Die Scharfmacher
Trauerbekundungen zu Lampedusa sind kein Sinneswandel, sondern Doppelmoral
Die europäische Abschottungspolitik ist, zynisch betrachtet, ein Erfolgsmodell. Und Innenminister Friedrich macht sich nicht einmal die Mühe, den Spagat zwischen Sicherheit und Moral zu verklausulieren - Prof. Dr. Thomas Kunz kommentiert im MiGAZIN die Reaktionen zum Unglück vor Lampedusa.
Von Prof. Dr. Thomas Kunz Mittwoch, 09.10.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 15.10.2013, 22:19 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Das Flüchtlingsdrama vor Lampedusa mit mehr als 230 Todesopfern hat die unmittelbaren Konsequenzen des fortschreitenden Ausbaus der Festung Europa und die Kritik hieran in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion gerückt. Wäre der Anlass nicht so schrecklich, wäre man geneigt zu sagen „endlich“. Denn: Gestorben wird seit langem, zahlreich und täglich an Europas Außengrenzen. Für viele Flüchtlinge endet der Traum von Europa tödlich und noch bevor sie ihren Fuß auf europäischen Boden setzen können.
Was verschwiegen wird: letztlich wird genau das in Kauf genommen. Denn dies ist die Konsequenz einer Politik, die ein harmonisiertes europäisches Asyl- und Abschottungsrecht durchsetzte. Einem Asylrecht, welches von Anfang an als Verschärfung gedacht war und das zugleich den in der Mitte Europas gelegenen EU-Mitgliedern, allen voran der Bundesrepublik, einen sie umgebenden Puffer von Mitgliedsstaaten verschaffte, die sich von nun an mit vermehrten Zuwanderungsversuchen konfrontiert und alleine gelassen sahen. Zuwanderung und deren Kontrolle wurde an die südlichen EU-Außengrenzen verschoben.
Das sogenannte Dublin-2-Abkommen regelt, dass Asylanträge in dem Mitgliedstaat zu stellen und zu bearbeiten sind, in welchem Flüchtlinge erstmals europäischen Boden betreten. Dies bewirkt de facto, dass ein Großteil der Zuwandernden im Mittelmeerraum eben nur in Spanien, Italien und Griechenland Asylanträge stellen können. Sofern sie es lebend bis dorthin schaffen.
Die Toten im Mittelmeer sind unmittelbare Folge dieser auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene durchgesetzten Verschärfungen. Sie sind Folge einer europäischen Außengrenzpolitik, die auf Abschottung, massive paramilitärische Aufrüstung und Überwachung setzt. Seit Jahren, seit Jahrzehnten ersticken (in Containern) und ertrinken (beim Untergang seeuntüchtiger Boote) Menschen an Europas Außengrenzen, beim Versuch, den Folgen der Globalisierung oder den Kriegen in ihren Heimatländern zu entkommen. Unbestätigten Zahlen zu folge müssen es mittlerweile über 20.000 sein. Und die, die es dennoch schaffen, vegetieren unter unwürdigen Bedingungen in Flüchtlingslagern.
Die europäische Abschottungspolitik, die immer auch Abschreckungspolitik sein soll, ist, zynisch betrachtet, also ein Erfolgsmodell. Die Verantwortlichen für diese Politik haben ein fortbestehendes Interesse daran, die Festungsmauern immer höher zu ziehen. Die Befestigungsanlagen in Melilla und Ceuta, den spanischen Enklaven in Nordafrika, sind ein weiterer Beleg für diese menschenverachtende Politik. Nur mit der begleitenden PR scheint manch einer der Hardliner nicht so recht zufrieden zu sein.
Die jetzt zu beobachtenden wohlfeilen offiziellen Trauerbekundungen dokumentieren insofern keinen Sinneswandel, sondern verweisen auf die Doppelmoral ebenjener Politik und die Widersprüche eines europäischen Selbstbildes, das sich gerne Menschenrechte und humanistische Werte auf die Fahne schreibt. Und manchmal auf den erhobenen Zeigefinger, wie beispielsweise gegenüber den Protestbewegungen in den nordafrikanischen Staaten.
Unbeleckt von solchen Widersprüchen scheint derzeit der amtierende Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich zu sein. Der macht sich nicht einmal die Mühe, den Spagat zwischen Sicherheit und Moral zu verklausulieren und schwadronierte jüngst in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt angesichts der Toten unbeeindruckt von wachsendem Missbrauch der Freizügigkeit innerhalb der EU und vom Erschleichen von Sozialleistungen. Friedrich klagte über Armutseinwanderung und plädiert für mehr Härte gegenüber Einwanderern. Warum nicht gleich den Schießbefehl für Frontex-Patroullienboote fordern? Aber das wäre wohl in der Öffentlichkeit nicht durchsetzbar. Da kennt selbst ein Minister Friedrich seine Grenzen.
Es kommt einer Verhöhnung der Toten und einem Schlag ins Gesicht der Überlebenden von Lampedusa gleich, wenn Friedrich nun in Reaktion auf die aufgekommene Debatte von Verschärfung der Überwachung und vom Missbrauch von Freizügigkeitsrechten spricht. Es ist um so unerträglicher, als der Bundesinnenminister zwanzig Jahre nach den Mordanschlägen von Solingen – und den Anschlägen und Pogromen von Mölln, Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda im Jahr 1992 – just jene Parolen wiederholt, die seinerzeit einem rassistischen Mob als Motivation für Mordanschläge und pogromartige Verfolgungen von Migranten in Deutschland dienten. Schon damals, im Jahr 1993, lieferten sich weite Teile der etablierten Parteien mit besagtem Mob einen regelrechten Überbietungswettbewerb in einer mit ausländerfeindlichen Aussagen geführten Debatte zur Änderung des Asylrechts, die aus kritischer Sicht als die Abschaffung des bundesdeutschen Asylrechts zu deuten war.
Friedrich macht damit unfreiwillig deutlich, wes Geistes Kind die herrschende EU-Asylpolitik und – in ihrem Kern – deren Menschenbild ist. Der Minister verschiebt die weitere Bearbeitung der Thematik auf das bekannt-bewährte Feld von Sicherheitspolitik. Mit dieser Strategie hat Friedrich in der Vergangenheit auch schon die Reputation der Deutschen Islamkonferenz ruiniert. Getreu dem Motto „Schuster bleib bei Deinen Leisten“ bleiben seine jüngsten Äußerungen im Angesicht der Katastrophe von Lampedusa und anlässlich des EU-Innenministertreffens in Luxemburg dieser Strategie verpflichtet. Insofern ist er immerhin ehrlich.
Er bedient sich hierzu, nur wenige Tage nach dem Unglück, aus der untersten Schublade vorurteilsbeladener Klischees über Zuwanderer. Und das ist der eigentliche Skandal: ein Spitzenpolitiker mit Ressortzuständigkeit auch für das Thema Integration, der so sehr fremdenfeindlichen Klischees verhaftet scheint. Es fragt sich, wer hier Stichwortgeber ist: Friedrich den Stammtischen oder umgekehrt? Ein Bundesminister, der solche Ressentiments in staatstragende Worte kleidet und oberflächlich als Sicherheitspolitik verbrämt, ist fehl am Platze. Leitartikel Meinung
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Es sind wieder Krokodilstränen, wenn sie denn fließen würden.
Auf europäischer Ebene haben alle Mitgliedstaaten gemeinsam mit dem Rat, EU- Kommission, EU-Parlament die Asylgestzgebung in diesem Jahr mehr oder weniger verschärft oder das bestehende System bestätigt.
Dublin II wird abgelöst durch Dublin III. Es ist zum Teil schon in Kraft und kommt bis Ende des Jahres geballt, ohne dass sich substantiell etwas verbessert. Keine solidarische Verteilung innerhalb der Mitgliedstaaten. Mit EUROSUR, Frontex verschärfte Grenzkontrollen und Abschiebungen.
Niemand kann ernsthaft erwarten, dass die Politik hier erneut tätig wird.
Es ist eine Heuchhelei, auch vom EU-Parlament. Beschämend wie die Öffentlichkeit belogen wird. Ich wünschte, dass sich einige Politiker von ihrer Arroganz mal abgeshen sich in der situation der Flüchtlinge befinden würden, damit sie die Konsequenzen ihrer inhumanen Politik am eigenen Leibe zu spüren bekommen.
Muss ich noch etwas dazu sagen?
Klar: Unterschreibt es :-)
http://temi.repubblica.it/espresso-appelli/friedensnobelpreis-an-lampedusa/
noch zwei Kommentare im gleichen Tenor und entgegen dem Mainstream, der tunlichst die Zusammenhänge verschleiert
http://www.ag-friedensforschung.de/themen/Migration/lampedusa7.html
http://dtj-online.de/lampedusa-fluechtlinge-opfer-weltwirtschaftsstruktur-11271
aber für „Menschenrechte“ in den Krieg ziehen…
Wenn Schlepperbanden Leute mit unhaltbaren Versprechungen nach Deutschland locken, und damit meine ich jetzt die osteuropäischen Banden, und von denen, die es hierherschaffen, dann das Kindergeld kassieren, um horrende Mieten für Bruchhäuser zu verlangen, was ist das dann anderes als Missbrauch der europäischen Freizügigkeit und der deutschen Sozialsysteme?
Ich finde es absolut legitim, auf das Problem deutlich hinzuweisen. Dass Friedrich das kurz nach dem Lampedusaunglück machte, hatte den Grund darin, dass zufällig in diesem Zeitraum ein Ministertreffen der EU anstand, bei der lange schwelende Probleme der Osteuropa-Zuwanderung (wie etwa die finanzielle Belastung der Kommunen oder die zahlreichen Beschwerden von Anwohnern über unzumutbares Verhalten neuer Nachbarn) besprochen werden sollten.
Auch ist es fragwürdig, beim Thema MIgration Meinungen unterdrücken bzw. moralisch abwürgen zu wollen, indem man auf jahrzehntealte Tötungsdelikte von Neonazis verweist. Das ist ein moralisch höchst zweifelhafter und letztlich aufhetzender Versuch der Herstellung einer vermeintlichen Kausalität Meinung-Mord. Das passt auch nicht zu einem demokratischen Diskurs. Wir haben Meinungsfreiheit, und wer zum Thema Migration eine kritsiche Meinung hat, ist nicht gleich ein Wegbereiter von Mörderbanden, ebenso ist nicht jemand Deutschenhasser ist, weil er mehr Migration will oder damals die RAF quasi mitgegründet that, weil er Sozialist war.
Mein Fazit: Meinungen unverblümt mit Mordtaten in Verbindung zu bringen ist ein Anschlag auf die Meinungsfreiheit, und damit ein fundamentaler Angriff auf die Menschenrechte, zu denen nämlich auch die Meinungsfreiheit gehört.
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