Servus Bosporus
Hier muss ich nicht mehr über Integration reden
Alev Karataş wanderte vor zehn Jahren von Berlin nach Istanbul aus. Die Soziologin suchte die Heimat und fand sich selbst.
Von Ariana Zustra Mittwoch, 05.02.2014, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 07.02.2014, 1:08 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Alev Karataş muss nicht mehr über Integration reden. „Und nicht mal das will ich sagen müssen, weil das Thema kein Thema mehr sein dürfte.“ Alev Karataş sitzt in ihrem Büro und kritzelt in einem Notizbuch herum, das Kinn auf die Hand gestützt, den Mund verdeckend. Ihr sonnengelber Pullover will nicht so recht zu ihrer Miene passen. „Nach fünfzig Jahren immer noch über Türken in Deutschland und Integrationsprobleme zu diskutieren, ist für eine Gesellschaft überaus peinlich.“ Hundert Mal haben Journalisten sie gelöchert und daraus meist eine Leidensgeschichte verfasst, in der sie sich selbst nicht erkannte. Mittlerweile ist sie reservierter. „Klar hätte ich die deutsche und türkische Gesellschaft gern anders, aber ich leide nicht darunter.“ Sie redet trotzdem.
Alev Karataş wurde 1969 in Bruchsal geboren. Mit sieben Jahren setzten ihre Eltern sie ins Flugzeug nach Istanbul. Warum, darauf bekam sie bis heute keine Antwort. Sie kam in ein fremdes Land, zu einer fremden Tante, zu einer fremden Cousine, die immer die Prinzessin war. Nach der Grundschule, da war sie zwölf, holten sie die Eltern ins mittlerweile ebenfalls fremd gewordene Deutschland zurück. Schon wieder neuer Wechsel, neue Schule, neue Leute, „das war etwas zu viel für mich“. Zuerst sollte sie die Grundschule wiederholen, dann durfte sie doch die Hauptschule besuchen. Auf einem Wirtschaftsgymnasium schaffte sie später ihr Abitur. Eltern, Lehrer, Freunde – alle glaubten zu wissen, was wirklich richtig oder falsch ist, bis sie keinem mehr glaubte, und sich ihre Wertvorstellungen selbst zusammenbastelte. „Ich bin eigensinnig geworden, ich baue Beziehungen nur lose auf, damit jeder jederzeit gehen kann.“
Mit „Türkenproblemen“ konfrontiert zu werden, hängt der studierten Sozialwissenschaftlerin zum Hals heraus. „Ich erfülle alle Klischees“ sagt sie trotzdem. Arbeiterfamilie, strenger Vater. Ihren ersten Freund, einen Türken, musste sie mit achtzehn heiraten, weil ein Freund nicht sein durfte. „Ich habe mich in Deutschland nicht integriert gefühlt“, sagt sie. Sie galt in ihrem badischen Dorf immer als Ausländerin. „Das war ein Kaff, ein Loch.“ Es machte sie wütend, dass „sich ein Depp auf der Straße für etwas Besseres hält, obgleich er weniger über Deutschland weiß als ich“.
Nach zwei Scheidungen, der Trennung von ihrem Freund und Jobverlust versucht sie vor zehn Jahren einen Neuanfang in der Heimat ihrer Eltern. Auszuwandern war seit jeher eine Option. „Ich hatte immer den Gedanken, an meine Biographie anzuknüpfen, die nun mal aus zwei Linien besteht.“ Ich wollte irgendwo dazugehören, aufgehoben sein, sagt sie. „Da war der Gedanke: Wäre ich glücklicher in Istanbul?“
Servus, Bosporus! 2014 reisten zwölf Schüler der Zeitenspiegel-Reportageschule nach Istanbul. Zehn Tage lang recherchierten sie in der türkischen Metropole für ihre Geschichten. Darin wollten sie vor allem die besonderen Beziehungen zwischen Menschen in Istanbul und Deutschland in den Fokus stellen. Aus den Geschichten ist „Servus, Bosporus!“ entstanden, ein Onlinemagazin, in dem sich die Vielfalt der Metropole Istanbul aber auch die Vielfalt journalistischer Erzählformen wieder findet. Einige der Artikel veröffentlichen wir in einer losen Reihe auch im MiGAZIN.“
Was sie fand, war jedoch nicht das Land der Kindheitserinnerungen, sondern Egoismus und Karriereversessenheit. Anfangs war sie unsicher, ob sie bleiben sollte. „Es ist etwas anderes, ob man im Urlaub hier ist oder hier lebt. Ich musste erst herausfinden, wie der Alltag hier funktioniert.“ Zum Beispiel, dass es normal ist, Überstunden zu machen. In der Textilbranche schuftete sie in einer 70-Stunde-Woche bis zur Erschöpfung. „Du musst schon blöd sein, wenn du nach mehr als zwanzig Jahren zurückkommst und hoffst, das vorzufinden, was du verlassen hast. Die Menschen haben sich verändert, die Orte haben sich verändert, alles hat sich verändert. Letztlich ist es dein Inneres, zu dem zu zurückkehren möchtest.“
Aber jetzt fühlt sie sich in Istanbul immer wohler. „Ich begreife jeden Tag deutlicher, warum ich hier bin.“ Für Alev hat die Türkei Deutschland etwas Entscheidendes voraus: Ihre Herkunft ist keine Debatte wert. Welche Last sie auf den Schultern getragen hatte, ist ihr erst in Istanbul aufgegangen. Integriert fühlt sie sich dennoch nicht: „Wenn du einmal anfängst zu migrieren, bist du anders. Ich kann hier nicht einfach im selben Beet eingepflanzt werden.“ Den Wunsch, sich in einem Land heimisch zu fühlen, habe sie abgelegt, sagt sie. „Mein soziales Netz und meine Arbeit sind nun die Heimat.“
Hier geht es zum ersten Teil der Artikelserie: Zurück in die Türkei – Die dritte Identität Aktuell Gesellschaft
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