Kausalität der Dinge
Menschenschmuggel ist eine Reaktion auf Grenzkontrollen, nicht die Ursache der Migration
Maßnahmen zur Bekämpfung illegaler Migration sind zum Scheitern verurteilt, weil sie eben zu den Ursachen des Phänomens gehören, das sie behaupten zu bekämpfen, ist Hein de Haas, Co-Director des International Migration Institute an der Oxford Universität, überzeugt.
Von Hein de Haas Montag, 28.10.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 04.11.2013, 9:50 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die Katastrophe des Untergangs eines Bootes am 3. Oktober vor der Küste von Lampedusa, die Hunderten von Flüchtlingen und Migranten das Leben kostete, hat bei Regierungen und internationalen Organisationen bereits zu Forderungen nach einem härteren “Durchgreifen gegen Schmuggel” geführt. Im vergangenen Jahrzehnt war dies die übliche Reaktion, wenn solche Tragödien an den südlichen Küsten Europas geschahen.
Allerdings dreht eine solche Argumentation die Kausalität der Dinge auf den Kopf. Es sind die Grenzkontrollen, die Migranten gezwungen haben, gefährlichere Routen zu nehmen und die sie immer mehr von Schmugglern abhängig machten, um die Grenzen zu überqueren. Schmuggel ist mehr eine Reaktion auf Grenzkontrollen, als eine Ursache der Migration an sich. Ironischerweise werden weitere Verschärfungen der Grenzkontrollen Migranten und Flüchtlinge dazu zwingen, noch mehr Risiken einzugehen und sie werden ihre Abhängigkeit von Schmugglern nur erhöhen.
Das Phänomen der irregulären Bootsmigration über das Mittelmeer ist alles andere als neu. Es existiert seitdem Spanien und Italien 1991 die Visumspflicht für marokkanische, algerische, tunesische und andere afrikanische Staatsangehörigen einführten. Dies zwang viele Menschen, die zuvor frei nach Europa migrieren und zirkulieren konnten, die Grenzen illegal zu überqueren. In den letzten Jahrzehnten kam noch eine zunehmende Anzahl von afrikanischen Migranten und Flüchtlingen aus der Subsahara-Region zu den nordafrikanischen hinzu, in ihren Bemühungen das Mittelmeer zu überqueren 1.
Während die anhaltende Nachfrage nach billigen Arbeitskräften in der Landwirtschaft, Dienstleistungen und anderen informellen Sektoren der Haupttreiber dieser Migration war, flieht eine deutliche, aber dennoch erhebliche Minderheit vor Konflikten in ihren Herkunftsländern. Solange keine legalen Wege der Einwanderung mehr geschaffen werden und solange Flüchtlingen der Zugang zu Asylverfahren verweigert wird, ist es wahrscheinlich, dass ein erheblicher Teil dieser Migration irregulär bleiben wird.
Es scheint praktisch fast unmöglich, den langen Küstenstrich am Mittelmeer abzudichten. Zu einem großen Teil haben sich Grenzkontrollen als unsinnig und kontraprodukiv erwiesen. Die Erhöhung der Kontrollen an der Meerenge von Gibraltar in den 1990er Jahren hat nicht Migration gestoppt sondern sie haben in den 2000er Jahren zu einer Diversifizierung der afrikanischen Migrationsrouten auf dem Landweg und der maritimen Übergangspunkte in Richtung Osten und Süden geführt.
Dies hat zu einem unbeabsichtigten Anstieg der Fläche geführt, die EU-Länder überwachen müssen, um irreguläre Migration zu „bekämpfen“. Zu diesen Gebieten gehören jetzt die gesamte nordafrikanische Küste und verschiedene Grenzübergänge an der westafrikanischen Küste nahe der Kanarischen Inseln 2.
Als Folge der zunehmenden Länge und Gefährlichkeit der Fahrten wurden Migranten immer abhängiger von Schmugglern. Mehr als zwei Jahrzehnte teurer, wachsender Investitionen in Grenzkontrollen und eine rasche Erhöhung der Finanzierung von der EU-Grenzschutzagentur Frontex haben Migration nicht gestoppt, aber sie haben die Verletzlichkeit der Migranten und ihre Abhängigkeit von Menschenschmuggel erhöht und den Tod von geschätzt mindestens 17.000 Menschen in den vergangenen zwei Jahrzehnten verursacht. Es ist besonders besorgniserregend, dass der sogenannte “Kampf gegen illegale Migration” den Zugang zu Asyl für Menschen versperrt, die vor Verfolgung und Konflikt in Ländern wie Syrien, Äthiopien und Eritrea auf der Flucht sind.
Es gibt eine starke Parallele zwischen dem sogenannten „Kampf gegen illegale Migration” im Mittelmeer und der Lage an der US-mexikanischen Grenze. Wissenschaftliche Untersuchungen 3 haben gezeigt, dass die Verschärfung der Grenzkontrollen und die Errichtung von Mauern zwischen den USA und Mexiko die Migration nicht gestoppt haben, aber zu einer Verlagerung der Migrationsströme auf längere, gefährlichere Routen quer durch die Wüste, einer zunehmenden Abhängigkeit von Schmugglern („coyotes“) , einer steigenden Zahl von Todesopfern und zu einer Reduzierung der zirkulären Migration geführt haben.
Tatsächlich ist das Ausmaß der Mittelmeer-Migration geringer als oft geglaubt – mehrere Zehntausende, nicht Hunderttausende pro Jahr. Die meisten irregulären Migranten in Europa reisen legal ein und überziehen dann ihr Visum. Doch ein „harter“ politischer Diskurs über Einwanderung, der eine solche Politik begleitet, wird wahrscheinlich die gleiche Fremdenfeindlichkeit und die damit verbundenen apokalyptischen Darstellungen eines „massiven” Zustroms von Migranten verstärken, auf das sie eigentliche eine politische Antwort sein wollte. Politische Entscheidungen zu diesem Thema sind daher in einem Teufelskreis von „mehr Restriktionen – mehr Illegalität – mehr Restriktionen” gefangen.
Maßnahmen zur „Bekämpfung illegaler Migration” sind zum Scheitern verurteilt, weil sie eben zu den Ursachen des Phänomens gehören, das sie behaupten zu „bekämpfen”. Es ist sehr beunruhigend zu sehen, wie Regierungen beiläufig kriegerische Begriffe wie „Bekämpfung” und „kämpfen” einsetzen, um ihre Versuche zu beschreiben, Migranten und Flüchtlinge vom Erreichen des europäischen Gebietes abzuhalten. Allerdings ist der eigentliche Skandal, dass Regierungen und Migrationsagenturen wie Frontex diese Tragödien, wie das Desaster von Lampedusa, schamlos missbrauchen, um noch mehr Geld für die „Bekämpfung illegaler Migration” auszugeben, was wiederum nur die Abhängigkeit von Schmuggel erhöht, den Zugangs von Flüchtlingen zu Schutz versperrt und noch mehr Todesfälle an der Grenze verursachen wird.
- Ein kurzer historischer Überblick
- Siehe auch den Bericht „Der Mythos der Invasion“
- Siehe zum Beispiel hier und hier
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Ihr Kommentar in allen Ehren,
aber Kritik an der europäischen Asyl und Einwanderungspolitik haben wir alle in den letzten Wochen hundertfach gelesen, mich interessieren Ihre LÖSUNGEN !
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