NSU-Untersuchungsausschuss
Lückenhafte Aufklärung
Der NSU-Untersuchungsausschuss hat seinen Abschlussbericht vorgelegt und die Arbeit für beendet erklärt. In der Öffentlichkeit wurde die Arbeit des Ausschusses hoch gelobt. Gemessen am Auftrag fällt unsere Bilanz allerdings negativ aus.
Von Felix Hansen & Eike Sanders Montag, 11.11.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 14.11.2013, 13:46 Uhr Lesedauer: 8 Minuten |
„Der Untersuchungsausschuss soll sich ein Gesamtbild verschaffen zur Terrorgruppe ‚Nationalsozialistischer Untergrund’, ihren Mitgliedern und Taten, ihrem Umfeld und ihren Unterstützern sowie dazu, warum aus ihren Reihen so lange unerkannt schwerste Straftaten begangen werden konnten. Auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse soll [er] Schlussfolgerungen für Struktur, Zusammenarbeit, Befugnisse und Qualifizierung der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden und für eine effektive Bekämpfung des Rechtsextremismus ziehen und Empfehlungen aussprechen.“ Nur ein Untersuchungsausschuss (UA) könne „Zeugen unter Wahrheitspflicht vorladen und zur Aussage zwingen“, so heißt es in einem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen im Bundestag zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses vom 24. Januar 2012.
Von einer Aufarbeitung oder gar lückenlosen Aufklärung der NSU-Mordserie kann jedoch keine Rede sein. Auch die Ombudsfrau für die Opfer des NSU, Barbara John, erklärte, die Aufklärung sei „gescheitert“. Die zentralen Fragen, beispielsweise wer der NSU und sein Netzwerk wirklich war oder warum Akten nach dem Auffliegen des NSU geschreddert wurden, sind weiterhin völlig ungeklärt. Auch schwerwiegende Zweifel an der Darstellung der Behörden, es habe kein Verschweigen, keine Vertuschung und keine direkte oder indirekte Unterstützung gegeben, konnten nicht überzeugend ausgeräumt werden.
Keine Anhaltspunkte für die große Verschwörung gefunden
Detailliert werden auf den 1.400 Seiten die Koordinationsmängel, die Fehler, die Unterlassungen, die falschen Ermittlungsansätze seziert und kritisiert. Der Vorsitzende des UA, Sebastian Edathy (SPD), sprach zusammenfassend von einem „massiven Behördenversagen“. Stehen bleibt allerdings auch, dass sich hohe politische Verantwortliche freigesprochen fühlen können. So betonte Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am 22. August 2013 vor der Presse: „Der Bericht bestätigt ausdrücklich, dass deutsche Sicherheitsbehörden die Mordserie des NSU nicht gedeckt haben oder gar in diese verwickelt waren.“ Denn als Ergebnis hält der UA fest, dass „sich keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass irgendeine Behörde an den Straftaten“ des NSU „in irgendeiner Art und Weise beteiligt war, diese unterstützte oder billigte“. Auch gäbe es keine Anhaltspunkte dafür, „dass vor dem 4. November 2011 irgendeine Behörde Kenntnis gehabt hätte“ vom NSU oder seinen Taten oder ihn dabei „unterstützt hätte, sich dem Zugriff der Ermittlungsbehörden zu entziehen“. Auch für den Verdacht, Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe oder „einer der vier anderen Angeklagten vor dem OLG München“ (André E., Holger G., Carsten S. und Ralf Wohlleben) sei V-Person gewesen, habe man keine Anhaltspunkte finden können.
Hier folgt der UA der Anklage der Generalbundesanwaltschaft und reduziert den NSU auf drei Personen plus vier (mutmaßliche) Helfer. Nimmt man aber eine ausgedehntere Definition des NSU als Netzwerk und rechnet beispielsweise Tino Brandt, Thomas Starke, Thomas Richter, Kai Dalek, oder Juliane W. dazu, dann ergeben sich ganz neue „Anhaltspunkte“ für die Mitwisserschaft und Mitschuld einzelner Ämter.
„…konnte nicht geklärt werden“
Und so sollte bei allen wertvollen Erkenntnissen auch nicht unterschlagen werden, dass das Nichtfinden von Anhaltspunkten nicht der Gegenbeweis sein kann. In allzu vielen Passagen kommt der Abschlussbericht nach der Darstellung von widersprüchlichen Aussagen verschiedener Ämter zu der Aussage, dass der Sachverhalt „nicht geklärt werden“ konnte.
Nun werden wohl die Aktendeckel über den vielen Ungereimtheiten geschlossen. Schredder-Aktionen wenige Tage nach Auffliegen des NSU werden zwar explizit scharf kritisiert, aber sie bleiben letztendlich unaufgeklärt und konsequenzenlos.
Doch wie hätte es anders sein können? Erinnert sei an den wohl meist gehörten Satz aus dem Mund von Mitarbeiter_innen der verschiedenen Dienste – „dies ist mir nicht erinnerlich“ – in den über 100 oft stundenlangen Zeug_innenvernehmungen. Mit dieser Strategie des Nicht-Erinnern-Wollens kamen die Zeug_innen auch meist glimpflich durch ihre Vernehmung. Zwar skandalisierten die Ausschussmitglieder danach vor den Fernsehkameras und Mikrofonen der Presse, welche Ungeheuerlichkeiten, Erinnerungslücken und Ungereimtheiten ihnen gerade präsentiert worden waren und wie unkooperativ sich die Behörden zeigten. Doch Konsequenzen, ob strafrechtliche, politische oder strukturelle, hatte dieses systematische Verschweigen und Verschleppen bis heute nicht. Zwar ist eine zentrale Forderung der Parteien im Abschlussbericht die Stärkung der parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste. Doch als Praxis hat sich im UA gezeigt, dass die Dienste ihren Kontrolleur_innen nur das weitergeben, was sie weitergeben wollen.
Wertvolle Einblicke
Zu behaupten, der Versuch einer staatlichen Aufklärung sei ohne Ergebnis geblieben, wäre dennoch falsch. So weit wie nie zuvor mussten die sogenannten Sicherheitsbehörden Einblick in ihre Arbeitsweise zum Thema Rechtsterrorismus und Neonazismus geben. Dabei zeigte sich, dass das Wissen der Ämter nicht nur mangelhaft war und ist, sondern auch allzu oft von wenigen V-Leuten abhängt und in Regionen und Strukturen ohne V-Leute schlicht nicht existiert.
Linktipp: Informationen zum Antifaschismus finden Sie bei LOTTA, eine ehrenamtlich betriebene, nicht-kommerzielle Zeitschrift aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen, gegründet 1999. Die Redaktion betreibt außerdem den Blog „NRW rechtsaußen„
Der Bericht kritisiert deutlich, wie durchsetzt die Naziszene mit V-Leuten ist – und wie abhängig die Behörden von ihren sogenannten Quellen sind. Doch auch hier bleiben die meisten Fragen offen. Ob der Bericht es schaffen wird, das Dogma des Quellenschutzes in den Geheimdiensten überhaupt nur anzukratzen, geschweige denn verbindliche Richtlinien in den Ämtern durchzusetzen, ist noch ungewiss. Der Einblick in die Arbeitsweise der Ämter macht deutlich, dass der Quellenschutz, unter dem Mantel des „Schutzes des Staatswohles“, wichtiger ist als die Aufklärung von Morden – und damit potenziell wichtiger als die Verhinderung weiterer.
Im sehr lesenswerten Bericht der Türkischen Gemeinde in Deutschland wird dieses V-Leute-System als „rechtsfreier Ausnahmezustand“ analysiert, und die jetzigen Umstrukturierungen der Ämter werden scharf kritisiert. Man wolle „eine „Sicherheitsarchitektur“ schaffen, die den Verfassungsschutz mit seinem „heiligen“ Kern, der zentralen Stellung des Bundesamtes und der – de facto – Unantastbarkeit der V-Leute absichert. Konsequenterweise fordern sowohl die Türkische Gemeinde als auch Die Linke, den VS abzuschaffen, Die Grünen wollen immerhin ein Moratorium zur generellen Abschaltung der V-Leute. Aktuell Meinung
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Hat der deutsche Staat nicht die Aufgabe alle Menschen zu beschützen? Müssen jetzt alle Ausländer, hauptsächlich die türkischen, in Angst leben?
@ deutscher staatsbürger
Jawohl, so ist es. Das Problem ist ja auch gar nicht so neu. Seit der Wende schwappt der fanatische Nationalismus von Osten nach Westen über. Ich habe kürzlich ein Arbeitsangebot im Osten erhalten, aber dankend abgelehnt, denn niemand kann mir versichern, daß ich oder meine Familie dort sicher sind. Ich war beruflich bereits öfters dort und was ich in der Kürze der paar Lebensausschnitte alles erleben musste, führte mir sehr deutlich vor Augen, wie stark die Ablehnung im Allgemeinen gegen alles, aber wirklich alles Fremde ist.
Der Staat ist die Summe seiner Menschen (vertreten in den drei Gewalten: Exekutive, Legislative und Judikative) und eben genau dieses Resultat offenbart sich wie ein roter Faden durch die gesamte deutsche Politik (denn die Politik wird ja bekanntlich von diesen Menschen manipuliert). Türken werden niemals ein vollwertiger Teil dieser Gesellschaft sein, weil es keine ernsthaften Bemühungen dieses Staates und der Gesellschaft gibt, diese nach Jahrzehnten als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft anzuerkennen. Der Deutsche glaubt ja schon, er sei tolerant und weltoffen, wenn er ab und zu mal einen Döner ist oder mal Urlaub in der Türkei macht.
Bezüglich des UA habe ich nichts anderes als dieses Ergebnis bereits im Vorfeld erwartet. Dieses Land wird niemals meine Heimat sein, und wenn ich hundert Jahre hier lebte, weil mich die Gesellschaft nicht als das akzeptiert, was ich bin. Ich bin in erster Linie immer ein Türke für die und ein Muslim noch dazu. Blicke, latente Sprüche sowie Körpersprache verdeutlichen mir das immer wieder aufs Neue.