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Anspruch und Wirklichkeit

Anmerkungen zur Willkommenskultur

Die sogenannte "Willkommenskultur" scheint im Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel eine immer größere Rolle zu spielen - in der Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Doch was ist damit gemeint und wie sieht die Realität aus?

Von Noemi Carrel Montag, 20.01.2014, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 21.01.2014, 23:56 Uhr Lesedauer: 9 Minuten  |  

Jemanden „willkommen heißen“ umschreibt eine freundliche Art, jemanden zu begrüßen, zu empfangen oder aufzunehmen. Entsprechend kann „Willkommenskultur“ als eine Art der Begrüßung und des Aufnehmens verstanden werden, die zum Ausdruck bringt, dass die empfangenen Personen erwünscht sind. Diese Interpretation des Begriffs stützt sich vornehmlich auf den Begriff „Willkommen“. Gleichzeitig wird unterstellt, dass „Kultur“ auf eine Verhaltensweise oder die Art der Umsetzung verweist. Geprägt wird der Begriff insbesondere durch seine Verwendung in politischen und wirtschaftlichen Debatten, seine Präsenz in den Medien sowie die Bestrebungen von Behörden, sich zu „öffnen“.

Mit der Forderung nach mehr Willkommenskultur wird das Ziel verfolgt, die Attraktivität eines Landes oder einer bestimmten Region für Zuwanderung zu steigern. Dazu werden im Bereich der Einreise- und Aufenthaltsregelungen, in den Bewilligungs- und Anmeldeprozessen, im Kontakt mit den Behörden und hinsichtlich spezifischer Informations- und Begrüßungsangebote Bestrebungen unternommen, damit sich die zuwandernden Personen erwünscht fühlen.

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In migrationspolitischer und aufenthaltsrechtlicher Hinsicht handelt es sich bei Willkommenskultur mitunter um gesetzliche Bestimmungen und Prozesse, welche die Einreise und den Aufenthalt betreffen. Im Mittelpunkt stehen beispielsweise Rekrutierungsmaßnahmen zur Anwerbung von Fachkräften im Ausland, Regelungen bezüglich Einreise und Aufenthalt, langfristige aufenthaltsrechtliche Perspektiven sowie diesbezügliche Prozesse und Abläufe in den zuständigen Behörden. Diese Regelungen und Prozesse sollen so angepasst werden, dass sie für Zuwanderung attraktiver werden. Beispielsweise soll es Personen im Ausland erleichtert werden, sich über Einreise- und Aufenthaltsbedingungen im Zielland zu informieren. Es werden gesetzliche Hürden für die anvisierte Zuwanderung gesenkt oder Wege zur Erleichterung der Behördengänge gesucht, etwa indem bürokratische Abläufe gestrafft und übersichtlicher gestaltet werden. Personen sollen aufgrund der Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen oder aufgrund des Kontakts mit den Behörden nicht von einem Migrationsentscheid zurückschrecken. Im Gegenteil: Durch die Maßnahmen soll die zuwandernde Bevölkerung davon überzeugt werden, dass sie willkommen ist. 1

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Willkommenskultur wird auch als eine besondere Art des „Umgangs mit Vielfalt“ verstanden, sie verweist auf die Art und Weise, wie (neu) zugezogenen Personen begegnet wird. Dies schließt die Ansprache und die Verhaltensweise gegenüber der ansässigen Migrationsbevölkerung mit ein. Der Versuch, Willkommenskultur in Behörden oder in Unternehmen zu verankern, äußert sich unter anderem in Maßnahmen zur Sensibilisierung des Personals im Umgang mit Vielfalt oder zur Repräsentation der Bevölkerungsvielfalt im Personalbestand. Entsprechende Schritte wurden bereits im Rahmen interkultureller und institutioneller Öffnungen oder unter dem Leitbild Diversity Management diskutiert. Willkommenskultur ist demnach nicht als grundsätzlich neuer Ansatz zu verstehen, vielmehr hat der Begriff den bestehenden Forderungen neue Kraft verliehen. Er bezieht sich auf das Ziel, den Umgang mit Vielfalt in der Gesellschaft und damit die Teilnahme der Bevölkerung an der Gesellschaft zu verbessern. 2

Um neu zugezogenen Personen die Orientierung in der neuen Umgebung und die Teilnahme an der Gesellschaft zu erleichtern, werden in den zuständigen behördlichen Stellen verschiedene Maßnahmen umgesetzt. So werden beispielsweise die Informationsangebote mithilfe von Broschüren, Internetseiten oder mit dem Aufbau von spezifischen Anlaufstellen, die Beratungsgespräche anbieten, ausgebaut. Weitere Angebote sind etwa Begrüßungsanlässe und Begegnungsorte, die geschaffen werden. Dabei können zudem Kontaktmöglichkeiten mit der lokalen Bevölkerung angeboten oder Teilnahmemöglichkeiten, etwa bei der Vereins- und Quartiersarbeit, aufgezeigt werden. Zielpublikum dieser Maßnahmen sind zumeist neu zugezogene Personen. Teilweise werden die Angebote aber auch im Sinne der Willkommenskultur für die gesamte Bevölkerung geöffnet.

International werden diese Formen der Informations- und Begrüßungsarbeit, insbesondere in Bezug auf hoch qualifizierte Arbeitnehmer, in Unternehmen wie auch in Behörden seit vielen Jahren angeboten. Ein viel zitiertes Beispiel sind die sogenannten Welcome Centers in Kanada. 3 Aber auch in deutschsprachigen Ländern sind entsprechende Bestrebungen bereits verbreitet. So finden in Basel (Schweiz) seit Jahren Begrüßungsveranstaltungen für neu zugezogene Personen statt: Neben Stadtrundgängen wird durch Quartiersanlässe gezielt Raum für die Begegnung mit der lokalen Bevölkerung geschaffen. Dabei wird auch die Gelegenheit genutzt, um die anwesenden Personen über Aktivitätsmöglichkeiten im Quartier zu informieren. 4 Diese Bestrebungen sind nicht erst mit der Forderung nach einer Willkommenskultur entstanden, stellen aber Beispiele für eine mögliche Umsetzung dar.

Fachkräftemangel als Motor
In Deutschland fand der Begriff Willkommenskultur in erster Linie im Zusammenhang mit der Feststellung, dass ein bedeutender Mangel an Fachkräften droht, Einzug in die politischen Debatten. Deutschland ist ein demografisch alterndes Land, weshalb die Bevölkerung ohne eine ausreichende Zuwanderung schrumpfen wird. Dies trifft besonders auf die Erwerbsbevölkerung zu. Die demografischen Entwicklungen und der Umstand, dass bereits in verschiedenen Branchen ein Fachkräftemangel besteht, haben auf die hohe Relevanz der aktuellen und zukünftigen Sicherung der benötigten Fachkräfte zur Aufrechterhaltung einer gesunden Wirtschaft aufmerksam gemacht. 5

Um dem aktuellen und zukünftigen Fachkräftemangel entgegenzuwirken, ist man in Deutschland daher bestrebt, neben der gezielten Ausschöpfung des bestehenden Potenzials durch Erhöhung der Erwerbsbeteiligung und der Qualifizierung der Erwerbsbevölkerung auch die Zuwanderung zu fördern. Doch die niedrigen Einwanderungsraten in den Jahren 2008 und 2009 verdeutlichen, dass eine ausreichende Zuwanderung nicht selbstverständlich ist. 6 Dies wird auch durch die Tatsache unterstrichen, dass Deutschland nur eines von vielen Ländern innerhalb der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist, die im Kontext einer alternden Bevölkerung um Zuwanderer wirbt. 7 Deutschland ist insofern bestrebt, sich im internationalen Wettbewerb um Arbeitskräfte neu zu positionieren. Insgesamt soll daher die Attraktivität Deutschlands für Fachkräfte gesteigert werden. Der Ruf nach einer Willkommenskultur bezieht sich auf diese Zielsetzung und ist mittlerweile fester Baustein migrations- und integrationspolitischer Debatten.

So wurde neben der Umsetzung von EU-Richtlinien für Ausländer mit spezifischer beruflicher Qualifikation (wie etwa das Berufsanerkennungsgesetz und die Einführung der „Blauen Karte“ 8 ) die Beschäftigungsverordnung neu geregelt. Die Verordnung ist seit Juli 2013 in Kraft und ermöglicht die Einreise für (nicht-akademische) Fachkräfte mit Berufsabschluss aus Drittstaaten. Voraussetzung für die Zuwanderung ist ein der deutschen Berufsausbildung gleichwertiger Ausbildungsabschluss. Außerdem muss ein Fachkräftebedarf in dem jeweiligen Bereich bestehen. Eine entsprechende Bedarfsanalyse wird von der Bundesagentur für Arbeit vorgenommen und in einer Liste zu Berufen, Branchen und Regionen festgehalten. 9

  1. Vgl. die Beiträge von Klaus J. Bade und Ullrich Kober/Rita Süssmuth in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Deutschland, öffne dich!, Gütersloh 2012; Bundesregierung (Hrsg.), Neunter Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland, Berlin 2012; Sachverständigenrat deutscher Stiftung für Integration und Migration (SVR) (Hrsg.), Erfolgsfall Europa?, Berlin 2013.
  2. Vgl. den Beitrag von Hans Schammann/Nikolas Kretzschmar/Robert Gölz in: Bertelsmann Stiftung (Anm. 1); Andreas Merx et al., Willkommenskultur (und Anerkennungskultur), München 2013.
  3. Vgl. Orkan Kösemens Beitrag in: Bertelsmann Stiftung (Anm. 1).
  4. Vgl. Kantons- und Stadtentwicklung Basel-Stadt (4.10.2013).
  5. Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) (Hrsg.), Fachkräftesicherung, Berlin 2011; U. Kober/R. Süssmuth (Anm. 1); SVR (Anm. 1).
  6. Vgl. BMAS (Anm. 5); Neunter Bericht (Anm. 1); Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Bevölkerungsstand und -entwicklung in Deutschland, 1960–2060, August 2013; ders. (Hrsg.), Einwanderungsgesellschaft 2010, Berlin 2010.
  7. Vgl. OECD (Hrsg.), Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte: Deutschland, Paris 2013; dies. (Hrsg.), International Migration Outlook 2013, Paris 2013.
  8. Die Blaue Karte erlaubt den Zuzug und die Arbeitsaufnahme für hoch qualifizierte Personen aus Nicht-EU-Staaten (sogenannte Drittstaaten) ohne komplizierte Verfahren. Bedingung ist ein abgeschlossenes Hochschulstudium und ein Mindestjahresgehalt von rund 45.000 Euro. Vgl. Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Migration und Integration, Zuwanderung, Arbeitsmigration, 2013 (9.10.2013).
  9. Vgl. Bundesregierung (Hrsg.), Zuwanderung von Facharbeitern erleichtern, 2013 (8.10.2013).
Aktuell Meinung

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