Profs mit Migrationshintergrund

Ihre Herkunft macht sie begehrt

Professoren mit Migrationshintergrund bringen weltweite Kontakte mit, mehrere Sprachen und ein globales Forschungsinteresse. Sie bereichern die Hochschulen durch ihre Internationalität. Doch ihr Potenzial wird noch zu wenig genutzt. Erstmals sind ihre Karriereverläufe in einer Studie erfasst worden.

Von Tina Bauer Donnerstag, 07.11.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:44 Uhr Lesedauer: 9 Minuten  |  

Sie ist in der Türkei geboren und hat dort studiert. Promoviert hat sie in Kanada, geforscht und gelehrt in Irland. Jetzt ist Dr. Gökçe Yurdakul Professorin in Berlin. „Ich bin kosmopolitisch“, sagt sie. In der Hochschulstatistik ist sie als Deutsche erfasst, Yurdakul hat die deutsche Staatsbürgerschaft. „Dabei sind deutsche Hochschulen durch Personen wie Gökçe Yurdakul und andere deutsche Professoren mit ausländischer Herkunft internationaler als vermutet. Diese verschwinden aber aus der amtlichen Statistik“, sagt Prof. Dr. Aylâ Neusel, Forscherin am Hochschulforschungszentrum Incher (International Centre for Higher Education Research) in Kassel. „Mit unserer Studie können wir das jetzt belegen. Und ich bin selbst positiv überrascht: Es sind noch viel mehr, als wir gehofft und geahnt hatten.“

„Hochqualifizierte identifizieren sich nicht mit Migrationshintergrund.“

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Erstmals sind unter ihrer und der Leitung von Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Andrä Wolter von der Humboldt-Universität Berlin Karriereverläufe und Karrierebedingungen von Professoren mit jetziger oder früherer ausländische Staatsbürgerschaft untersucht worden (s. Infokasten). Das fand zunächst als Pilotprojekt in Berlin und Hessen statt. Die Forscher sprechen von internationalen Professoren. „Den Begriff haben wir in Anlehnung an die Bezeichnung `Menschen mit Migrationshintergrund` des Mikrozensus für diese Untersuchung neu konstruiert“, erläutert Neusel. „Hochqualifizierte identifizieren sich nicht mit Migrationshintergrund.“ Denn bei dem Begriff Migrant schwingt das Vorurteil eines niedrigen Bildungsniveaus mit. Es gibt erst wenige Studien, die sich mit Migranten in der Wissenschaft befassen. „Inzwischen ist die Diskussion sicher weiter fortgeschritten“, sagt Neusel. „Vielleicht können wir bei der nächsten Studie offensiv von Professoren mit Migrationshintergrund sprechen.“

Gökçe Yurdakul
Die Sozialwissenschaftlerin ist Professorin an der Humboldt- Universität (HU) Berlin. Sie ist in Istanbul geboren und hat in der Türkei studiert. Ihre Promotion absolvierte sie in Toronto und arbeitete anschließend in Dublin und Kanada, bis sie eine Postdoc-Stelle an der Freien Uni Berlin erhielt.

„Seit 2001 bin ich zwischen zwei Ländern zuhause: Deutschland und Kanada. Eine große Rolle für meine Berufung an die Humboldt-Universität spielte sicherlich meine türkische Herkunft und meine Erfahrungen in Kanada. Die HU hat sich, wie andere deutsche Universitäten auch, auf die Fahnen geschrieben, kosmopolitischer zu werden. Ich bringe ein internationales Netzwerk mit, lade Kollegen an die Humboldt-Universität ein und weiß, wie ich in einem sozialen Umfeld mit internationalen Kollegen und Studierenden umgehen muss.“

Die Professoren mit ausländischer Herkunft für die Studie ausfindig zu machen, war die berühmte Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Denn die Hochschulen erfassen wie bei Gökçe Yurdakul nicht die Staatsangehörigkeit bei Geburt. Doch rund die Hälfte der in der Studie erfassten Personen hat mittlerweile einen deutschen Pass. Auch am Namen erkennt man die Herkunft nicht immer. Wie bei Claudia Brincker-von der Heyde. Die Germanistin ist Professorin und Vizepräsidentin der Uni Kassel. In Deutschland geboren, ging sie als junge Frau in die Schweiz. Sie nahm die Schweizer Staatsbürgerschaft an und kehrte als Schweizerin zurück an eine deutsche Hochschule.

Für die Studie von Neusel und Wolter sind 203 Fragebögen ausgewertet worden. Der duz liegen erste Zahlen vor. Eine Veröffentlichung ist für 2014 geplant. Befragt wurden hauptamtlich tätige Professoren und Juniorprofessoren. 71 Prozent arbeiten an einer Universität, 21 Prozent an einer Fachhochschule und acht Prozent an einer Kunst- oder Musikhochschule. Die meisten sind Mathematik- und Naturwissenschaftler (29 Prozent), etwa ein Fünftel sind Sprach- und Kulturwissenschaftler.

„Ich bezeichne mich als Deutscher plus aufgrund meiner Herkunft.“

Insgesamt sind die Professoren mit Migrationshintergrund verhältnismäßig jung. Mehr als die Hälfte (54,6 Prozent) sind zwischen 41 und 55 Jahre alt. Mit 34 Prozent sind bemerkenswert viele Frauen unter ihnen. Das ist sehr viel, liegt der Frauenanteil von Professoren in Deutschland insgesamt laut Statistischem Bundesamt bei rund 20 Prozent. Und sie kommen vor allem aus Europa. „Zumindest sind sie dort geboren“, erläutert Wolter. „Über ihre Herkunft sagt das letztlich nichts aus.“ Denn ihre Eltern können Einwanderer von anderen Kontinenten sein. So wie bei Prof. Dr. Joybrato Mukherjee. Der Professor für englische Sprachwissenschaften und Präsident der Universität Gießen stammt aus Indien. „Bis zum meinem 18. Lebensjahr hatte ich die indische Staatsbürgerschaft, habe mich dann aber für die deutsche entschieden“, sagt Mukherjee. „Ich fühle mich als Deutscher, bin hier geboren und aufgewachsen und fühle mich in der deutschen Sprache am wohlsten.“ Jedoch sei er eben ein „Deutscher plus“ – mit zusätzlichen, herkunftsbedingten Erfahrungen. „Ich bin familiär stark indisch geprägt, gehöre dem hinduistischen Glauben an und sehe nicht typisch deutsch aus“, sagt Mukherjee.

Karim Khakzar
Der Professor für Elektrotechnik ist seit 2008 Präsident der Hochschule Fulda. Geboren ist Khakzar in Stuttgart als Sohn einer Schwäbin und eines Iraners. Als Achtjähriger zog er mit seiner Familie nach Teheran, wo er auf eine deutsche Schule ging. Abitur und Studium absolvierte er in Stuttgart. Dort promovierte er auch. Anschließend arbeitete er unter anderem in Belgien.

„Wir haben einen sehr hohen Anteil (rund 15 Prozent) ausländischer Studierender an der Hochschule Fulda. Möglicherweise wirkt es sich positiv aus, wenn der Präsident einen nicht-deutschen Namen hat. Aufgrund meiner Herkunft, aufgewachsen in einer bikulturellen Familie, kann ich mich gut in unsere internationalen Studierenden hineinversetzen und weiß, welchen Herausforderungen sie sich in einer fremden Kultur stellen müssen. Ich habe sicherlich auch eine Vorbildfunktion.“

Für die Wissenschaftler um Neusel und Wolter bestand die Herausforderung darin, die extrem heterogene Gruppe von internationalen Professoren mit Migrationshintergrund an deutschen Hochschulen zu kategorisieren, um Rückschlüsse ziehen zu können. „Es ist absolut spannende Arbeit“, sagt Wolter, „hinter jedem Fall kann sich eine völlig andere Mobilitätsgeschichte verbergen“. Sechs Mobilitätstypen wurden ausgearbeitet. „Bemerkenswert ist, dass 36 Prozent schon früh das deutsche Bildungssystem kennengelernt haben, das heißt in Deutschland zur Schule gegangen sind“, sagt Neusel. Die Hälfte aber ist erst mit dem Eintritt ins Berufsleben auf dem deutschen Arbeitsmarkt präsent. Sie kamen als Postdocs oder erst mit der Berufung nach Deutschland.

Die zunehmende Internationalisierung des Wissenschaftssystems hat Einfluss auf die Rekrutierung des wissenschaftlichen Personals. Denn die Herkunft eines Professors birgt Potenzial. Die internationalen Profs bieten den Hochschulen einen Mehrwert. Nach eigener Einschätzung laut Umfrage von Neusel und Kollegen liegt ihr Potenzial in der Kenntnis unterschiedlicher Hochschul- und Wissenschaftskulturen (86 Prozent), in internationalen Kontakten und Netzwerken (83 Prozent) und internationalen Forschungsaktivitäten (73 Prozent). „Aufgrund meines bikulturellen Hintergrunds habe ich viele Erfahrungen machen können, die ich insbesondere bei der Internationalisierung der Hochschule einbringen kann“, sagt beispielsweise Prof. Dr. Karim Khakzar. Der Präsident der Hochschule Fulda ist Kind einer Schwäbin und eines Iraners. „Ich profitiere davon, zwei Religionen zu kennen, zwei Sprachen zu sprechen und zwei Kulturen zu erleben“, sagt er. „Dadurch habe ich wenige Berührungsängste mit fremden Kulturen und Gepflogenheiten und finde meist schnell einen guten Draht zu unseren internationalen Studierenden.“ Gesellschaft Leitartikel Studien

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