualifikation im Bereich „Deutsch als Zweitsprache“. Wer diese Voraussetzungen erfüllt, der kann – zumindest in NRW – an jeder öffentlichen Schule Vertretungsunterricht erteilen, auch an den Berufskollegs. Wenn die Länder wollten, dann könnten sie Sprachkurse für junge MigrantInnen an jeder öffentlichen Schule etablieren und die DaZ-Lehrkräfte fest einstellen.

Billiger ist für das Land jedoch die Kooperation mit einer VHS, denn über diesen Weg kann man die Lehrkräfte weiterhin als „Freiberufler“ anheuern. Das gilt für die Kolleginnen und Kollegen, die in den Volkshochschulen arbeiten, und es gilt noch stärker für diejenigen, die einen Vertrag mit einer VHS haben, aber an einer Berufsbildenden Schule „eingesetzt“ werden, so als wären sie in der Leiharbeitsbranche. Wenn die Lehrkräfte an der BBS Melle Deutschkurse geben, dann sind sie in den Betriebsablauf Ihrer Schule eingebunden. Der Arbeitgeber (die VHS) ist dann verpflichtet, Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen. Tut sie das nicht, verstößt sie gegen § 266 a StGB.Das Gesetz sieht Haftstrafen von bis zu 5 Jahren vor.

Die Lösung des Problems besteht darin, dass man der Landesregierung erklärt, dass mehr Stellen für DaZ-Unterricht an den Schulen geschaffen werden müssen. Die LehrerInnen müssen fest eingestellt und anständig bezahlt werden. Die VHS als Zwischenhändler einzuschalten, nur um die Lehrkräfte als „Freiberufler“ zu deklarieren, damit der Arbeitgeber sich die Sozialversicherungsbeiträge sparen kann, ist der falsche Weg.

Wir würden uns freuen, wenn Ihr Kollegium sich intern über die Frage beraten würde, ob man einen zweiten, prekären Arbeitsmarkt an Ihrer Schule etablieren will. Wenn der DaZ-Unterricht an Ihrer Schule schon von Externen gemacht werden kann, dann kann man in Zukunft praktisch jedes Unterrichtsfach von billigen VHS-Freiberuflern unterrichten lassen. Das Normalarbeitsverhältnis erodiert seit vielen Jahren und es gibt seit Jahren Versuche, atypische und prekäre Arbeitsverhältnisse in die Schulen einzuführen.

Wir können Ihrem Kollegium und der Schulleitung nur dringendst empfehlen, das Integrationskursmodell nicht in die Schulen zu implementieren und die Schulen auch nicht durch eine „Kooperation“ mit einer VHS dafür zu öffnen.

Falls Sie Rückfragen haben oder unseren Brief kommentieren möchten können sie uns gerne anschreiben. Wir schicken diese Mail wie immer auch an ca. 630 Lehrkräfte in Integrationskursen, um auf die Gefahr einer Ausbreitung unserer prekären Arbeitsverhältnisse hinzuweisen. Aktuell Meinung

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  1. Klein sagt:

    Es ist ein Armutszeugnis nicht nur für das Land NRW, sondern noch mehr für das Bundesamt, die hochqualifizierte Lehrkräfte in den Niedriglohnsektor bzw. Scheinselbstständigkeit treibt. Allein dies macht deutlich, wie viel Wert die Bundesregierung dem Erwerb der deutschen Sprache tatsächlich beimisst.