Doppelte Staatsbürgerschaft

Friedrichs Doppelmoral, seine Ewiggestrigkeit und seine Ängste

Während die Koalitionsgespräche um die doppelte Staatsbürgerschaft weitergehen, offenbart Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, worum es ihm in dieser Frage geht: Assimilation! Sonst könnte die Identität der deutschen Gesellschaft verändert werden.

Von Samstag, 09.11.2013, 14:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 14.11.2013, 13:46 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Im Zuge der aktuell laufenden Koalitionsverhandlungen der Unionsparteien mit der SPD bekräftigte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Mittwoch seine Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft mit folgender Begründung: „Wenn wir Millionen von Menschen die doppelte Staatsbürgerschaft geben, die sie weitervererben, werden wir eine dauerhafte türkische Minderheit in Deutschland haben. Dies bedeute eine „langfristige Veränderung der Identität der deutschen Gesellschaft“.

Friedrichs Äußerung ist von drei Wunschdenken geprägt: 1. Er geht von der irrigen Annahme aus, die „deutsche Gesellschaft“ sei homogen, (2.) deren Identitätsveränderung verhindert werden müsse (3.) dadurch, dass Minderheiten – Friedrich nennt nur die Türken – nicht nur ihre Staatsbürgerschaft, sondern auch ihre Sprache, Identität, Bräuche und Sitten ablegen, sich also assimilieren. Andernfalls wäre eine Veränderung der „deutschen Gesellschaft“, allein schon aufgrund des Zusammenlebens, des selbstverständlichen gegenseitigen Prägens und Veränderns, unumgänglich.

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An dieser Stelle lohnt sich ein Blick auf die Politik Deutschlands in Bezug auf die deutschen Minderheiten im Ausland: Anlässlich der Amtseinführung Christoph Bergners zum „Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten“ im Jahr 2006 sagte der ehemalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) einen entscheidenden Satz: „Die Qualität einer freiheitlichen Gesellschaft bewährt sich nicht zuletzt darin, wie mit Minderheiten umgegangen wird und wie sich Minderheiten in einer Gesellschaft fühlen.“

Auf der Tagung „Zwei Jahrzehnte Politik für Aussiedler und nationale Minderheiten – Bilanz und Perspektiven“ im Jahr 2008 griff Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Schäubles Zitat vor Vertretern deutscher Minderheiten aus dem Ausland auf und konkretisierte es: „Es geht darum, dass sie sich gut fühlen“. Merkel weiter: „So, wie wir mit den Minderheiten umgehen, die bei uns leben, so erwarten wir auch, dass Titularnationen mit den deutschen Minderheiten umgehen. Das heißt, wir stellen nicht nur Forderungen an andere, sondern wir zeigen auch, dass Toleranz und Teilhabe gelebte Normalität in Deutschland sind.“

Aufgabe des Beauftragten Bergner sei es, deutsche Minderheiten im Ausland dabei zu unterstützen, ihre kulturelle Identität, ihre Sprache und Traditionen, Sitten und Bräuche zu bewahren. In vielen Ländern stoße diese Unterstützung auf Skepsis, doch habe man „einen klaren Kompass, nämlich dass es unser Recht und unsere Pflicht ist, diese Minderheiten auch außerhalb Deutschlands zu unterstützten“, unterstrich Merkel und betonte die Bedeutung der Jugend. Denn die Verbundenheit zu Deutschland müsse „von Generation zu Generation nach vorne gebracht werden“. Deshalb, so die Kanzlerin weiter, „ist es auch so schön, dass hier junge Leute sind. Denn diese Verbundenheit zu pflegen, bleibt auch für die nächsten Jahrzehnte eine Verantwortung; das will ich ausdrücklich sagen.“

Daran anknüpfend begrüßte Wolfgang Schäuble – damals Bundesinnenminister – in seiner Rede die 30 Teilnehmer der Jugend deutscher Minderheiten und stellte die rhetorische Frage auf, „ob es in 20 Jahren noch lebendige deutsche Minderheiten in den Herkunftsgebieten geben wird“. Wenig später stellten die Jugendlichen die Ergebnisse ihres Workshops vor unter dem Titel: „Die Jugend als künftige Identitätsträger.“

Kurz: Die Bundesregierung arbeitet seit 25 Jahren aktiv an der Wahrung der kulturellen Identität, der Sprache, der Sitten und Bräuche der im Ausland lebenden Deutschen und hat in diesem Zeitraum dafür über eine Milliarde Euro ausgegeben. Ziel ist „das Bekenntnis zur eigenen kulturellen Identität“, wie es die Bundeskanzlerin formulierte.

Kommen wir zurück zu Friedrich: Seine Weltvorstellung in Bezug auf Minderheiten in Deutschland steht zur aufgeführten deutschen Politik zum Schutz der deutschen Identität der im Ausland lebenden deutschen Minderheiten nicht nur im krassen Widerspruch, sondern bringt auch seine Doppelmoral ungeheuerlichen Ausmaßes zum Vorschein, wenn man bedenkt, dass der Beauftragte für deutsche Minderheiten im Ausland dem Bundesinnenministerium, also Friedrich, untersteht.

Gemessen an Schäubles Worten zieht Friedrich die Qualität der hiesigen Freiheitlichkeit ins Bodenlose. Ob sich Minderheiten mit so einem Minister „gut fühlen“ können, wie es Merkel formulierte, darf jedenfalls bezweifelt werden – ein Minister, der die Integrationspolitik Deutschlands federführend gestaltet, das Staatsangehörigkeitsgesetz zum Instrument seiner Assimilationspolitik macht und fremde Identitäten als kollektive Bedrohung wahrnimmt. Aber nicht nur das: Friedrichs Zitat offenbart neben seiner Doppelmoral und seiner Ewiggestrigkeit, auch die Unvereinbarkeit seiner Weltvorstellung mit elementarsten Artikeln des Grundgesetzes, die ja mit gutem Grund so formuliert wurden.

Fazit: Die Frage nach einer Entlas(s/t)ung des Bundesinnenministers stellt sich dringender denn je, wenn Merkel möchte, dass sich Minderheiten in Deutschland „gut fühlen“. Das täte nicht nur dem Minister gut, sondern vor allem Millionen Menschen, die mit ihrer Kultur, ihrer Identität und ihrer Sprache Deutschland seit über einem halben Jahrhundert bereichern und dies gerne auch künftig tun würden. Leitartikel Meinung

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  1. Cengiz K sagt:

    Wulff musste einvernehmlich gehen, als er sagte, dass „der Islam inzwischen auch zu Deutschland“ gehöre; ein Vorwand war auch schnell gefunden, damit „Deutschlands Ansehen im Ausland keinen Schaden“ erleide.. Man/frau muss sich die Gegensätzlichkeit beider Herren Aussagen anschauen, und die personalpolitischen Konsequenzen, die sich daraus ableiteten… Friedrich verteidigt seinen Posten nach alter deutscher Art: „Ich habe nur Befehle ausgeführt!“
    Der Fisch stinkt vom Kopfe her..

  2. trauma sagt:

    ich finde es immer wieder erstaunlich, das die deutschen minderheiten im ausland die in zusammen hängenden gebieten leben.(die sie auch urbar gemacht haben zb siebenbürgen)
    mit den über dem ganzen land verstreuten türkischen einwanderen verglichen werden.

  3. Tammox sagt:

    Sehr geehrter Ekrem Şenol!

    Glückwunsch zu diesem hervorragenden Artikel!
    Die Frage ist natürlich wie weit sich Friedrich mit dieser starr-xenophobischen Sichtweise durchsetzen kann – zumal er ohnehin angeschlagen ist, nachdem er so offensichtlich bei der NSA-Prism-Angelegenheit und dem NSU-Geheimdienstskandal total versagt hat.
    Er dürfte als angeschlagen gelten und selbst in der Union sehen inzwischen einige Politiker ein, daß die bösen Ausländer nicht nur als Bedrohung aufgefasst werden sollten, sondern daß sie Deutschland nutzen, daß man sogar von ihnen abhängig ist.

    Allerdings glaube ich auch, daß Friedrich nicht nur die Stammtische, sondern eine deutliche Majorität der Deutschen auf seiner Seite haben dürfte.

    Ja, so ganz langsam beginnt man zwar einzusehen, daß Einwanderung erstens nicht zu verhindern und zweitens möglicherweise auch noch notwendig ist (Facharbeiter! Altenpfleger! Rentensystem! Demographie!), aber dann sollen sich die Ausländer gefälligst auch ordentlich anstrengen und sich wie echte Musterdeutsche benehmen.
    Kulturelle Vielfalt – Nein Danke. Assimilation schwebt den deutschen Integrationspolitikern vor.

    Ein persönliches Wort zum Schluß: Ich habe auch keine deutsche Staatsbürgerschaft; bin aber von unserem Bürgermeister Olaf Scholz dazu eingeladen worden die Deutsche zu beantragen.

    Zu den bisherigen Problemen, die ich mit diesem Ansinnen hatte (ich möchte erstens meinen alten Pass nicht abgeben und zweitens weiß ich nicht, ob ich die Anforderungen alle erfülle) kommt nun ein Drittes:
    Deutschland wird mir unsympathisch.
    Möchte ich wirklich zu einem Land gehören, das solche Politiker – Friedrich, Schäuble, Merkel (unterstützte 1999 Kochs „Wo kann man hier gegen Ausländer unterschreiben?“-Kampagne) – mit großen Mehrheiten als Regierung wählt?

    LG
    Tammox

  4. dominatorix sagt:

    „werden wir eine dauerhafte türkische Minderheit in Deutschland haben. Dies bedeute eine „langfristige Veränderung der Identität der deutschen Gesellschaft“.“

    hahahahah , der typische deutsche mal wieder .

    unterwürfig und feige nach oben( gegenüber baba obama in washington) , aggressiv und mutig nach unten (die türkische minderheit in deutschland ) […]

  5. Lionel sagt:

    Staatsvolk der BR Deutschland ist nach dem GG und der entsprechenden Rechtsprechung des BVerfG das deutsche Volk.
    Ist denn die Vorstellung so abwegig, dass mit der generellen Anerkennung der doppelten Staatsbürgerschaft, die türkische Minderheit quasi zu einem weiteren Staatsvolk werden könnte?

  6. Pingback: Publikative.org » Blog Archive » Friedrichs Doppelmoral und seine Ewiggestrigkeit

  7. deutscher staatsbürger sagt:

    Wer ist das deutsche Volk? Gibt es überhaupt ein deutsches Volk?

    Herr Friedrich ist überhaupt nicht friedrich unterwegs. Dass Innenminister leicht aggressiv sind ist überall gleich aber so langsam muss sich das so genannte deutsche Volk schämen. Für Menschen ist so eine kognitive dissonanz auch gar nicht gesund. Für seine und unsere Gesundheit wäre es sehr angebracht, wenn die Liebe Mama Frau Merkel ihm ihr vollstes vertrauen ausspricht. Höchste Zeit für einen echten alle Menschen umarmenden und alle Menschen beschützenden Innenminister.

    Für ein angstfreies zusammenleben aller Menschen in Deutschland ohne Assimilation.

  8. Pingback: Hinweise des Tages | NachDenkSeiten – Die kritische Website

  9. Matthias sagt:

    Der Vergleich zwischen einer großen in Deutschland vertretenen Community und den kleinen Siedlungen deutscher Nachfahren in der Welt hinkt gewaltig!

    Ich glaube allerdings, dass die Mehrheit der Deutschen gegen die doppelte Staatsangehörigkeit im Grundsatz ist, warum auch immer.

    Assimilation ist m.E. vom Autor in die Aussage von Friedrich hineininterpretiert. Er sagt klar seine Meinung und nennt speziell die türkische Bevölkerung in Deutschland. Ich sehe da keine Doppelmoral und die „Ewiggestrigkeit“ kann ich da auch nicht erkennen.

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