Doppelte Staatsangehörigkeit

Kabinett beschließt Optionspflicht

Für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern soll die sogenannte Optionspflicht abgeschafft werden. Das hat das Bundeskabinett beschlossen. Regierungspolitiker zeigen sich zufrieden – alleine auf weiter Flur. Kritik kommt nicht nur von der Opposition.

Mittwoch, 09.04.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 14.04.2014, 23:30 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Künftig soll für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern die Optionspflicht entfallen. Sie sollen sich nicht mehr zwischen ihrer deutschen und ausländischen Staatsbürgerschaft entscheiden müssen. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wurde am Dienstag vom Bundeskabinett beschlossen. Strittig war bisher, was genau „in Deutschland aufgewachsen“ bedeuten soll.

Laut Gesetzesentwurf trifft das auf Jugendliche zu, die sich bei Vollendung ihres 21. Lebensjahres mindestens acht Jahre in Deutschland aufgehalten haben. Gleiches soll gelten, wenn der Betroffene sechs Jahre in Deutschland eine Schule besucht hat. Die Optionspflicht entfällt auch für diejenigen, die über einen in Deutschland erworbenen Schulabschluss oder eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen.

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Die Praxis
In der Praxis soll das folgendermaßen aussehen: Die Staatsangehörigkeitsbehörde kann das Vorliegen der Voraussetzungen und damit den Fortbestand der deutschen Staatsangehörigkeit schon vor Vollendung des 21. Lebensjahres feststellen. Diese Feststellung kann beantragt werden. Mit Vollendung des 21. Lebensjahres muss die Behörde dann tätig werden und die Voraussetzungen prüfen. Liegen entsprechende Informationen aus dem Melderegister vor, muss darüber hinaus nichts geprüft werden. Andernfalls müssen die Betroffenen das Aufwachsen in Deutschland anhand der genannten Kriterien nachweisen. Dies kann zum Beispiel durch Vorlage eines Schulzeugnisses erfolgen.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz (SPD, bezeichnete den Beschluss als einen „großen Fortschritt“ für Deutschland und ein „ein tolles Signal“. Für über 90 Prozent der betroffenen jungen Erwachsenen werde die Neuregelung automatisch und geräuschlos die Mehrstaatigkeit ermöglichen. Nur in wenigen Ausnahmefällen werde die Behörde nach den vereinbarten Kriterien fragen. Und bei Schwierigkeiten gebe es eine Härtefallklausel. Özoğuz weiter: „Ich freue mich, dass sich so viele junge Menschen künftig nicht mehr gegen die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern entscheiden müssen oder womöglich zum Ausländer im eigenen Land gemacht werden. Diese einzigartige und integrationsfeindliche Regelung ist bald Geschichte.“

Hintergrund: Nach geltendem Recht erhalten in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern zwar die deutsche Staatsangehörigkeit, müssen sich aber bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres zwischen ihrer deutschen und der Staatsangehörigkeit der Eltern entscheiden. Der Gesetzentwurf sieht nun vor, dass Kinder, die in Deutschland aufgewachsen sind, nicht unter die Optionspflicht fallen. Als in Deutschland aufgewachsen gelten Jugendliche, wenn sie acht Jahre in Deutschland gelebt, hier sechs Jahre die Schule besucht oder einen Schul- oder Ausbildungsabschluss in Deutschland erworben haben. Die Einbürgerungsbehörde prüft anhand der Meldedaten von Amts wegen, ob die Jugendlichen überhaupt optionspflichtig sind.

Grüne: Staatsbürger 1. und 2. Klasse
So erfreut sich Regierungspolitiker auch zeigten, so enttäuscht waren Oppositionspolitiker über die geplante Gesetzesänderung. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, etwa forderte die komplette Abschaffung der Optionspflicht. „Integrationspolitisch könnte eine Regierung kaum verantwortungsloser Handeln. SPD und Union halten damit am Prinzip fest, dass es in Deutschland Staatsbürger 1. und 2. Klasse gibt. Wer keine Gelegenheit ungenutzt lässt, Kindern aus Einwandererfamilien zu zeigen, dass sie hier nicht willkommen sind, muss sich auch der Konsequenzen bewusst sein“, so der Grünen Politiker. Zudem bemängelt Ungereimtheiten im Gesetz: „Warum ist ein deutscher Hauptschulabschluss bei der Staatsbürgerschaft mehr wert als eine österreichische Matura oder ein französisches Baccalauréat?“, fragt der Innenpolitiker.

Tatsächlich führt das neue Gesetz dazu, dass beispielsweise ein türkischer Jugendlicher mit deutschem Hauptschulabschluss seinen deutschen und türkischen Pass behalten darf. Ist er aber in Frankreich aufgewachsen und hat einen französischen Schulabschluss, muss er sich zwischen dem deutschen und dem türkischen Pass entscheiden. Das Gleiche gilt, wenn er in der Türkei aufgewachsen ist. Auch in diesem Fall, müsste er – wenn er sich für die deutsche Staatsbürgerschaft entscheidet – die türkische abgeben. Auf der anderen Seite soll ein Jugendlicher, der die Türkei nur aus dem Fernsehen kennt, auch seinen türkischen Pass behalten dürfen.

„Gesetze, die nur zur Gängelung von gesellschaftlichen Minderheiten geschrieben werden, lassen sich vielleicht in rechtspopulistischen Aschermittwochsreden schön verkaufen. Dem gesellschaftlichen Frieden und Zusammenhalt schaden sie. Eine moderne und vielfältige Einwanderungsgesellschaft setzt auf gegenseitige Anerkennung und Respekt. Nun bleiben weiterhin zigtausende junge Menschen in ihrer Jugend Deutsche auf Probe. Wer Bürokratie bekämpfen und Integration fördern möchte, sollte auf Schikaniergesetze wie das zur Optionspflichtverlängerung verzichten“, so Beck.

Linke: SPD eingeknickt
Die migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Sevim Dağdelen, nimmt sich vor allem die SPD vor: „Die SPD hätte auf den Wortlaut der Koalitionsvereinbarung verweisen und auf der Abschaffung der Optionspflicht bestehen müssen. Doch es kam, wie es immer kommt: CDU und CSU haben sich durchgesetzt, die Sozialdemokraten sind eingeknickt. Es ist absurd und nur mit ideologischer Borniertheit zu erklären, dass nun an zehntausenden Optionsverfahren pro Jahr festgehalten werden soll, nur damit am Ende einigen wenigen Menschen der Doppelpass vorenthalten werden kann.“

Auch mit der Neuregelung gebe es faktisch Deutsche zweiter Klasse, denen unter bestimmten Bedingungen nach mehr als 20 Jahren mit dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit gedroht werde. „Zudem bleibt die Ungleichbehandlung, bei vielen Staatsangehörigkeiten die doppelte Staatsangehörigkeit völlig problemlos hinzunehmen, diese insbesondere bei türkisch-deutschen Staatsangehörigen jedoch zum Problem zu erklären und zu einem Identitätskonflikt aufzubauschen“, so die Linkspolitikerin abschließend.

Kirchen: nicht hilfreich
Kritik erntet die Bundesregierung aber auch von der evangelischen und der katholischen Kirche. Die Vorsitzenden der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Norbert Trelle und Kirchenpräsident Volker Jung, äußerten Bedenken. Mehrstaatigkeit gehöre seit Jahren zur Normalität. So müsse beispielsweise mehr als die Hälfte der Eingebürgerten ihre zweite Staatsangehörigkeit nicht aufgeben. Auch Kinder aus binationalen Partnerschaften unterlägen nicht dieser Pflicht.

Kirchenpräsident Jung: „Die Optionspflicht stellt rechtliche Gleichheit und gesellschaftliche Teilhabe in Frage.“ Im Prozess der Identitätsfindung junger Menschen sei ein solches Vorgehen nicht hilfreich. Sie fühlten sich zwar Deutschland zugehörig, erlebten aber oft auch Fremdheitsgefühle und Diskriminierung. Bischof Trelle: „Unseres Erachtens kommt bei der Umsetzung der geplanten Regelung auf die Kommunalverwaltungen außerdem ein erheblicher bürokratischer Mehraufwand zu. Da die allermeisten Jugendlichen die Voraussetzungen ohnehin erfüllen, ist es höchst zweifelhaft, ob der zu erwartende Aufwand, der auch mit den neuen Vorschriften einhergehen wird, zu rechtfertigen ist.“

Zumindest müsse das neue Gesetz auch für diejenigen eine Lösung finden, die in den vergangenen Jahren ihre Optionspflicht ausüben mussten und nach der neuen Regelung nicht mehr optionspflichtig wären. „Hier ist ein großzügiges Prozedere im Blick auf Übergangsregelungen notwendig“, forderte Kirchenpräsident Jung. Gemeinsam betonten er und Bischof Trelle: „Wir sollten die Optionspflicht gänzlich abschaffen. Das wäre auch integrationspolitisch ein wichtiges Signal an die jungen Menschen. Ihr gehört von Anfang an dazu, ohne Wenn und Aber!“ (bk) Leitartikel Politik

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  1. ferdo sagt:

    —-was ich nicht so ganz verstehe ist, was ist mit Leuten wie mir ???? Türke, mit 11 Jahren nach Deutschland , hier aufgewachsen, Schulabschluss + Berufliche Ausbildung. Heute 36 Jahre alt quasi 25 Jahre bereits in Deutschland. Habe ich nun ein Anrecht drauf oder nicht?

  2. Salo sagt:

    Was ist mit Kindern, die nur ein Duldungsrecht haben, aber mindestens acht Jahre in Deutschland leben?

  3. Rasti sagt:

    @ferdo:

    Nö. Sie können sich einbürgern lassen, müssen dann aber wie gehabt Ihre türkische Staatsangehörigkeit aufgeben.

  4. Murat sagt:

    Hallo!
    Gilt das auch für leute die zwar in DE geboren und aufgewachsen sind ( die 6 jaehrige Schulbildung und mindestens 8 jaehrige Aufenthalt wird erfüllt ) aber schon seit 30 jahren in der Türkei leben ( wie meine Person )? Könnte ich rückwirkend um meine rechte klagen? Haette ich dadurch erneutes Rückkehrsrecht? Danke für die Antwort im vorraus.
    Murat..

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